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Sport: Rekord mit Führung

Regina Vollbrecht kann nicht sehen – und läuft schneller als die meisten anderen Starter

Hingefallen ist sie erst ein einziges Mal. Und das auch nur, weil ein anderer Läufer, bei dem mit der Kraft auch die Konzentration nachließ, nicht aufgepasst hatte. Regina Vollbrecht ist blind, von Geburt an. Trotzdem muss sie oft überholen, und dafür ist beim Marathon in der Läufermasse kaum Platz. Regina Vollbrecht läuft schneller als die meisten anderen Teilnehmer. Am Sonntag will sie ihre eigene Weltbestzeit unterbieten, die sie mit 3:31:36 Stunden im April in Hamburg aufgestellt hat. Im vergangenen Jahr war sie in Frankfurt am Main eine Viertelstunde langsamer gelaufen und hatte erst nachher erfahren, dass sie bereits damit eine neue Weltbestzeit aufgestellt hätte. „Aber ich wusste gar nicht, dass man zur Dopingprobe muss“, sagt die 29-Jährige.

In Berlin wird sie eine Probe abgeben, mit ihrem Rekordversuch will sie auch Aufmerksamkeit für blinde und sehbehinderte Athleten erzeugen. Regina Vollbrecht hat sogar schon zweimal den Ironman-Triathlon in Roth geschafft, bei dem vor dem Marathonlauf 3,8 Kilometer geschwommen und 180 Kilometer Rad gefahren werden müssen. „Besonders schwierig ist das Atmen beim Schwimmen, weil ich die Wellen nicht sehe“, sagt Vollbrecht. Zur Orientierung war sie über einen umgelegten Fahrradschlauch mit ihrem Mann verbunden, die Radstrecke bewältigten beide mit dem Tandem.

Am Sonntag starten sieben weitere blinde und sehbehinderte Läuferinnen und Läufer, sie haben alle zusammen mit ihren Begleitern trainiert. Regina Vollbrecht ist neben den anderen Einheiten zweimal in der Woche zusammen mit Franz Feddema gelaufen. Der erfahrene Marathonläufer und Trainer beim Veranstalter SCC Running soll sie im hinteren Streckenteil als letzter von drei Begleitern ins Ziel führen. „Als wir zum ersten Mal trainierten, hatte sie nach 100 Metern einen Zweig am Kopf. Von da an wusste ich, wie sehr ich mich konzentrieren muss“, sagt Feddema. Die Begleiter müssen nicht nur schneller laufen können als Vollbrecht und ihren Trinkrucksack tragen, weil ein Stopp bei den Verpflegungsstellen zu umständlich ist. Die „Guides“ führen die blinde Athletin mit kleinen Bewegungen an einer Schnur, in Kurven nehmen sie sie ans Handgelenk. „Das erfordert viel Vertrauen. Zudem weist der Begleiter auf Steigungen, Zeiten und Kilometer hin“, sagt Vollbrecht. Zeit dafür, von der Kulisse am Rand der Strecke zu erzählen, bleibt kaum.

Damit sie im Gewusel besser wahrgenommen wird, hat Regina Vollbrecht neben dem Trikot mit den drei schwarzen Punkten auf gelbem Grund auch ein kleines Fähnchen auf ihrem Kopf. Viele andere Läufer schreiben ihre Namen auf die Arme oder das Trikot, damit die Zuschauer sie bejubeln können. „Ich höre auch so, wenn wir angefeuert werden. Und bei der lauten Stimmung in Berlin muss ich mich auf die Anweisungen der Begleiter konzentrieren. Hier ist es schwierig, die Schritte der Läufer wahrzunehmen“, sagt Regina Vollbrecht.

Ein Geräusch nimmt sie in all dem Lärm aber auf jeden Fall wahr: Wenn vor ihr andere Läufer die Füße auf die Zielmatte am Brandenburger Tor setzen. Ihr Begleiter wird ihr dann sagen, ob sie eine neue Weltbestzeit gelaufen ist.

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