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Sport: Radeln statt fischen

Von Hartmut Scherzer Maastricht. Lance Armstrong war der Stärkste.

Von Hartmut Scherzer

Maastricht. Lance Armstrong war der Stärkste. Jan Ullrich, immer noch zur Rennuntätigkeit verdammt, müsste sich zu Hause vor dem Fernseher vor Staunen die Augen gerieben haben. Der Amerikaner hatte aber beim spannenden Finale eines Spitzenquartetts keine Spurtchance gegen die taktierenden Team-Kollegen Michele Bartoli (Italien) und Sergei Iwanow (Russland) und musste sich beim 37. Amstel Gold Race schließlich mit dem vierten Rang hinter den beiden Fahrern von Fassa Bortolo und dem holländischen Favoriten und Lokalmatador Michael Boogerd begnügen.

Sechsmal attackierten auf den letzten zehn Kilometern abwechselnd Iwanow und Bartoli. Reine Zermürbungstaktik. Jedesmal setzte Armstrong nach und holte den Ausreißer zurück. An der letzten der 33 Steigungen (bis zu 22 Prozent) dieses 254,4 Kilometer langen Klassikers durch die Provinz Limburg, an der St. Antoniusbank, acht Kilometer vor dem Ziel, hatte der Amerikaner selbst versucht, seine drei Wegbegleiter abzuschütteln.

Im Spurt des arg geschrumpften Pelotons gewann Weltmeister Oscar Freire (Spanien) den Spurt um den fünften Platz. Der Weltranglistenerste Erik Zabel, vor zwei Jahren Sieger in Maastricht, wurde Neunter. Die alten Telekom-Haudegen Jens Heppner (37) und Udo Bölts (35) strampelten sich verbissen an der Spitze der Verfolger ab. „Aber gegen die Besten der Welt hatten wir keine Chance, wieder ranzukommen“, sagte der Pfälzer Bölts.

Michele Bartoli (31) feierte erstmals seit 1998 wieder einen Sieg in einem Weltpokalrennen, den vierten italienischen in dieser Saison nach Cipollini (Mailand-San Remo), Tafi (Flandern-Rundfahrt) und Bettini (Lüttich). Lance Armstrong war trotz einer lästigen Darmgrippe zu seinem bereits vierten Frühjahrsklassiker in dieser Saison gestartet, hatte aber als der große Favorit gegolten. Nur Paris-Roubaix hatte der dreimalige Tour-Sieger ausgelassen. Der Amerikaner hat mit seinem Erscheinen bei den Eintagesrennen bewiesen, dass es den kompletten Champion vielleicht doch noch gibt, und erfreut sich des Beifalls das größten Allrounders der Radsportgeschichte: „Armstrong ist dabei, die Zeiten zu ändern“, sagte Eddy Merckx, der fünfmal die Tour und neunzehn Frühjahrsklassiker gewann. „Lance gibt dem Radsport des Gesicht von früher: Topfahrer gehören in die Toprennen.“ Über Greg LeMond und Miguel Indurain hatte Merckx einst gelästert: „Das sind keine echten Champions, die im Frühjahr lieber zum Fischen gehen, als sich bei den Klassikern zu zeigen."

Tour und Tagesrennen, Armstrong nimmt beides in Angriff. 1999 und 2001 hatte er jeweils in Maastricht den zweiten Platz belegt. „Mit ihm muss man rechnen“, prophezeite Telekom-Sportdirektor Rudy Pevenage, nachdem er am Vortag den Amerikaner bei einer Testfahrt auf der Strecke beobachtet hatte. „Am Freitag war der Durchfall noch schlimm. Jetzt geht es mir besser“, sagte Armstrong vor dem Start. Ob das Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit habe? „Sie macht vielleicht den Unterschied aus. Frag mich nach einer Stunde“, antwortete Armstrong.

Und dann demonstrierte der Texaner nach sechs Stunden in einem schweren, windigen Rennen, wie stark er schon ist. An der langen Steigung Eyserbosweg, 40 Kilometer vor vor dem Ziel, trat er an und zersplitterte das Feld. Die Vorentscheidung. Nur Boogerd, Bartoli und Iwanow konnten ihm folgen. „Da haben wir den Anschluss verpasst“, ärgerte sich der unermüdliche Jens Heppner. Zu diesem Zeitpunkt war das Team Telekom mit einem Defekt an Steffen Wesemanns Rad beschäftigt. Vorne waren die Speichen kaputt. Rolf Aldag gab ihm sein Vorderrad, Matthias Keßler wartete und führte den Zweiten von Paris-Roubaix wieder an das Feld heran. „Ich glaube, ich habe jetzt den Pechpokal verdient“, sagte Wesemann. „Immer wenn es losgeht, passiert etwas.“

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