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Let’s roll. Annika Zeyen, 30, Rekordnationalspielerin, trainiert schon für Rio 2016.

© Michael Schwartz

Rekordnationalspielerin im Rollstuhlbasketball Annika Zeyen im Interview: "Die Aufmerksamkeit für Behindertensport wird größer"

Annika Zeyen spielt im Rollstuhlbasketball-Nationalteam. Im Interview verrät sie, wie sie zum Rollstuhlsport kam und wo man ihr demnächst beim Dribbeln zusehen kann.

Frau Zeyen, wir wollen Ihnen zunächst gratulieren.
Oh, Sie meinen den zweiten Platz bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres 2014? Ja, das stimmt, danke, das war eine große Freude, denn das Jahr der Auszeichnung 2015 ist ja kein paralympisches Jahr – und es ist schön, dass die Jury und auch die Menschen, die übers Internet abgestimmt haben, mich auf dem Schirm hatten.

Nun ja, das ist nicht verwunderlich, denn Sie sind mit mehr als 200 Spielen derzeit Rekordnationalspielerin der deutschen paralympischen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft und haben in London 2012 mit ihrem Team Gold geholt. Was ist bei Ihren Partien eigentlich anders als beim Fußgänger-Basketball?
Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede: gleiches Spielfeld, gleiche Regeln, aber ein Unterschied ist das sogenannte Klassifizierungssystem. Die Mannschaft wird nach Punkten besetzt, die fünf Feldspieler dürfen zusammen auf nicht mehr als 14,5 Punkte kommen. Ich bin mit 1,5 Punkten klassifiziert, wenn jemand mehr Bewegungspotenzial hat, beispielsweise als Fußgänger mit einer Knieverletzung Rollstuhlbasketball spielt, dann bekommt die Person eher eine hohe Punktzahl auf der Skala von 1 bis 4,5.

Wenn man das erste Mal Rollstuhlbasketball sieht, hat man als Nichtbehinderter den Eindruck, dass da Rollifahrer im Schnell-Vorspul-Modus auf dem Feld unterwegs sind, so fix und wendig sind alle unterwegs.
Deshalb setzen sich auch viele Fußgänger freiwillig in den Rollstuhl, die Sportart macht Spaß und ist anspruchsvoll. Wir müssen ja aus dem Sitzen während der Fahrt auf den Korb – der übrigens nicht tiefer hängt – werfen. Da braucht man Kraft in Oberkörper und Armen. Seit 2002 spiele ich fest im Kader der Nationalmannschaft, mit der ich fünfmal Europameister wurde, bei der WM 2006 Bronze holte, bei der WM 2010 und 2014 jeweils Silber und bei den Paralympics 2008 in Peking die Silbermedaille gewonnen habe. Stolz bin ich auch auf individuelle Auszeichnungen wie die Wahl in das Allstar-Team der WM 2006 und 2014 und der EM 2007 und 2013.

Wie kamen Sie zum Rollstuhlsport?
Mein Vorteil war, dass ich auch vor meinem Reitunfall im Alter von 14 Jahren – seitdem ich komplett querschnittgelähmt bin – total sportlich war. Als ich in der Klinik hörte, dass man auch als Rollstuhlfahrer Sport treiben kann, war ich happy und habe die Reha-Angebote der Kliniken gern genutzt. Kaum war ich entlassen, habe ich mir einen Verein gesucht, den ASV Bonn. Inzwischen spiele ich bei den BG Baskets Hamburg, den BG Baskets Damen und in der Nationalmannschaft.

Können Ihnen Besucher bei den „Tagen ohne Grenzen“ beim Dribbeln zusehen?
Ja, es werden einige von uns Spielerinnen dabei sein, am Sonnabend, wir kommen Freitagabend erst vom Trainingslager aus Lanzarote zurück.

Die Hansestadt ist jetzt Bewerbermetropole für die Paralympics 2024 – ist Hamburg fit für die Spiele?
Ich hatte die Ehre, bei der Vorstellung des Konzeptes in der Frankfurter Paulskirche den Paralympics-Teil präsentieren zu dürfen. Und ich kann sagen: Ja, Hamburg ist sehr fit. Selbst unabhängig von der Entscheidung für die Bewerberstadt hatte die Stadt entschieden, alle S- und U-Bahnhöfe behindertengerecht auszubauen. Es gibt auch schon seit einigen Jahren das „Team Hamburg“, da bekommen olympische und paralympische Sportler die gleiche monatliche Förderung, einen dreistelligen Euro-Betrag.

Erst einmal ruft aber Brasilien, die nächsten Sommerspiele sind in Rio 2016.
Ja, und dafür trainieren wir schon. Ich bin drei Tage die Woche in Bonn, trainiere dort und fliege von Donnerstag bis Sonntag nach Hamburg. Am Wochenende habe ich mit einer der Mannschaften Spiele, es gibt zwischendurch auch Trainingslager und Länderspiele. Die nächsten Testspiele sind in Kanada, in Großbritannien, den Niederlanden und in den USA.

Viele Behindertensportler zahlen aus eigener Tasche drauf. Wie ist das bei Ihnen?
Bei uns Rollstuhlbasketball-Nationalspielern werden die Kosten von Unternehmen als Sponsoren getragen. Und es gibt die Förderung vom Team Hamburg und der Stiftung Deutsche Sporthilfe.

Was machen Sie beruflich?
Ich bin seit zwei Jahren beim Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) in der Marketingabteilung im Bereich Branding und Design tätig. Wir entwickeln den Look der Spiele auch bei Welt- und Europameisterschaften, und ich habe auch schon Kontakte zu den Paralympicsstädten Pyeongchang 2018 und Tokio 2020. Die Aufmerksamkeit und das Interesse am Behindertensport ist in den vergangenen Jahren größer geworden, das ist deutlich zu spüren.

Das kennen Sie aus den USA aber noch ganz anders, da hat Behindertenleistungssport teilweise schon einen anderen Stellenwert.
Das stimmt. Ich war nach fünf Jahren beim RSV Lahn-Dill an die University of Alabama in Tuscaloosa gewechselt. Da habe ich ein Sportstipendium gehabt, sodass ich neben meinem Studium optimal in den Uni-Sportstätten trainieren konnte. Hier in Deutschland sind wir auf einem guten Weg, und ich bin jetzt auch ein Gesicht der Inklusion-durch-Sport-Kampagne vom Deutschen Rollstuhlsportverband namens „Gemeinsam was ins Rollen bringen“.

Das Gespräch führte Annette Kögel.

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