zum Hauptinhalt
Robert Harting, 29, wurde dreimal Weltmeister und 2012 Olympiasieger im Diskuswurf. In Kienbaum bereitet er sich auf die EM Mitte August vor.

© dpa

Robert Harting im Interview: "Ich hätte mit Markus Rehm im Team kein Problem gehabt"

Olympiasieger Robert Harting spricht im Interview über den beinamputierten Weitspringer Markus Rehm, Inszenierung im Sport und Leistungen am Limit.

Herr Harting, vor zwei Tagen twitterten Sie: „Leider wurde heute völlig gedankenlos Mist fabriziert.“ Bezog sich das auf die Entscheidung zu Markus Rehm?
Nein, der Beitrag bezog sich auf einen Artikel der Nachrichtenagentur SID.

In dem haben Sie den Vorschlag gemacht, der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm solle doch einfach mit dem linken Bein abspringen.
Ja, genau. Allerdings hat der SID in ihrem Text von „fordern“ gesprochen, obwohl ich lediglich eine Lösung anregen wollte. Man springt im Training ja genauso mit beiden Beinen ab, wie ich beim Üben mit beiden Armen werfe. Klar ist die physische Ausbildung nicht die gleiche, aber so weit habe ich in dem Moment gar nicht gedacht. Ich wollte Markus bei der Debatte um seinen Sprung mit seiner Prothese nur entlasten und plötzlich las ich „Harting fordert“, „Harting attackiert“. Dabei habe ich vor der Deutschen Meisterschaft noch unterstrichen, wie sehr ich seine Teilnahme daran begrüße.

Finden Sie die Entscheidung demzufolge falsch, dass er nicht für die Europameisterschaften nominiert worden ist?
Ich kann die Entscheidung sehr schlecht einschätzen, weil ich nicht weiß, wie die Mechanismen beim Weitsprung genau funktionieren. Das ist nicht meine Disziplin. Ich weiß nicht, was der Athlet in welchem Moment fühlt und in welcher Form eine Prothese von Vorteil sein kann. Ich war allerdings überrascht, wie plötzlich die Entscheidung auf einmal fiel.

Wäre Markus Rehm in das EM-Team gekommen, wären Sie sein Kapitän gewesen und hätten ihn mit repräsentiert.
Mannschaftskapitän bin ich ja nur unterschwellig, aber ich hätte mit ihm im Team sicher kein Problem gehabt.

Und wie war die Meinung anderer Athleten zu dem Thema?
Ich habe mit vielen Athleten darüber gesprochen, aber letztlich kann ich nur sagen, dass die Meinungen sehr weit auseinander gehen.

Haben Sie denn eine Idee, wie Inklusion in der Leichtathletik aussehen könnte?
In Zukunft sollte es auf jeden Fall eine Sportart geben, an der olympische und paralympische Athleten gemeinsam teilnehmen können. Die Vor- und Nachteile der Sportler müssten allerdings ausgewogen sein. Deswegen muss diese Sportart wohl erst noch erfunden werden. Man muss aber auch sagen, dass sich in den letzten zwei Jahren einiges getan hat.

Woran denken Sie genau?
Jahrelang war die wenige Vermarktung und die geringe Wertschätzung des Behindertensports ein großes Problem. Das hat sich mit den Paralympics in London vor zwei Jahren schon verändert. Jetzt muss es mit der Inklusion allerdings weitergehen und dabei scheitert der Mensch an ethischen Definitionen, die er selbst geschaffen hat: Was ist fair? Was ist gerecht? Was ist richtig? Das Thema stellt den Sport auf jeden Fall vor Herausforderungen.

Aufmerksamkeit ist etwas, das Markus Rehm nun auf jeden Fall gewonnen hat. Ein unverzichtbares Gut im Sport.
Auf jeden Fall. Klar ist Markus über die Nichtteilnahme an der EM enttäuscht, aber was er auf menschlichem Wege, auf sportlichem und athletischem Wege gezeigt hat, ist meiner Meinung nach weit, weit mehr wert als der institutionelle Rahmen, unter dem es bewertet wird.

"Als Ein-Mann-Unternehmen ist man mit seinen Ressourcen beschränkt."

Ganz allgemein: Muss ein Sportler heute zwingend eine eigene Marke sein?
Wenn sich ein Sportler als Ein-Mann-Unternehmer versteht, so wie ich das tue, dann gehören Marketing und Öffentlichkeitsarbeit einfach dazu. Früher war das anders, aber ich bin damit von Anfang an sehr offen umgegangen.

Und gerne auch mal provokant.
Ja, deswegen hab ich auch mal drei, vier Schritte daneben getan. Mal waren Statements von mir inhaltlich falsch, manchmal einfach blöd. Wenn Sätze allerdings bewusst verdreht werden, dann schafft das mit der Zeit eine Distanz zur Presse, die nicht da sein müsste.

Hat es Ihnen bislang geholfen, dass Sie strategische Kommunikation studieren?
Dadurch bin ich auf jeden Fall vielfältiger geworden, was meine Vermarktung angeht. Ich denke an andere Bereiche und entwickle Konzepte, statt nur eine Idee, und bin kreativer geworden. Mal sehen, was ich nach meinem Abschluss in diesem Jahr daraus machen werde. Als Ein-Mann-Unternehmen ist man mit seinen Ressourcen nur leider etwas beschränkt.

Zumindest haben Sie Profile bei Facebook, Twitter und Youtube. Recht simple Möglichkeiten, um Kommunikation zu steuern.
Klar kann man über diese Kanäle Meinung machen, kann Presse selbst erzeugen, selbst produzieren – und da das immer mehr Menschen machen, wird man von den klassischen Medien unabhängiger. Andererseits muss man sich auch mit viel mehr Äußerungen und Interpretationen auseinandersetzen. Auch zur eigenen Person.

In welcher Rolle twittern oder posten Sie denn? Als Privatmensch? Als Sportler? Als beide Figuren in einer Person?
Ich glaube, dass dies eine Generationsfrage ist. Die Frage nach Privatperson und Sportler, nach Privatsphäre allgemein, stellen wir uns mittlerweile schon gar nicht mehr. In Zukunft wird dieser Wert wahrscheinlich überhaupt nicht mehr existieren. Deswegen bin ich immer ein und dieselbe Person. Wenn ich auftrete oder Interviews gebe, verstecke ich mich nicht hinter einer Fassade oder schlüpfe von einer in die andere Rolle. Allerdings sehe ich ein anderes Problem.

Das da wäre?
Der Faktor Viralität spielt eine immer größere Rolle. Dieser Wert, den man im Netz geschaffen hat, um Resonanz zu erzeugen, findet sich langsam auch im realen Leben wieder. Um überhaupt wahrgenommen zu werden, muss alles cool und aufregend und krass sein, sonst fällt es unter den Tisch. Aber an dieser Entwicklung sind wir ja selber schuld.

Ihre Pose mit dem zerrissenen Shirt: Ist das also spontan oder ein Bild für die Kameras? Eine Inszenierung?
Die Medienwelt braucht Bilder, ganz klar. Trotzdem ist dieser Akt eine Befreiung für mich. Bis zu einem großen Wettkampf ist es so, als befinde man sich in einer Blase, die sich immer mehr anstaut und immer dünner wird. Den einen Tag scheitert man, den anderen kommt man wieder voran. Das zehrt wahnsinnig an einem. Und dann ist da dieser Moment nach einem Wettkampf, wenn man diese ganzen Gedanken und Fragen und Zweifel los wird. Es ist also kein Erzeugnis für euch, sondern für mich.

Das klingt, als hätten Sie harte Monate hinter sich.
Man darf ja nicht vergessen, dass 90 Prozent meiner Zeit Training bedeuten. Und nicht Turniere, Siege, Erfolge. Und diese Zeit kann sehr anstrengend sein.

Eine wichtige Rolle spielt in schwierigen Phasen der Trainer. Ende vergangenen Jahres haben Sie Ihren gewechselt ...
Ja, ich hatte das Gefühl, dass ich mit Blick zu den Olympischen Spielen in Rio meine Motivations- und Belastungsstrukturen ändern muss. Der bisherige Stil, wie ich Leistungen erbracht habe, hat mich zu sehr ans Limit gebracht.

Können Sie das konkretisieren?
In den letzten Jahren habe ich mich sehr stark unter Druck gesetzt. Ich habe mich zu sehr gezwungen, noch mehr zu geben. Es war, als würde ich mit einem Hammer auf mich selbst einschlagen. Jetzt möchte ich den Sport mehr genießen. Der Leistungsdruck wird natürlich immer bleiben und in diesem Jahr möchte ich auch Gold holen, aber mit meinem neuen Trainer Torsten Schmidt soll der Stress besser dosiert werden. Ich möchte mir in diesem Jahr Raum für Fehler lassen. Um 2016 keine zu machen.

Sie wollen also Ihren eigenen Perfektionismus zähmen.
Irgendwann muss man sich von zu hohen Erwartungen distanzieren.

Zur Startseite