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Sport: Radsport: Der finale Sturz

Für Jan Ullrich endete die Saison im Rondell der Straßen D 86 und N 10 an der Loire. Drei Kilometer vor dem Ziel in Tours kamen im Peloton drei Fahrer auf regennasser Straße zu Fall.

Für Jan Ullrich endete die Saison im Rondell der Straßen D 86 und N 10 an der Loire. Drei Kilometer vor dem Ziel in Tours kamen im Peloton drei Fahrer auf regennasser Straße zu Fall. Der deutsche Radstar konnte nicht mehr ausweichen, flog über die Gestürzten und knallte mit dem Gesicht auf den Bordstein. Die Unterlippe wurde bei dem Aufprall innen gespalten. Die Zähne aber blieben heil. In einer zweistündigen Operation, so berichtete Rudy Pevenage, der Sportliche Leiter des Teams Telekom, sei der drei Zentimeter lange, tiefe Riss im Krankenhaus geflickt worden.

"Es war ein schlimmer Tag für uns", stöhnte Pevenage anderentags. Neben dem Belgier im Auto saß Jan Ullrich mit dicker, genähter und verpflasterter Unterlippe auf der Fahrt von Tours nach Paris. "Das hat der Doktor schön gemacht", sagte Pevenage tröstlich zur Behandlung im Krankenhaus. Zur gleichen Zeit saß Erik Zabel zu Hause in Unna schon wieder auf dem Rad und strampelte sich am Montagvormittag im Training die Enttäuschung beim Herbstklassiker Paris - Tours von der Seele.

Für Zabel ist der Weltpokal noch nicht verloren, für Ullrich hingegen die Saison zu Ende. Der Olympiasieger wird nach seinem schweren Sturz in Tours also auch nicht zur Titelverteidigung im Zeitfahren bei den Straßen-Weltmeisterschaften in dieser Woche in der Bretagne antreten. Eine Woche lang muss Jan Ullrich jetzt täglich zur Nachbehandlung in der Uniklinik in Freiburg erscheinen, damit keine Infektion entsteht. Striktes Trainingsverbot - was für ein unglücklicher Abschluss einer erfolgreichen Saison mit dem zweiten Platz bei der Tour de France, mit Gold und Silber bei den Olympischen Spielen.

Als Ullrich stürzte, lag das Hauptfeld mehrere Minuten hinter den zwölf Spitzenfahrern mit dem italienischen Solosieger Andrea Tafi. Ullrich hatte also keine Chance mehr, Zabel zu helfen und in die Entscheidung einzugreifen. Seine Saison-Trophäe, den Weltpokal, hatte Zabel in Tours einfahren wollen. Doch ganz allein gelassen, von der übermächtigen Konkurrenz zermürbt, körperlich völlig kaputt, moralisch total niedergeschlagen und am Ziel nur Elfter, gab Erik Zabel in der ersten großen Enttäuschung alles verloren. Der 30-jährige Berliner zog mit bitterer Miene, den Tränen nahe und nur einem kurzen, gezwungenem Lächeln zum neunten Mal in dieser Saison das Weiße Trikot des im Weltcup Führenden an. "Ich hatte es in den Beinen, das Duell mit Tschmil zu entscheiden", sinnierte Zabel.

Als wären die 254,5 km und über sechseinhalb Stunden bei Regen im Sattel nicht schon genug Strapaze gewesen, musste er nach der Trikot-Ehrung auch noch die sechzig Stufen hinauf in den Plenarsaal des Rathauses zur Pressekonferenz steigen, um seine Enttäuschung öffentlich kundzugeben, auch über die mangelnde Unterstützung durch sein Team. Das Mapei-Trio Tafi-Bettini-Nardello und das Lotto-Duo Tschmil-Verbrügghe in der Spitzengruppe hätten ihn "kaputt gemacht". Tafi siegte schließlich nach einem Solo 39 Sekunden vor dem 37-jährigen Andrej Tschmil.

Die Entscheidung fällt nun beim Weltpokalfinale am 21.Oktober in der Lombardei-Rundfahrt, auf einer jener Bergstrecken, die nicht das Terrain des Sprinters sind. Zabel liegt 71 Punkte vor Tschmil. 100 Punkte gibt es für den Sieg, 70 für den zweiten Platz. Also: Wenn Andrej Tschmil in Bergamo nicht gewinnt, hat Erik Zabel den Weltpokal gewonnen.

Hartmut Scherzer

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