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Sport: Richtige Spuren und falsche Fährten

Früh schon spezielles oder länger allgemeines Training? Der deutsche Sport streitet, wie aus Talenten Olympiasieger werden können

Berlin - Auf einmal schien das ganze System zu wackeln. Die Richtlinien und Pläne, nach denen Trainer in Deutschland über Jahre hinweg aus Talenten Leistungssportler zu machen versuchen, sie sollten nicht wirksam sein? Das war passiert: Bernhard Schwank, neuer Leistungssportdirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), hatte bei seinem ersten großen Auftritt von einem möglichen „Paradigmenwechsel“ gesprochen. Das war im November im Sportausschuss des Deutschen Bundestags, und seitdem wird im deutschen Sport so leidenschaftlich wie selten zuvor über die Nachwuchsförderung gestritten.

Schwank hatte eigentlich nur auf einen Missstand aufmerksam machen wollen: dass die deutschen Athleten mit jeder Altersstufe immer schlechter werden. „Je jünger, desto erfolgreicher sind die deutschen Athleten. Diese Schere scheint sich immer weiter zu öffnen. Das System begünstigt den Erfolg in jungen Jahren, aber verhindert den langfristigen Erfolg.“

An diesem Befund gab es nichts auszusetzen, der Aufschrei war dennoch heftig. Das lag nicht nur daran, dass Schwank ein Gebiet betreten hatte, für das er gar nicht zuständig ist. Die Nachwuchsförderung ist Ländersache und wird von den Fachverbänden beaufsichtigt. Außerdem hatte der deutsche Sport erst 2005 ein Förderkonzept für den Nachwuchsleistungssport beschlossen. Am meisten aber erregte Vertreter in den Ländern, wie Schwank seine Kritik begründete: mit grundlegenden Fehlern im System.

Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wann sich Kinder für eine Sportart entscheiden und wie sie trainieren sollen. Denn der Nachwuchs wird offenbar in manchen Vereinen und Leistungszentren zu sportlichen Fachidioten erzogen. Es fehlt eine körperliche Allgemeinbildung. „Die jungen Athleten werden zu früh zu stark in die Kader hineintrainiert. Nur eine vielseitige Ausbildung ist die Basis für den Erfolg“, hatte Schwank im Bundestag gesagt. Eine fatale Folge des speziellen Trainings sei, dass es irgendwann keine Anreize mehr gebe und die Jugendlichen mit dem Leistungssport aufhören.

Von Schwanks Aussagen fühlten sich jedoch viele provoziert, Ulf Tippelt, der Geschäftsführer des Landessportbundes Sachsen, fragte etwa: „Sollen wir deshalb die Vereine machen lassen und dann schauen, ob wir jemand mit 17 oder 18 Jahren zu einer internationalen Meisterschaft schicken?“

Manche Sportarten bemühen sich bewusst früh um die Kinder. Schließlich stehen sie untereinander im Wettbewerb um Nachwuchs, weil damit Beiträge, Fördermittel und ihr gesamter Status verbunden sind. Sie glauben auch, mit einer frühzeitigen Spezialisierung den Nachwuchs zu binden. Im Fußball ist von einer sogenannten „Pampers-Liga“ die Rede, in der schon Vierjährige kicken.

Nur wann sollten sich Kinder auf eine Sportart spezialisieren, um den Anschluss nicht zu verpassen? Jürgen Mallow, der Leitende Bundestrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), sagt: „Es genügt vollkommen, wenn man mit zwölf Jahren mit der Leichtathletik beginnt und sich mit fünfzehn spezialisiert.“ Auf andere Sportarten lässt sich das jedoch nicht übertragen. Denn im Turnen beispielsweise oder Skispringen müssen die Athleten mit fünfzehn Jahren schon ein beachtliches Niveau erreicht haben. Dennoch gibt es einige allgemeine Aussagen. „Wer im Juniorenalter nicht leistungsauffällig ist, der fällt durch“, sagt Klaus Rost, der Leiter der Themenleitgruppe Nachwuchs beim Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig. Sein Institut hat eine Diagnose erstellt: „Es wird in Deutschland sehr wenig trainiert, aber zugleich sehr spezifisch. Wir wollen aber, dass mehr trainiert wird und dafür vielseitig.“ Es gehe dabei um koordinative wie um athletische Voraussetzungen. Rost fordert daher, die Anforderungen bei Nachwuchswettkämpfen zu erweitern: „In der Leichtathletik könnte man zum Beispiel auch die technische Ausführung von Sprüngen bewerten.“

Ein Problem ist zudem, dass viele Jugendtrainer nach simplen Leistungskriterien beurteilt und beschäftigt werden. Sie haben daher nur den kurzfristigen Erfolg ihrer Nachwuchsathleten im Kopf, nicht den langfristigen Karriereaufbau. Erste Korrekturen an dieser Praxis gibt es nun. Der DLV bewertet die Landesverbände nur noch nach den Ergebnissen der A-Jugendmeisterschaften. Bisher flossen auch die Ergebnisse der B-Jugend in die Bewertung mit ein.

Auch manche Vereine haben Konsequenzen aus der Misere gezogen. Bei Bayer Leverkusen gibt es eine eigene Abteilung Kinder- und Jugendsport, in der zurzeit 2700 Kinder zwischen einem und acht Jahren Sport machen – „spielerisch, allgemein und grundmotorisch“, sagt die Abteilungsleiterin Anne Wingchen. Viele Elemente kommen dabei aus dem Turnen. „Früher als mit acht Jahren müssen sich die Kinder nicht für eine Sportart entscheiden“, sagt Wingchen, „unsere Erfahrung ist: Je später sie sich spezialisieren, desto eher landen sie im Leistungssport.“

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