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Teamgeist, Fairplay und Respekt. Fußball soll den Häftlingen in der Jugendstrafanstalt Plötzensee gesellschaftliche Werte vermitteln.

© Kitty Kleist-Heinrich

Resozialisierung durch Fußball: Anstoß hinter Gittern

Das Projekt "Anstoß für ein neues Leben" soll Straftätern in der Jugendstrafanstalt Plötzensee die Resozialisierung durch Fußball erleichtern. Doch nicht alle Insassen sind davon restlos überzeugt.

Die Tür ins neue Leben ist eine riesige Stahlkonstruktion. Sie lässt sich nur per Knopfdruck öffnen und ächzt und rumpelt bei jedem Zentimeter, den sie weichen muss, wenn jemand um Einlass bittet. Der weiße Anstrich verleiht ihr eine sterile Kälte, die durch den schwarzen Schriftzug verstärkt wird: „Jugendstrafanstalt“. Daneben klebt das Abziehbild der mäßig erfolgreichen Werbekampagne „be Berlin“. Schwarzer Humor an einem trostlosen Ort.

Fast alle, die sich an diesem vernieselten Tag hinter der Tür aufhalten, haben nicht um Einlass gebeten. Ein Gericht hat sie dazu verurteilt, ihre Haftstrafe hier in der Jugendstrafanstalt Plötzensee abzusitzen. Weil sie geraubt, geprügelt oder getötet haben. Aber darum geht es heute nicht. Als junge Menschen, „die vom rechten Weg abgekommen sind“, beschreibt Gefängnisleiter Marius Fiedler die Häftlinge, als er sie Vertretern aus Sport, Politik und Gesellschaft in der alten, muffigen Turnhalle der Anstalt vorstellt.

Der Anlass für die Versammlung ist ein neues Projekt, das ab sofort in Plötzensee startet. „Anstoß für ein neues Leben“ heißt es und soll jungen Straftätern bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft helfen. Die Insassen trainieren einmal in der Woche, durch den Fußball sollen sie Werte wie Teamgeist, Fairplay und Respekt vermittelt bekommen. Das Ganze ist eine Initiative der Sepp-Herberger-Stiftung, des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) und der Bundesagentur für Arbeit.

Die Halle ist bei Fiedlers Eröffnungsrede gut gefüllt. Auf der einen Seite sitzen Journalisten, auf der anderen die Teilnehmer der Fußball AG. Sie wirken äußerlich wie eine Mannschaft, die auch am normalen Berliner Spielbetrieb teilnehmen könnte. Es gibt große und kleine Spieler, kräftige und dünne. Einige tragen lange Haare, andere Glatze. Unter den Trikots stechen Tätowierungen hervor. Um in der Fußball AG mitmachen zu können, müssen sich die Häftlinge an Regeln halten. Wer sich daneben benimmt, fliegt raus. Wie im richtigen Leben. Vorne am Rednerpult, einem Stehtisch, der denen an Imbissbuden ähnelt, wechseln sich die Redner ab. Anstaltsleiter Fiedler übergibt das Wort an Berlins Justizsenator Thomas Heilmann, der an den Präsidenten des BFV, Bernd Schultz. Manche Insassen tuscheln, andere starren mit leerem Blick nach vorn. Sich lange zu konzentrieren sind sie nicht gewohnt. Die Worte, die vorne fallen, sind nicht ihre. Resozialisierung. Chancen am Arbeitsmarkt. Prozess.

Worauf kommt es beim Training mit den Insassen an?

Ihre Sprache ist einfacher, rauer. Aber dadurch nicht minder einfach zu sprechen. Werner Poel gelingt es noch am besten, mit den Häftlingen zu kommunizieren. Er ist ein kleiner, aber kräftiger Mann, der reden kann, ohne dabei Luft holen zu müssen. „Vatter Poel“ nennen sie ihn hier drinnen. Eigentlich müsste Vatter Poel nicht mehr in die kleine Turnhalle kommen, durch deren vergitterte Fenster kaum Licht dringt. Er ist längst Pensionär, hat zuvor viele Jahre in der Jugendstrafanstalt gearbeitet. Jetzt ist er als Trainer hier, mit ihm können die Insassen besser als mit dem Coach, den der Verband mal geschickt hatte, erzählt Poel. Er findet den „Anstoß für ein neues Leben“ sinnvoll, auch, weil es nicht nur um Fußball geht. Neben dem Training gibt es Fortbildungen zum Thema Sport, Arbeit und Beruf. Deshalb sind auch Vertreter vom Arbeitsamt da.

Zu Gast. Justizsenator Thomas Heilmann sprach in der JSA.
Zu Gast. Justizsenator Thomas Heilmann sprach in der JSA.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berlin ist nicht das erste Bundesland, das auf dieses Projekt als Resozialisierungsmaßnahme setzt. Erprobt wurde es mit Erfolg in Poels alter Heimat Nordrhein-Westfalen, auch Rheinland-Pfalz, Sachsen und Niedersachsen wollen es versuchen. Poel ist Realist: „Einigen wird es vielleicht was bringen, anderen nicht. Die werden rückfällig.“ So ist auch der Tenor unter den Insassen. Einer verrät hinter vorgehaltener Hand, ihm gehe die Veranstaltung an einem Körperteil im unteren Lendenbereich vorbei. Auf die Frage, ob die beim Fußball vermittelten Werte ihm bei der Rückkehr in die Gesellschaft helfen können, zuckt er mit den Schultern. Ein anderer findet das Projekt dagegen sinnvoll und freut sich bereits, nach seiner Entlassung wieder im Verein zu spielen. Es sind diese Fälle, die Werner Poel treiben. In den vierzig Jahren Anstalt hat er einiges gesehen und erlebt. Dass manche Insassen überhaupt die Bereitschaft zeigen, in einem Team zu spielen, wertet er als Erfolg. „Hier drinnen bilden sich natürlich Grüppchen. Die einen können mit denen nicht und umgekehrt. Wer sich in einer Mannschaft verträgt, hat nach dem Training oft nicht mehr so ein Problem mit seinem Gegenüber.“

Worauf kommt es beim Training mit den Insassen an? „Dass man keine falschen Versprechungen macht. Manche halten dir das noch Jahre später vor“, sagt Poel. Ob er an den Film gleich zu Beginn der Veranstaltung denkt? Oliver Kahn war da zu sehen, wie er eine andere Jugendstrafanstalt besucht und mit den Insassen spricht. Aber Kahn ist an diesem Tag nicht hier. Einmal im Jahr kommt dagegen der Berliner Bundesligist Hertha BSC mit einer seiner Jugendmannschaften. Dann gibt es ein gemeinsames Training, danach ein Abschlussspiel mit gemischten Teams. Herthas Nachwuchs und die Insassen sind manchmal im gleichen Alter. Der gegenseitige Besuch soll abschrecken oder animieren. Je nach Perspektive.

Inzwischen ist das Mikrofon beiseite gelegt, die Diskussionsteilnehmer haben auf eine klapprige Torwand aus Gittern geschossen und plaudern nun bei Kaffee und Streuselkuchen. Gesprächs- und Fragerunden bilden sich. Meist ohne die Insassen. Einige von ihnen haben sich vorne, wo der pultartige Tisch stand, in einem Kreis aufgestellt und halten den Ball hoch. Als er nach einiger Zeit den Boden berührt, bleiben die Schuldzuweisungen aus. Es geht sofort weiter. Der Anstoß scheint gemacht.

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