zum Hauptinhalt
Gläserne Liga: Die NBA hat sich in den vergangenen Jahren ein offenes und sauberes Image erarbeitet.

© Jeenah Moon/AFP

Update

Quarantäne-Basketball in Florida: 10.000 Neuinfektionen am Tag – und die NBA will trotzdem spielen

Die zweite Corona-Welle überrollt Florida. Die US-Basketball-Liga bleibt dennoch bei ihren Plänen: Ein Quarantäne-Event in Orlando soll die Saison retten.

Die Blase ist schon früh geplatzt. Oder besser: Sie wird wohl gar nicht erst anschwellen. „Das ist keine Blase“, hat zumindest zuletzt ein Mitglied der NBA-Führungsetage laut „NBC Sports“ gesagt. „Das ist ein Netzhut.“ Und gemeint war damit das Quarantäne-Projekt in Florida, an das sich die pompöseste Basketball-Liga der Welt seit Wochen Stück für Stück herantastet, um nach bald vier Monaten Zwangspause doch noch einmal aus dem Coronaschlaf zu erwachen.

Eine vollständige Isolation in einer schützenden Blase wird es dort aller Voraussicht jedoch nicht geben. Der Epidemiologe Zach Binney hat die Metapher vom schnöden Hut mit dem Netzeinsatz deshalb bei „CBS Sports“ weitergesponnen: „Wenn es tröpfelt, dann kann der Kopf vielleicht trocken bleiben“, hat er gesagt. Aber: „Wenn es schüttet, kann man das kaum von einem Netz verlangen.“ Und in Florida, dem „Staat des Sonnenscheins“, schüttet es zurzeit wie aus Eimern.

[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter „Fragen des Tages“. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.

Über 190.000 Coronavirus-Infektionen zählt der Bundesstaat im Südosten der USA inzwischen, mehr als 3700 Menschen sind dabei schon verstorben. Allein am Freitag wurden über 11.000 neue Fälle vermeldet, so viele wie noch nie zuvor an einem einzigen Tag.

Die Krankenhäuser sind bereits an ihrer Belastungsgrenze angekommen, die Schlangen an den mobilen Teststationen wachsen, so berichten es US-Medien. Die zweite Pandemie-Welle rollt geradezu unaufhaltsam über die etwa 21 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner hinweg. Und ausgerechnet hier will die NBA nun ihre Saison zu einem sportlichen Ende bringen?

Will sie. Die Pläne dazu liegen schon länger auf dem Tisch. Anfang Juni, als sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Florida bei etwa 1000 eingependelt hatte, machte die Liga ihr Konzept publik: 22 der 30 Teams sollen die Saison ab dem 30. Juli fortsetzen, und zwar auf dem Gelände von Disney World Orlando, dem weltgrößten Komplex von Freizeitparks, zu dem auch ein riesiges Sportareal gehört.

Florida warb schon früh um den großen Sport

Die NBA hat dafür drei Luxushotels geblockt, in denen die etwa 1500 Beteiligten unterkommen sollen. Mindestens vier Partien soll es jeden Tag geben, erst acht Platzierungsspiele für jedes Team und anschließend dann Play-offs im vollen Umfang. Mitte Oktober soll der neue Champion feststehen.

Der Chef: Adam Silver ist der Commissioner der NBA.
Der Chef: Adam Silver ist der Commissioner der NBA.

© Stacy Revere/AFP

„Als wir diesen Plan entworfen haben, haben wir einen Anstieg der Fälle in dieser Weise ehrlicherweise nicht kommen sehen“, sagt NBA-Chef Adam Silver nun. Tatsächlich sah es noch im Mai so aus, als sei auch in Florida das Schlimmste überstanden. Mit dem Blick auf Europa und die dortigen Konzepte zur Rückkehr des Profisports erschien die Idee der Blase in Orlando also sehr verlockend.

Und natürlich ließ sich die NBA auch gerne auf das Werben von Floridas Gouverneur Ron DeSantis ein. Der Republikaner öffnete nicht nur als einer der ersten Staatenchefs in den USA wieder Restaurants, Bars und Strände öffnete, sondern umgarnte auch den großen Sport, als die Expertinnen und Experten bereits vor der zweiten Welle warnten: „Alle Profisportarten sind in Florida willkommen“, gurrte DeSantis, der manchen als eine Art Mini-Trump gilt. „Wir glauben, das ist wichtig, und wir wissen, dass man das auf sichere Weise hinbekommt.“

Die NBA hat ein besonders sauberes Image

Das glaubte die NBA damals ebenso – und tut es auch jetzt noch, obwohl sich die Lage inzwischen dramatisch verschärft hat. „Unser Modell ist dazu entworfen worden, um uns und unsere Spieler von Fällen außerhalb der Community zu schützen“, sagt Ligachef Silver.

Testballon: In Disney-World Orlando will die NBA ihre Saison fortsetzen.
Testballon: In Disney-World Orlando will die NBA ihre Saison fortsetzen.

© dpa

Nachdem er Mitte März die Unterbrechung der Saison verkündet hatte, gab es viel Lob für die NBA, die Situation als erste große US-Liga erkannt und schon früh eine verantwortungsbewusste Entscheidung getroffen zu haben. Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum sich nun die öffentliche Kritik an der NBA und dem Festhalten an ihren Plänen noch in Grenzen hält. In den vergangenen Jahren hat sich die Liga ein sauberes und offenes Image erarbeitet. Der Vertrauensvorschuss und der Glaube daran, dass die NBA schon das Richtige tun wird, sind offenbar sehr groß.

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty]

Und so wird bislang in den USA kaum diskutiert, ob sich die NBA mit ihren Rückkehrplänen in eine gesellschaftliche Sonderrolle begibt, ob es sich aus sozialer Sicht rechtfertigen lässt, dass ein Milliardenbusiness Testkapazitäten und medizinische Ressourcen beansprucht, während sich die Lage in der Bevölkerung zuspitzt, oder ob es moralisch vertretbar ist, dass sich eine kleine Gruppe privilegierter Sportler in einer solchen Situation von der Außenwelt abkapselt, um ihren eigenen Geschäften nachzugehen.

Stattdessen geht es vor allem um die Frage: Blase oder Netzhut? Ist das Konzept der NBA sicher und ausgereift genug, um zwei bis drei Monate lang bestehen zu können? Seit Ende Juni werden die Profis regelmäßig getestet. Gleich 25 der 351 untersuchten Spieler mussten sich nach einem positiven Ergebnis nun erst einmal in Quarantäne begeben, bevor sie nach Orlando reisen dürfen.

Zu viel des Guten: Davis Bertans (Mitte) von den Washington Wizards war der erste NBA-Profi, der seine Teilnahme in Orlando absagte.
Zu viel des Guten: Davis Bertans (Mitte) von den Washington Wizards war der erste NBA-Profi, der seine Teilnahme in Orlando absagte.

© Elsa/AFP

Und dass die Blase eben keine vollständige Blase sein wird, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Disney-Parks ein- und ausgehen werden, sorgt für erhebliche Zweifel, ob das Virus nicht doch auch von außen eingeschleppt werden kann. „Wenn wir viele Fälle haben, dann werden wir abbrechen“, sagt Silver zwar, betont aber auch: „Ich bin absolut überzeugt davon, dass es auf dem Campus sicherer sein wird als abseits des Campus.“

Einige Spieler haben dennoch bereits ihre Teilnahme abgesagt. Nicht nur Sorgen um die Infektionsgefahr treiben die Spieler um, sondern ebenso die soziale Abgeschiedenheit, das Verletzungsrisiko oder auch die befürchtete Ablenkung von den „Black Lives Matter“-Protesten, die aus der NBA besonders viel Unterstützung erfahren. „Dafür haben wir nicht unterschrieben“, sagt etwa der Dreierspezialist J.J. Redick von den New Orleans Pelicans. „Diese Umstände sind nicht normal, um NBA-Basketball zu spielen.“

Das hat auch die Liga eingesehen. Strafen für Spieler, die nicht teilnehmen wollen, wird es keine geben. Die Profis können jedoch bis zu 15 Prozent ihres Gehalts einbüßen. Und weil aus Floridas laxer bis fahrlässiger Corona-Politik unter Gouverneur DeSantis kaum Widerworte zu erwarten sind, wird es nun besonders darauf ankommen, ob sie die Pläne der NBA mittragen. „Wir haben keine andere Wahl, als mit dem Virus leben zu lernen“, sagt Adam Silver. „Keine Optionen sind derzeit risikofrei.“ Schon gar nicht in Florida.

Leonard Brandbeck

Zur Startseite