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Helmut Schulte, 55, ist seit Januar Sportdirektor beim österreichischen Rekordmeister Rapid Wien. Während der Lokalrivale Austria den Titel holte, wurde Rapid mit 25 Punkten Rückstand Dritter. Schulte war früher Trainer bei Schalke, Dresden und St. Pauli.

© dpa

Rapid-Sportdirektor Helmut Schulte: "Ich leiste es mir, ein Fußballromantiker zu sein"

Helmut Schulte, Sportdirektor bei Österreichs Rekordmeister Rapid Wien, spricht im Interview über Vertrauen, unvermeidliche Trainerentlassungen und Fußball als Business.

Herr Schulte, ich möchte mit Ihnen über Vertrauen reden. Wie viel Platz bleibt dafür im Tagesgeschäft Fußball?

Die Kraft des Vertrauens wird im Profifußball unterschätzt. Es wird manchmal auch leichtfertig weggegeben. Denn es ist total einfach, die Schwächen eines Menschen zu erkennen, wenn er so im Fokus steht wie ein Bundesligatrainer. Aber zu vertrauen bedeutet, mit Fehlern leben zu können.

Obwohl es bei Rapid Wien sportlich nicht lief, haben Sie kurz nach Ihrem Amtsantritt im Januar mit Trainer Peter Schöttel vorzeitig bis 2015 verlängert. Warum?

Ich war vier Wochen in der Vorbereitung dabei, da hatte ich ein sehr gutes Gefühl aufgrund seiner Autorität und Ausstrahlung. Und durch die Einschätzungen der Menschen, die schon lange mit ihm arbeiten, war ich davon überzeugt, dass er der richtige Trainer für Rapid ist. Es war wichtig, das auch nach außen zu zeigen. Gerade in der schwierigen Phase.

Weil Sie seine Situation kennen?

Ja, ich habe selber erlebt, wie machtlos man als Trainer ist, wenn das ganze Ding in die Grütze geht und man keine klaren Zusagen von denen hat, die über einem sitzen. Der Trainer muss eine starke Position haben, weil ein schwacher Trainer nie erfolgreich sein wird.

Das ist ja nicht nur im Fußball so.

Nein, so ist unsere Welt: Wir brauchen die Fixierung auf eine Person, der im Erfolg alles zugeschrieben wird und im Misserfolg auch. Das ist nicht gut. Allerdings bin ich auch nicht naiv. Wenn eine Niederlagenserie immer länger wird, hat man irgendwann keine andere Wahl mehr als den Trainer auszutauschen. Doch bis dahin kann man einiges drehen.

War Mitte April dann nichts mehr zu drehen, als Sie Schöttel entlassen haben?

Wir haben lange genug zu unserem Trainer gestanden, weil er eine Rapid-Ikone ist und weil er seinen Job auch gut gemacht hat. Aber als Trainer ist man immer abhängig von den Ergebnissen. Wir haben nur einmal in zehn Spielen gewonnen. Nach der Niederlage gegen den Drittligisten Pasching im Pokal waren wir dazu gezwungen, obwohl wir das nicht wollten. Es hat uns allen leidgetan hier im Klub, aber es ging halt nicht anders.

Warum haben Sie kurz nach dem Pokal- Aus gesagt, Schöttel sei noch der Richtige?

Weil ich keinen Spalt breit von meinem Trainer abrücke, bis eine Entscheidung gefallen ist. So muss man das interpretieren. Dass wir intern da natürlich schon diskutiert haben, versteht sich von alleine.

Kurz vor der Trainerentlassung hatten es Rapids Fans auf auf Sie abgesehen und gefordert, dass Sie zurück an die Waterkant sollten. Sie hatten auf einen Aufruf der Fans zum Stadionboykott geantwortet, wer Rapid im Herzen trage, werde die Mannschaft auch im Stadion anfeuern. Wie empfanden Sie die Anfeindungen gegen Sie nach so kurzer Amtszeit?

Die sind einem absoluten Missverständnis zuzuschreiben. Eine Aussage, mit der ich versucht habe, alle hinter die Mannschaft zu bringen, ist von Teilen der Presse missverständlich wiedergegeben worden. Aber nachdem wir das klargestellt haben, hat es kein einziges Mal wieder eine Anfeindung im Stadion gegen mich gegeben.

"Die Fehler von Menschen machen den Fußball erst attraktiv"

Und wie steht es mit dem Vertrauen der Vereinsführung zu Ihnen?

Das spüre und erlebe ich in der tagtäglichen Zusammenarbeit.

Rapid ist Ihre erste Auslandsstation nach St. Pauli, Schalke, Dresden und Lübeck. Beim FC St. Pauli waren sie gleich dreimal. Darauf spielt auch der Titel Ihres gerade erschienenen Buches an. Wie waren denn Ihre ‚Drei St.-Pauli-Leben'?

Beim ersten Mal bin ich als Trainer in die Bundesliga aufgestiegen, da war alles super. Beim zweiten Mal, als Manager, war es von Anfang an verseucht. Der damalige Präsident wollte mich eigentlich gar nicht. In der Situation habe ich Fehler gemacht, da war ich noch zu unerfahren. Deswegen bin ich 2008 als Sportdirektor zurückgekehrt, um das geradezubiegen.

Zum Ende Ihrer Amtszeit bei St. Pauli 2012 gab es auch eine Trainerentlassung – mit schlechtem Ausgang für Sie …

Das Präsidium hatte erst mit mir vereinbart, Trainer André Schubert zu entlassen, um dann ohne mich zu entscheiden, dass er doch bleibt. Das hat den Trainer, das Präsidium und mich geschwächt. Deshalb habe ich die Vertrauensfrage gestellt: Entweder mein Vertrag wird verlängert oder aufgelöst. Mit beidem hätte ich leben können, aber nicht mit dieser Unklarheit.

Ist es besonders schmerzhaft, so zu gehen?

Natürlich, ich habe auch überlegt, ob ich etwas falsch gemacht habe. Aber ich hatte keine andere Wahl und habe mir nichts vorzuwerfen. Der Verein steht wirtschaftlich besser da als zuvor. Ich habe meine offene Rechnung also beglichen.

In Ihrem Buch kritisieren Sie technische Hilfsmittel im Fußball wie den Videobeweis. Warum?

Weil er dem Fußball so viel von seinem Reiz nehmen würde. Über das Wembleytor würde heute gar nicht mehr geredet, wenn damals ein Chip im Ball gewesen wäre.

Befürworter meinen, dass zu viel Geld dabei auf dem Spiel stehe.

Das sind Technokraten. Fußball ist ein Spiel, das leider immer mehr zum Business wird. Man will nicht mehr mit den Unvollkommenheiten von Menschen leben, doch die Fehler von Menschen machen dieses Spiel erst so attraktiv.

Viele Trainer sehen das anders als Sie.

Weil sie meinen, dass sie öfter benachteiligt werden. Aber am Ende gleicht sich alles aus. Es gibt keinen Trainer, Spieler oder Präsidenten, der im Fußball von sich sagen könnte: Ich habe durch Fehlentscheidungen mehr Nachteile als Vorteile gehabt.

"Den reinen K.-o.-Modus fand ich super"

Es wäre auch ungerecht, wenn Schiedsrichter keine Fehler mehr machen dürften, die Spieler aber schon.

Genau. Der Schiedsrichter macht im Spiel weniger Fehler als jeder Spieler. Aber keiner regt sich so über eine verpasste Torchance auf wie über eine übersehene Schwalbe. Dass ein Spieler versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen – das ist die Sauerei! Ich kann das doch nicht dem Schiedsrichter vorwerfen.

Wie kommen Sie damit klar?

Indem ich eine kritische Distanz zum Geschehen im Profifußball halte.

Sie sind enttäuscht, dass das Spiel zum Business verkommt, obwohl Sie damit Geld verdienen?

Ich bin hin- und hergerissen: Ich leiste es mir, ein Fußballromantiker zu sein. Trotzdem ist es schön, dass dieses Spiel so groß geworden ist. Aber der Fußball soll nicht unter dem Diktat des Geldes stehen.

Was missfällt Ihnen zum Beispiel?

In der Champions League gibt es die Gruppenphase, wodurch die Klubs sichere Geldeinnahmen haben. Dafür wurde aber der reine K.-o.-Modus abgeschafft. Den fand ich super, weil er auch Steaua Bukarest oder Roter Stern Belgrad in die Lage versetzt hat, den Landesmeisterpokal zu gewinnen. Heute ist das unmöglich.

Sie sind seit 25 Jahren im Profifußball. Auf welche Stärken können Sie sich verlassen?

Ich kann Menschen gut führen. Vertrauen und Kontinuität sind zwei meiner Charakterstärken. Denn ich glaube, je länger ein Mensch einen Job macht, desto besser wird er darin. Das ist meine Erfahrung als Spieler, Trainer, Nachwuchsleiter und Sportdirektor – sogar um den Rasen musste ich mich schon kümmern. Davon gibt es nicht viele.

Ist Selbstvertrauen das Wichtigste?

Selbstwirksamkeit ist wichtiger – ich mache etwas und erreiche damit etwas. Alle Menschen versuchen, Glück zu finden und Leid zu vermeiden. Wenn man das weiß, ist es auch leichter, andere zu respektieren. Das hat mir oft geholfen, aber auch viel Kritik eingebracht.

Weil Sie zu verständnisvoll sind?

Weil ich manchmal zu nachsichtig bin. Dafür musste ich mich bisher am meisten tadeln lassen. Weil ich zu harmoniebedürftig bin und Radikalentscheidungen meide. Aber zu viel Verständnis? Geht doch eigentlich nicht, oder?

Empfinden Sie sich als zu selbstkritisch?

Ja, ich bin eher zu selbstkritisch. Obwohl man mir das vielleicht nicht anmerkt, gehe ich sehr hart mit meinen Entscheidungen ins Gericht.

Das Gespräch führte Jan Mohnhaupt.

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