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Vereinigtes Radkönigreich. Bei der diesjährigen Tour haben die Fahrer aus Großbritannien schon sechs Etappen gewonnen. Foto: Reuters/Medina

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Radsport: Rolle, Britannia: England dominiert Tour de France

Ob in Gelb, als bester Youngster oder als Etappensieger: Die Fahrer aus Großbritannien liegen bei der Tour de France vorn.

Kein Brexit, im Gegenteil. Beim größten Radsportevent auf dem europäischen Festland haben sich Britanniens Radsportler ganz im Zentrum eingenistet, mitten auf dem Siegerpodium. Chris Froome trägt dort routiniert sein Gelbes Trikot ab, Landsmann Adam Yates sein weißes für den besten Nachwuchsfahrer. Schon vier Mal auf dieser Tour verspritzte Mark Cavendish den Siegersekt, Steve Cummings wenigstens einmal. Und weil auch Froome eine Etappe gewann, ist Großbritannien mit sechs Siegen bei 15 Etappen und zwei von vier Wertungstrikots die dominante Nation dieser Tour de France.

Der Erfolg hat vor allem drei Ursachen: Zunächst gleich zwei goldene Generationen an Talenten, dann ein Ausbildungssystem bei British Cycling, das sie zu sichten und zu entwickeln weiß, und als jüngster Aspekt: neu gewonnene Freiheit.

Die Dominanz begann mit Bradley Wiggins 2012

Die ersten beiden Ursachen sind bekannt. Der Waliser Dave Brailsford, einst selbst ein mittelprächtiger Amateurfahrer, baute erst den britischen Bahnradsport auf. Erfolgsfaktoren waren dabei eine gute Infrastruktur mit dem Bahnkomplex in Manchester plus internationales Trainings-Know-how und kontinuierliche Förderprogramme.

Mit dem Geld vom Medienimperium Sky wandte sich Brailsford dann dem Straßenradsport zu. Binnen drei Jahren kam der erste Toursieg – 2012 mit Bradley Wiggins. Danach sorgte Chris Froome zwei weitere Mal dafür, dass der Union Jack auf den Champs-Élysées gehisst wurde. Für Brailsford auch eine private Genugtuung. Denn als 19-Jähriger hatte er sich von der Insel nach Europa aufgemacht, um sich einem Tour-de-France-Rennstall anzuschließen. „Ich bin zu einer Touretappe gefahren, habe mir das Team mit den schönsten Trikots ausgesucht und die Leute gefragt, ob sie nicht einen Rennfahrer suchen“, erzählt Brailsford. „Die haben mich natürlich ausgelacht“, erinnert sich der Sky-Boss, heute selbst lachend. Er würde ein Team mittlerweile sicher nach anderen Kriterien auswählen, sagt er.

Operation Gold in London

So naiv wie Brailsford einst ist heute kein Teenager mehr im britischen Radsport. Für sie sind die Wege gebahnt, organisatorisch wie trainingsmethodisch. Cavendish war – ähnlich wie Wiggins – zunächst Produkt der Kaderschmiede auf der Bahn. Cummings hingegen, vier Jahre älter, musste erst einmal eigene Wege gehen. Der heute 35-Jährige heuerte jung beim Armstrong-Team Discovery Channel an. Als Mann mit Erfahrung holte ihn dann British Cycling für die Operation Gold bei Olympia in London und auch Team Sky nutzte ihn als Aufbauhelfer.

So richtig ging Cummings’ Stern aber erst beim südafrikanischen Rennstall Dimension Data auf. „Hier habe ich Freiheiten, hier kann ich meine Qualitäten am besten einsetzen und muss nicht alle Kräfte für Helferaufgaben verpulvern“, sagt er nach mittlerweile zwei Etappensiegen. Ähnlich verhält es sich mit dem späten Karriereglück von Teamkollege Cavendish. Sowohl bei Sky als auch bei Etixx musste er Ressourcen mit den Klassementfahrern teilen. Jetzt ist alles auf den 31-Jährigen zugeschnitten. Und Cummings, der im Flachen Cavendish unterstützt, weiß, dass er an anderen Tagen sein eigenes Ding machen kann. Die Lockerheit bei Dimension Data bringt prompt Ergebnisse.

Ein australisches Team als Entwicklungshelfer

Gar nicht erst den Weg über Team Sky wählt die neue Generation. Die Zwillinge Simon und Adam Yates gelten als die hoffnungsvollsten Talente der Insel. Die Aussicht, auf viele Jahre bei Team Sky im Schatten von Froome und dessen Adjutanten zu stehen, verschlug sie mit 22 Jahren zum australischen Team Orica. Die britischen Talente gedeihen dort prächtig.

Und trotz der Erfolge fehlen bisher große Verdachtsmomente auf der Insel. Es gab den Fall Tiernan Locke bei Sky, der wegen Unregelmäßigkeiten im Blutpass gesperrt wurde. Und Simon Yates musste in dieser Saison vier Monate aussetzen, weil für ein Medikament keine therapeutische Ausnahmegenehmigung beantragt war. Es handelte sich jedoch um einen minderen Verstoß, an dem sein Arzt die Schuld trug.

Sky-Chef Brailsford beobachtet die Youngster genau. Gut möglich, dass ihn Sky bald verpflichtet. Das wäre dann Stufe vier: Nachdem man Talente erkannt, sie ausgebildet und woanders hat reifen lassen, holt man sie zurück. An britische Dauerpräsenz auf Frankreichs Siegerpodien wird man sich für längere Zeit gewöhnen müssen.

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