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Radsport: Ein Tag wie in Trance

Erik Zabel gewinnt die Berliner Sixdays und fühlt sich im letzten Rennen seiner Karriere wie ein Beobachter

Berlin - Der Lichtkegel war auf Robert Bartko gerichtet, ganz allein fuhr er nachts um zwölf im Velodrom eine halbe Ehrenrunde. Da, wo die Siegerkränze auf dem Boden lagen, stoppte er. Und wartete. Als kein anderer Fahrer neben ihm auftauchte, radelte Bartko Richtung Fahrerlager davon. Von ihm wollte ohnehin niemand etwas. Die 13 000 seligen Fans brüllten: „Es gibt nur ein’ Erik Zabel“ – Zabel selbst war nicht zu sehen, so kurz nach dem Sieg im letzten Rennen seiner Karriere. Er hatte sie mit einem packenden Kopf-an-Kopf-Sprint mit Bruno Risi in der 60-Minuten-Jagd beendet. Eine halbe Vorderradlänge vor Risi überquerte er die Ziellinie. Zabel hätte nicht mehr gewinnen müssen, zu groß war der Vorsprung der Deutschen gewesen, die am Ende 14 Punkte vor den rundengleichen Schweizern Risi und Franco Marvulli lagen. Doch Zabel wollte es noch einmal wissen, nachdem Bartko die perfekte Inszenierung des Abends vorangetrieben hatte. Er hatte den davonstürmenden Marvulli eingeholt und sich dann von Zabel ablösen lassen. Ihm sollte die Ehre gebühren, als Triumphator über die Ziellinie zu rasen.

Als der 38-Jährige schließlich doch zur Siegerehrung gerollt kam, bekam er den goldfarbenen Siegerkranz übergestülpt. Mama und Papa Zabel überreichten ihrem Sohn einen Blumenstrauß, anschließend ertönte die deutsche Nationalhymne für die Sieger. Zabel wusste, bei wem er sich bedanken musste. Am Sonntag hatte er mit Magenproblemen gekämpft, „dass wir da eine Runde verloren haben, lag an mir. Der Sieg geht mindestens zu 60 Prozent an Robert“, sagte er.

400 Meter vom Velodrom entfernt wuchs Zabel auf

Äußerlich hatte Zabel sich in der Gewalt, in ihm sah es anders aus. „Das war ein Tag wie in Trance. Ich stand neben mir und habe alles mit einer gewissen Distanz erlebt“, erzählte er. Die sachlich klingende Stimme passte dazu, ebenso Fotos nach dem Sieg, die teilweise keinen jubelnden, sondern einen in sich gekehrten Erik Zabel zeigen. Er wirkt darauf, als habe er noch nicht begriffen, was eigentlich mit ihm passiert ist. Die Ereignisse des Abends, bei denen er sich in der Hauptrolle beobachten konnte, hatten sich perfekt gefügt. 400 Meter Luftlinie vom Velodrom entfernt wuchs Zabel auf, hier begann er als Zehnjähriger mit dem Radsport. Erstmals startete er beim Berliner Sechstagerennen – und bewies noch einmal seine Klasse.

Die Fans begeisterten ihn

Vier Teams waren rundengleich in die Jagd gegangen. Roger Kluge und Kenny de Ketele hatten ebenso wie Alex Rasmussen und Michael Mörkov mit mutigen Ausreißversuchen begeistert. Doch die ungestümen, jungen Fahrer waren letztlich an den Routiniers gescheitert. Die Fans dürften es ihnen gedankt haben, dass sie das Happy End nicht zerstörten. Ein ums andere Mal sprangen die Zuschauer brüllend von ihren Sitzen und setzten die Trillerpfeifen an den Mund, wenn Zabel an ihnen vorbeiraste. Ob er bedauere, dass er nicht früher schon in Berlin am Start war? „Das kann man so sagen“, meinte Zabel, „das Publikum war absoluter Wahnsinn.“
Er war von den Fans begeistert, seine Kollegen von ihm. „Es ist bewegend, neben so einem Sportler die letzten Runden zu drehen. Ich bin froh, dass ich mein Versprechen gehalten habe“, sagte Bartko. Er hatte vor den Sixdays angekündigt, alles dafür zu tun, dass Zabel mit einem Sieg abtreten könne.

Bruno Risi war noch auf der Bahn einer der ersten Gratulanten. „Ich gönne es Zabel von Herzen. Ich habe riesigen Respekt vor ihm“, sagte er. Später gab Verlierer Risi den Witzbold, während Sieger Zabel ganz ernst die Situation des Radsports in Deutschland analysierte. Ob er sich einen Rücktritt vom Rücktritt à la Lance Armstrong vorstellen könne? „Bitte nicht“, rief Risi mit gespieltem Entsetzen. Zabel hat ohnehin anderes vor. Er wird künftig als Sprinttrainer beim Team Columbia arbeiten. Morgen fliegt er zur Katar-Rundfahrt, dort beginnt sein neues Leben. Eigentlich begann es sogar schon am frühen Mittwochmorgen – mit einem Vertragsangebot für den neben ihm sitzenden Roger Kluge. „Wir werden uns wahrscheinlich schwer um Roger bemühen. Ich hoffe, er wird den Weg auf die Straße finden“, sagte Zabel. Den Fahrer Erik Zabel gibt es nicht mehr. Der Trainer hat die Arbeit aufgenommen.

Helen Ruwald[Berlin]

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