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In der Balance. Gerd Schönfelder fährt mit einem Arm Ski und ist der erfolgreichste paralympische Sportler.

© Imago

Quo vadis Paralympics?: Rasende Entwicklung

Die höchste Anerkennung haben behinderte Sportler bisher 2012 erfahren. „Meet the Superhumans“, warben die Briten für die Paralympics. Am Freitag beginnen in Sotschi die 11. Winterspiele. Die Paralympics haben sich im Sport mittlerweile ihren eigenen Platz erarbeitet.

Seine ersten Paralympischen Spiele kamen Gerd Schönfelder vor wie ein kleines Sportfest. „Alles fand an einem Hang statt.“ Statt eines glamourösen Einzugs ins Stadion gab es eine Eröffnungsfeier im Zielraum des Skihangs. Und zum Wettbewerb kamen 20 Journalisten. Das war 1992 in Albertville. Unter den 365 Athleten schnitt Schönfelder mit am besten ab, mit drei Goldmedaillen im Skifahren reiste er nach Hause.

Fortan fuhr Schönfelder alle vier Jahre wieder zu den Paralympics. Nach den Spielen wollte er oft aufhören, der Elektrotechniker war lange dabei und alt genug, um etwas anderes zu machen. „Aber es hat sich immer wieder etwas getan.“ Die Paralympics wurden größer und größer: mehr Zuschauer, bessere Bedingungen, mehr Stimmung – das wollte er unbedingt als Athlet miterleben. Erst nach sechs Paralympics und 16 Goldmedaillen beendete er 2011 seine Karriere, heute ist er 43.

Am Freitag beginnen die Paralympics in Sotschi, Gerd Schönfelder, der bisher erfolgreichste Paralympionike überhaupt, wird als Experte für die ARD dort sein und erleben, ob und wie sich die Paralympics weiterentwickelt haben. Wie sich die russischen Gastgeber verhalten. Wie viel es um Sport und Leistung und Anerkennung geht, und wie viel noch um Mitleid und Bevormundung und Ausgrenzung.

Die Eröffnungsfeier im Olympiastadion wird vom ZDF zweieinviertel Stunden lang live übertragen. Vor zwölf Jahren bei den Paralympischen Winterspielen in Salt Lake City hatten ARD und ZDF noch insgesamt viereinhalb Stunden live gesendet. Diesmal sollen es gut 20 Stunden werden. Am Start sind inzwischen doppelt so viele Athleten wie in Albertville, und 2200 Medienvertreter haben sich akkreditiert.

Es gibt noch andere Zahlen aus Deutschland, die etwas über die Entwicklung des Behindertensports erzählen. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe hat die Prämien für die Olympischen und die Paralympischen Spiele angeglichen. Jeder Goldmedaillengewinner bekommt nun 20 .000 Euro. Vor zwölf Jahren waren es für die behinderten Sportler noch 1350 Euro. Zum anderen gibt es inzwischen bei Bundeswehr und Bundespolizei Förderplätze auch für behinderte Leistungssportler, die Bundeswehr hat schon mit drei paralympischen Sportlern eine Vereinbarung geschlossen.

Auch Schönfelder, der inzwischen unter anderem als Trainer arbeitet, belegt Fortschritte gerne mit Zahlen. Bis vor kurzem hätte die Nationalmannschaft ihre Skijacken noch selbst bezahlen müssen, für 600 statt für 1500 Euro. Aber jetzt haben sie einen Ausrüster, der alles zur Verfügung stellt. Außerdem hat ein Automobilkonzern dem alpinen Paralympics-Team zwei Busse übereignet. „Es ist das erste Mal, dass wir einen Mannschaftsbus haben“, sagt Schönfelder. Pro Jahr sparten sie dadurch 20.000 Euro, das sei eine Menge bei einem Gesamtbudget von 50 bis 60.000 Euro für das alpine Team.

In London 2012 saßen schon morgens 80.000 Zuschauer im Stadion

Doch es sind nicht nur solche Zahlen, die etwas über die Entwicklung der paralympischen Bewegung aussagen. Verena Bentele ist wie Schönfelder bei den Paralympics gestartet und hat dort im Langlauf und Biathlon zwölfmal Gold gewonnen. Jetzt ist die blinde Sportlerin die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Mit Bentele zusammen saß Schönfelder bei den Paralympics in Turin 2006 in einer Ecke des Deutschen Hauses und erzählte Bundespräsident Horst Köhler von den Schwierigkeiten, als Behinderter Leistungssport zu betreiben. Von hohen Rechnungen, die sie selbst bezahlen müssten für sich und ihre Betreuer bei Lehrgängen im Ausland. „Köhler hat uns gesagt, dass er alle Dax-Firmen anschreiben werde. Danach haben sich große Firmen engagiert und wir haben eine besondere Förderung bekommen.“ Diese Förderung ermöglichte den besten Sportlern auch eine Freistellung vom Arbeitsplatz.

Die höchste Anerkennung haben behinderte Sportler bisher im Sommer 2012 erfahren. „Meet the Superhumans“ – so warben die Briten für die Paralympics und bildeten Amputierte, Kleinwüchsige und Prothesenträger als Höchstleistende ab. Bei den Olympischen Spielen bedankten sich die Paralympics mit dem süffisanten „Thank you for the warm up“ und als es losging, saßen bei den Leichtathletikwettbewerben schon am frühen Morgen 80.000 Zuschauer im Stadion.

„Hier ging es um Teilhabe, Respekt und Anerkennung“, sagt Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands. Die Selbstverständlichkeit, mit der London diese Spiele feierte, sei ein Durchbruch gewesen. „An der Tower Bridge wurden die Olympischen Ringe durch die drei Haken der paralympischen Bewegung ersetzt, die für Mind, Body und Spirit stehen“, sagt Beucher, der sich noch daran erinnert, dass aus dem Internationalen Olympischen Komitee einst der Vorschlag gekommen war, die Paralympics an die Stadt zu vergeben, die den Zuschlag für die Olympischen Spiele nicht bekommen hatte. Paralympics als Trostpreis.

Auch in Deutschland gebe es eine neue Selbstverständlichkeit im Umgang mit Behindertensport – und dabei fällt Beucher die Zeitschrift „Men’s Health“ ein, die sonst zur Perfektionierung des eigenen Körpers aufruft. „Da waren wir drin“, sagt Beucher. Überhaupt ist vielen Medien die Berichterstattung über die Leistung wichtiger geworden als die über die Behinderung der Sportler.

Was kann noch kommen? Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte kürzlich im Interview mit dieser Zeitung gesagt: „Ich träume persönlich davon, dass Olympische Spiele und Paralympics gleichzeitig stattfinden. Morgens 10 bis 11 Uhr 1500 Meter Finale der Sportler ohne Behinderung, anschließend der Sportler mit Behinderung.“ Im Behindertensport wird dieser Traum nicht geteilt. „Die Zusammenlegung ist nicht möglich, sonst gehen die Paralympics unter“, sagt Beucher. Aber einige paralympische Wettbewerbe könnte man durchaus integrieren.

So wünscht es sich auch Gerd Schönfelder, einige „Highlights des Behindertensports bei Olympia“ und dass nach den Weltmeisterschaften der Leichtathletik, im Schwimmen und Skifahren noch die Behinderten-WM am selben Ort stattfindet. Auch damit der Behindertensport nicht nur alle paar Jahre bei den Paralympics groß rauskomme. „Wir haben teilweise keine Bewerber für die WM. Und wenn eine Ski-WM heute 30 Millionen kostet, kommt es doch auf 1,5 Millionen für die Wettbewerbe der Behinderten nicht mehr an“, sagt er, „da könnte sich eine Stadt noch von einer anderen Seite zeigen.“

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