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Auch 2020 noch dabei? Frank Stäbler (l.) bei den Spielen von London.

© dpa

Ringen: Nur nicht abkochen lassen

Europameister Frank Stäbler bangt um seine Zukunft: Am Sonntag entscheidet sich, ob Ringen olympische Disziplin bleibt. "Wir Ringer sind Kämpfer", sagt der Europameister von 2012.

Die Meldungen klingen ermutigend, obwohl sie allenfalls inoffiziell sind. Von positiven Probeabstimmungen in Buenos Aires wird berichtet, dem Ort an dem das Internationale Olympische Komitee (IOC) nicht nur einen neuen Präsidenten wählt, sondern am heutigen Sonntag darüber entscheidet, ob Ringen Teil des olympischen Programms bleibt – und nicht wie zunächst im Februar beschlossen, zugunsten von Squash oder Base- und Softball ab 2020 gestrichen wird.

Genau das interessiert Frank Stäbler aus Musberg bei Stuttgart aber besonders. Stäbler ist 2012 Europameister geworden und war der erste Deutsche seit 18 Jahren, der einen EM-Titel im griechisch-römischen Stil (bis 66 kg) gewann. „Ich will gar nicht daran denken, was passiert, wenn es nicht gut ausgeht“, sagt Stäbler, der am Wochenende von einem zweiwöchigen WM-Vorbereitungslehrgang aus Polen zurückkehrte. „Ich bin positiv eingestellt und denke, die Sportart Ringen hat gezeigt, sie will unbedingt olympisch bleiben. Wir Ringer sind Kämpfer.“

Im schlimmsten Fall wird er am Sonntagabend im Studio des Südwestrundfunks (SWR) in Stuttgart sitzen und über die große Depression der Ringer sprechen. Und darüber, wie „schwer es dann fällt, die Motivation aufzubringen, die man jetzt aufbringt, wenn man an Olympia denkt“. Oder für die Weltmeisterschaft, die in Kürze in Budapest stattfindet. „Wenn man einmal bei Olympia dabei war, lässt einen das nicht mehr los“, berichtet Stäbler.

Mit Olympia im Kopf sind die Qualen des Abkochens, des Runterhungerns auf das Kampfgewicht, vergessen. Tagelang isst der 24-Jährige nichts und trinkt kaum etwas. 200 Gramm nimmt er dann allein durchs Duschen zu, weil sich der ausgemergelte Körper Flüssigkeit über die Haut holt, bis nach dem Wiegen die selbstgemachte Fleischbrühe aus dem Elternhaus wieder Energie in seinen Körper strömen lässt.

Die Ringer-Familie organisierte nach dem Rauswurf aus dem olympischen Programm einen weltweiten Protest. Es gehe für die „Randsportart“ ums Überleben, das war die bedrohlich verpackte Botschaft. „Mit dieser Welle der Solidarität hat das IOC nicht gerechnet. Das war eine weltweite Allianz“, sagt Stäbler. Zuhause in Musberg fütterten auch die Stäblers soziale Netzwerke mit Aufrufen und Unterschriftenaktionen.

Die Ringerlobby ließ für das letzte Gefecht die Muskeln spielen. Der russische Präsident Wladimir Putin verlangte eine Rücknahme der Entscheidung, der ehemalige US-Außenminister Donald Rumsfeld warb fürs Ringen – und auf dem Times Square in New York trugen die National-Teams der USA und des Iran einen Schaukampf aus. „Dass diese beiden Nationen das trotz der politischen Spannungen geschafft haben, macht mich stolz“, sagt Stäbler. „Das hat die Sportart Ringen geschafft.“

Mancher stuft die Ausschluss-Entscheidung des IOC als heilsamen Warnschuss für eine Sportart ein, die sich Veränderungen meist verschloss. Auch viele im deutschen Ringer-Lager wurden aufgeschreckt. Der Deutsche Ringer-Bund (DRB) bangte um lebenswichtige Fördergelder des Bundes, deren Wegfall den sofortigen Absturz in die Bedeutungslosigkeit nach sich gezogen hätte. „In sieben Monaten wurde viel bewegt“, sagt Stäbler heute, nachdem der „Schock überwunden war und wir Ringer zum Gegenangriff ausgeholt haben. Ringen hat sich geöffnet.“ Manchmal eine Spur zu weit. So brachte ein Brief des japanischen Verbandes Ärger. In dem Schreiben wurden andere nationale Verbände zur Beeinflussung von IOC-Mitgliedern im Sinne der Ringer aufgefordert. Nenad Lalovic, Präsident des Ringer-Weltverbandes Fila, hatte alle Hände voll zu tun, die Wogen zu glätten.

„Im Verband hat sich einiges getan, zum Guten fürs Ringen“, sagt Stäbler. Lalovic löste den umstrittenen Raphael Martinetti ab – und die Ringer verordneten sich dringend notwendige Regeländerungen. Für „attraktivere Kämpfe“ wird „Passivität“ und „Taktieren“ (Stäbler) schneller bestraft, die Kämpfe dauern nun zweimal drei Minuten. Dabei gewonnene Punkte werden zu einem Gesamtergebnis addiert. Für Stäbler und Kollegen hieß das, Trainingsinhalte zu ändern, „hin zu mehr Kraftausdauer. Jetzt sind technisch gute Ringer im Vorteil und es ist nicht mehr so leicht möglich einen Kampf zu blockieren.“ Dadurch, meint der Bundesliga-Ringer des ASV Nendingen, „ist Ringen für die Zuschauer attraktiver geworden“. Jetzt müssen das auch nur noch die rund 100 IOC Mitglieder auch so sehen.

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