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Sport: Radsport: Stolz auf den vorletzten Platz

Plötzlich kam der Nachwuchsmann dem Star ganz nahe. Zu nahe.

Plötzlich kam der Nachwuchsmann dem Star ganz nahe. Zu nahe. Bernhard Wächter, der 21-Jährige, fuhr letzte Woche in Stuttgart sein erstes Sechstagerennen, der 42-jährige Etienne de Wilde sein 188. Irgendwann passierte es, nachts, beim Wechsel. Wächter sauste von oben heran, um seinen Partner Andreas Müller abzulösen. Dabei übersah er de Wilde und fuhr ihn an. Der Belgier stürzte und verletzte sich so schwer, dass er in Berlin mehrfach neutralisiert, also vorübergehend aus dem Rennen genommen werden musste.

Wächter erwähnt den Vorfall mit keinem Wort. Müller, ein Typ mit Berliner Schnauze, ist es, der davon erzählt. "Er hat sich entschuldigt, de Wilde hat gesagt, es sei alles in Ordnung. Mehrmals bei einem Rennen sollte man sich das als junger Bursche aber nicht leisten." Im Velodrom verursachte das Team Nr. 17 in den lila Trikots bislang keinen Zusammenstoß. Nach der vierten Nacht hat es 13 Runden Rückstand. Was ziemlich gut ist: "Wir wollen auf keinen Fall Letzter werden", hatte Wächter angekündigt. Zurzeit sind sie Vorletzter.

Die Premiere bei den Sixdays ist knochenhart. Zumal sie zwölf Tage dauert - zwischen dem letzten Sprint in Stuttgart und dem ersten in Berlin lagen keine 24 Stunden, viel Stress, kaum Schlaf. Völlig erschöpft kamen sie an. Wächter fiel in Stuttgart einen Tag mit Fieber aus, Müller gestern wegen einer Erkältung. Aber sie wollen sich durchbeißen, unbedingt. Der Sieg beim Zukunftsrennen 2000 bescherte ihnen einen Profivertrag und den Start im Kreis der Weltbesten im Velodrom. "Das ist ein wahnsinniger Unterschied, die fahren teilweise seit 20 Jahren", sagt Andreas Müller. Er lernte vor 20 Jahren gerade laufen.

"Ganz schön schnell" sind die Aldags, Risis und Baffis. Und das auch morgens um zwei. Mit der seltsamen Uhrzeit, zu der sie über die Bahn rasen müssen, haben die beiden noch zu kämpfen. Trotzdem sitzen sie in einer Pause zufrieden im Fahrerlager. "An Übersicht und Technik haben wir schon was gelernt", sagt Andreas Müller.

Die beiden starten für das neuformierte Berliner KED-Bianchi-Team, zu dem auch Guido Fulst gehört. Mit ihm, Robert Bartko und Andre Kalfack holte sich Müller den deutschen Meistertitel im Vierer-Mannschaftsfahren. "Den Hauptanteil hatte ich daran nicht", sagt er lachend über den Sieg mit den Olympiasiegern Bartko und Fulst. Beim gemeinsamen Training geben die Cracks Tipps und bremsen auch mal den Ehrgeiz der Jungen. Der verstorbene Bundestrainer Robert Lange brachte Müller und Wächter zusammen. Zusammen wurden sie Vizeeuropameister der U 23 und fuhren bei der EM der Elite im November auf Platz sechs. Wächter muss im März seine zweimonatige Grundausbildung in der Sportfördergruppe der Bundeswehr absolvieren, so dass für gemeinsames Training erst einmal keine Zeit bleibt. Müller plant ohnehin zweigleisig. Er will sich im Vierer versuchen, nachdem durch Bartkos Wechsel zum Team Telekom ein Platz frei geworden ist. Außerdem ist die interne Konkurrenz im Zweier-Mannschaftsfahren übermächtig: Stefan Steinweg und Erik Weisspfennig sind die amtierenden Weltmeister.

Obwohl Bernhard Wächter und Andreas Müller im Velodrom hinterherfahren, ist Dieter Stein, der sie zusammen mit Uwe Freese trainiert, zufrieden. "Sie machen das sehr gut. Es ging darum, dass sie überhaupt dabei sind." Mehr lernen könnten sie, wenn sie sich nicht gemeinsam, sondern jeder mit einem erfahrenen Partner abstrampeln würden. "Darüber werden wir nachdenken", sagt Stein. Noch jubelt das Publikum Kappes, Fulst und Aldag zu. Aber vielleicht ergeht es Wächter und Müller ja so wie dem jungen Mann, der 1986 in Gent sein erstes Sechstagerennen mit 41 Runden Rückstand beendete. Sein Name: Silvio Martinello. Er hat mittlerweile 24 Sechstagesiege eingefahren, gewann vor einem Jahr in Berlin und letzte Woche in Stuttgart.

Helen Ruwald

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