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Das Rekordtor. Claudio Pizarro hat es gerade geschossen - es ist wahrscheinlich nicht sein letzter Rekordtreffer.

© Imago/Nordphoto

Rekordschütze Claudio Pizarro: Der ewig Gute

Claudio Pizarro hat eine seltene Gabe, die ihn heraushebt - und für Werder Bremen so wichtig macht. Womöglich hängt er sogar noch eine Saison dran.

Am Ende ist es gar nicht der Rekordtreffer selbst, der diesen Bundesligaspieltag so überstrahlen wird. Es sind die Sequenzen seiner Entstehung. In der vierten Minute der Nachspielzeit bekommt Werder Bremen im Berliner Olympiastadion einen Freistoß zugesprochen. 18 Meter vor dem Tor, ziemlich zentrale Lage. Eigentlich eine Angelegenheit für Werders Kapitän Max Kruse. Es wird auf jeden Fall die letzte Aktion sein, für Bremen die letzte Chance, die drohende Niederlage abzuwenden. Claudio Pizarro, der erst seit wenigen Minuten auf dem Rasen ist, verwickelt Kruse, der schon bereitsteht, mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht in einen kleinen Plausch. Danach tritt Pizarro selbst an – und trifft.

Es soll ein Tor werden, das schwerer wiegt als das glückliche Unentschieden in diesem Moment. Es ist ein Tor, das Geschichte schreibt. Mit 40 Jahren und 136 Tagen wird Pizarro der älteste Torschütze, der je ein Tor in der Bundesliga geschossen hat. Ausgelöscht ist damit der 23 Jahre alte Rekord von Mirko Votava, heute 62 und Co-Trainer beim SV Werder.

Die fast 7000 Bremer Fans, die an diesem Abend ins Stadion gekommen sind, können sich vor Jubel kaum auf den Beinen halten. Die Masse im Block der Westkurve wiegt hin und her. Sie ruft seinen Namen. Den Namen ihres Lieblings, ihres Fußballgotts – den Namen einer spielenden Legende. Selbst in den neutralen Bereichen des Olympiastadion rühren sich vereinzelt ein paar Hände zum Applaus. Einige erheben sich von ihren Plätzen für diesen Moment, der zwar auch schmerzt, aber der Schmerz wird weichen. Pizarros Rekord aber wird bleiben, vermutlich für die Ewigkeit.

„Der Typ ist der Wahnsinn“, wird hinterher der Bremer Trainer Florian Kohfeldt sagen. Kaum vorstellbar, dass im modernen Fußball und seiner Schnelllebigkeit eine solche Geschichte sich wird wiederholen können. Die Karrieren der heutigen Spielergeneration beginnen früher – und sie enden eben auch früher. Claudio Pizarro ist aus der Zeit gefallen. Und das im besten Sinne der Wortes. Vor ein paar Tagen hat er seine Mannschaft zum Pokalerfolg beim Bundesligaspitzenreiter Dortmund geführt, in Berlin hat er nun erneut zugeschlagen. Es ist sein 195. Treffer in der Bundesliga, sein 277. wettbewerbsübergreifend.

Darunter waren wunderschöne Tore, erzielt mit links, mit rechts, mit dem Kopf, dem Knie, im Fallen und aus spitzesten Winkeln. Das Tor zum Berliner Ausgleich war eines seiner glücklichsten. Letztlich fälschten gleich zwei Berliner den Schuss von Pizarro ab. Aber egal. Man muss erst einmal drauf kommen, den Ball bei einem Freistoß nicht über die Mauer hinwegzuschießen – in 99 von 100 Fällen wird es so gemacht, Pizarro aber schoss einfach unter ihr durch. Denn in aller Regel springen die Spieler der Mauer in Erwartung des herkömmlichen Verlaufs hoch.

Ja, am Peruaner ist die Zeit nicht vorbei gegangen. Wer ihm nahe kommt, erkennt es an seinen Gesichtszügen. Auch sein Körper hat sich verändert, er ist nicht mehr der drahtige Mann aus dem Jahr 1999, als er aus Lima nach Bremen kam. Übrigens, sein allererstes Bundesligaspiel bestritt Pizarro im August jenen Jahres bei Hertha BSC – es endete wie dieses Mal 1:1.

Inzwischen steht Pizarro zum vierten Mal beim Klub von der Weser unter Vertrag. Zwischendrin war er zweimal beim FC Bayern München, beim FC Chelsea und dem 1. FC Köln engagiert. „Für uns ist er immer noch eine Bereicherung“, sagt der Bremer Innenverteidiger Sebastian Langkamp nach dem Spiel in Berlin. Pizarro selbst gibt sich wie immer bescheiden: „Das ist ein Punkt, der uns sehr bei unseren Zielen hilft.“ Und ja, er sei stolz, „dass ich der älteste Spieler bin, der in der Bundesliga ein Tor gemacht hat. Ich versuche einfach immer noch, wenn ich reinkomme, ein Tor zu machen und der Mannschaft zu helfen.“

Als Bremens Trainer Florian Kohfeldt hinterher gefragt wird, ob er Pizarro als Freistoßschützen bestimmt hätte und das alles so geplant gewesen wäre, sagt er: „Nein, das nicht, das haben Max und er spontan entschieden.“ Kohfeldt ist übrigens vier Jahre jünger als Pizarro. Es sei immer ein gutes Gefühl, „wenn der Claudio 18 Meter vor dem Tor den Ball am Fuß hat“, sagt der Werder-Coach.

Es ist diese seltene Gabe, die Pizarro so heraushebt, die Mischung aus Geschick und Gefühl, aus Raffinesse, Instinkt und Technik. „Es ist seine Liebe zum Spiel“, hat Sebastian Deisler einmal über Pizarro erzählt, der zwischen 2002 und 2007 mit dem Peruaner beim FC Bayern gespielt und mit ihm dreimal das Double aus Meisterschaft und Pokal gewonnen hat. „Einer wie Claudio trägt eine Mannschaft“, erzählte Deisler, „er ist der beste Fußballer, mit dem ich je zusammen gespielt habe.“

Vielleicht wird Claudio Pizarro noch ein weiteres Jahr bei Werder Bremen dranhängen. „Da müssen wir noch schauen“, sagt er und zwinkert dabei, „schauen wir mal, was der Körper in den nächsten zwei, drei Monaten macht.“ Neben ihm steht sein Mitspieler Sebastian Langkamp, der auf dem Weg zu den Kabinen noch ein paar Interviews gibt. Auf die Frage, ob der Altersrekord Pizarro für die Ewigkeit sei, antwortet er: „Ich hoffe es für ihn und für mich. Es ist wie im Märchen“, sagt der 31 Jahre alte Verteidiger. „Ich möchte dieses Märchen gern meinen Kindern erzählen – mit ihm als Protagonisten.“

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