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Keiner will mit mir spielen. Das Maskottchen von RB Leipzig.

© dpa

RB Leipzig: Die guten Bullen

RB Leipzig ist wegen seines Sponsors zum Hassklub im deutschen Fußball geworden – doch eigentlich ist das, was dort passiert, eine Wohltat.

Es gibt diese Legende mit dem Kirchplatz und Fußballern von Westfalia Schalke zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Um von der Umkleide zum städtischen Sportplatz zu gelangen, trabten die Spieler über einen Kirchplatz. Auch sonntags und zum großen Ärger der Kirchgänger. Es soll schon mal zu Tumulten gekommen sein. Mancher in Gelsenkirchen hätte den Freizeitsportlern ihre Aktivitäten am liebsten verboten. So weit kam es gottlob nicht. Knapp 100 Jahre später ist Schalke 04, Nachfolger von Westfalia, einer der Kultklubs im Lande. Spielt in einem Stadion mit dem unkultigen Namen „Veltins Arena“ und trägt in der Bundesliga den Schriftzug des nicht eben unumstrittenen russischen Energiekonzerns „Gazprom“ auf der Brust.

Aber Schalke hat 99 Jahre lang Tradition gesammelt, hat Fans, die mitleiden, provoziert Emotionen, bewegt Millionen, polarisiert – in der deutschen Fußballszene, die Neuem und Anderem erst einmal mit Misstrauen begegnet. An der TSG Hoffenheim klebt seit einigen Jahren das Etikett „Retortenklub“. Und seit jüngster Zeit wird ein Verein, der unter dem lustigen Signet RasenballSport Leipzig firmiert, von vielen Fußballfans geächtet. Der unsinnige Klubname ermöglicht das Kürzel RB, die Initialen des allmächtigen Hauptsponsors Red Bull. Der Brausekonzern aus Österreich pumpt in Europa Milliarden Euro in den Sport, seit vier Jahren Millionen in RB Leipzig. Nach Anlaufschwierigkeiten sind die Leipziger im Profifußball angekommen, die erste Saison in der Dritten Liga spielen sie unter dem Motto: „Ab durch die Dritte“. Es ist eine Frage der Zeit, bis RB Leipzig in der Bundesliga aufschlägt. Wenn es nach den meisten deutschen Fußballfans geht, darf es nicht dazu kommen. RB Leipzig ist in vier Jahren – 2009 verleibte sich der Konzern den damaligen Oberligisten SSV Markranstädt ein – zum unbeliebtesten Fußballklub Deutschlands geworden.

Viele wollen nicht spielen gegen diese neureichen Kerle. Die, die es nicht müssen, gehen ihnen aus dem Weg. Im Sommer 2011 haben Rot-Weiss Essen und der 1. FC Union Tests gegen RB Leipzig abgesagt. Volkes Stimme war zu stark, nach heftigen Fanprotesten gaben die Kluboberen auf. Bei Erzgebirge Aue schrieben die Anhänger ein Jahr später einen empörten Brief ans Präsidium. Das Freundschaftsspiel wurde abgesagt. Die Liste wurde länger und länger: Die Offenbacher Kickers, der 1. FC Nürnberg und 1860 München sagten Tests gegen Leipzig ab. Essenz der Proteste der Sechziger: Gegen Red Bull spielt ein anständiger Klub nicht. Dabei leben die Münchner Moralapostel nur noch deshalb im Profifußball, weil ein Scheich viele Millionen Euro hineingepumpt hat. Hertha BSC spielte im Sommer 2013 zwar gegen Leipzig, aber unter Fanprotesten dann schließlich für einen guten Zweck. Das Spiel sei „peinlich für Fußballdeutschland“, hieß es aus Fankreisen. Und Manager Michael Preetz versprach, „dass es kein Testspiel mehr gegen RB Leipzig geben wird“.

Die junge Geschichte des RB Leipzig – ein einmalig rasanter Aufstieg zur Unpopularität. Hat der Klub das verdient, oder ist es nicht eher die erste große begrüßenswerte Chance, den Fußball in der Fußballdiaspora Ostdeutschland nach oben zu bringen? Gibt es überhaupt gute und schlechte Mäzene im Fußball, und lebt ein Klub wie Schalke 04 mehr Moral als RB Leipzig?

Red Bull ist kein Wohltätigkeitsverein. Im Gegenteil, bei Events des Konzerns aus Salzburg sind Risikosportler ums Leben gekommen. Nach zum Teil wahnwitzigen Manövern, Sprüngen mit Gleitschirmen von Dächern, Flügen durch viel zu enge Felsspalten. Extremsportler, die über die Grenzen hinausgehen und zum Teil an ihnen scheitern. Die Message von Red Bull ist eine merkwürdige, die Öffentlichkeitsarbeit mitunter auch. Und den öffentlichkeitsscheuen Konzernchef Dietrich Mateschitz durchweg sympathisch zu finden, fällt auch nicht gerade leicht. Wobei, welcher Milliardär wird schon breitflächig geliebt? Und warum sollten andere Klubsponsoren in Schalke oder die Werder-Bremen-Wiesenhof-Hähnchen auf der Brust in eine moralisch bessere Kategorie fallen? Hat Bayer aus Leverkusen immer nur Gutes für die Menschheit getan? Und welcher Sponsor im Sport will nicht, dass seine Marke durch seinen Verein an Popularität gewinnt?

RB Leipzig ist unverbraucht. Tradition kann auch Ballast sein

Red Bull investiert, und eigentlich ist diese Investition eine Wohltat für den Fußball. In Österreichs Fußball engagiert sich Red Bull schon seit Jahren, in Ghana, in den USA und nebenbei auch im Eishockey. Dort gibt es jetzt sogar Red Bull München – im Fußball undenkbar, weil nicht erlaubt ist, dass Sponsorentitel im Klubnamen auftauchen. Bayer Leverkusen einmal ausgenommen. Ein Fantasiekonstrukt wie RasenBallsport ist jedoch auch nicht neu, in der Zweiten Liga gab es vor einem Jahrzehnt „Leichtathletik Rasensport“ Ahlen. Das Kürzel „LR“ sollte wie „RB“ den Sponsor assoziieren, die „LR International“.

Diese Brandmarke hat schon die LR Ahlen anders sein lassen, war eine Auffälligkeit, so wie nun RB. Dabei könnten sie ihr Kind ruhig beim Namen nennen, denn in Leipzig entsteht Vorbildliches in der Nachwuchsarbeit. Der Bau des 35 Millionen Euro teuren Nachwuchs- und Trainingszentrums etwa. Der Klub investiert in Sachsen, Mateschitz hat schon 100 Millionen Euro in RB Leipzig gepumpt, nebenbei hat sich sein neuer Klub auch Sympathien in der Leipziger Sportszene erkauft: Zuletzt spendete der Klub 50 000 Euro an den notorisch klammen Frauen-Handball-Bundesligisten HC Leipzig. Das kommt an in der Stadt, in der das zuvor selten bespielte Leipziger WM-Stadion endlich eine sinnvolle Nutzung findet. Und die Leipziger nehmen den neuen Fußballklub an, wie die ersten Punktspiele in der Dritten Liga gezeigt haben. Zuletzt kamen gegen Kiel fast 12 000 Zuschauer. Eine gute Kulisse für die Drittklassigkeit. In Elversberg, beim Auswärtsspiel der Leipziger ein paar Tage später, kamen 860 Menschen.

RB Leipzig ist eben unverbraucht. Tradition kann auch Ballast sein, viele Traditionsklubs, gerade im Osten, haben Anhang, in dem mancher Krawall mag. RB ist eben nicht Lok Leipzig.

Hatte sich der Klub in den ersten drei Regionalligajahren sportlich eher schwer mit einer Identitätsfindung getan, so ist das in Jahr vier anders. Inzwischen sind die Spieler jünger, es gibt kaum abgetakelte Stars und eben keine brutalen Fans. RB wird, auch wenn diese Saison holprig anläuft, bald in der Bundesliga spielen. Und dann womöglich einen anderen – Traditionsklub – aus der Liga verdrängen. So funktioniert Kapitalismus, so funktioniert Profisport.

Immer wieder wird Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick auf Gemeinsamkeiten mit seiner Zeit bei der TSG Hoffenheim, dem Retortenklub des SAP-Milliardärs Dietmar Hopp, angesprochen. Rangnick sagte unlängst: „In Hoffenheim waren wir ein kleiner Dorfklub mit guten Bedingungen, aber das war nicht vergleichbar mit Leipzig.“ So ein Projekt wie in Leipzig hätte im Ostfußball nicht von alleine aufgestellt werden können. Und warum soll der Fan Hansa Rostock sympathischer finden als RB Leipzig? Weil sie bei Hansa schlechter wirtschaften als in Leipzig, die Marketingabteilung nicht das Glück hat, einen so großen Mäzen wie Red Bull zu finden? Oder sitzen dort Menschen, die mögliche Finanziers erst mal moralisch abklopfen?

Vieles, was RB Leipzig an Hass entgegenschlägt, ist durch Unsinn motiviert. Und macht die Marke letztlich nur stärker. Denn was polarisiert, ist auch interessant. Ob RB-Hasser eigentlich auch gerne Formel-1-Rennen schauen? Für Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel jubeln und RB Leipzig alles Schlechte wünschen, das ist heuchlerisch.

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