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Ankunft. Der deutsche Solosegler Boris Herrmann erreicht nach 13 Tagen Guadeloupe und wird Fünfter bei der legendären Transatlantikregatta Route du Rhum.

© Yvan Zedda - Route du Rhum

Route du Rhum: Der Schlaf des Gerechten

Boris Herrmann wird Fünfter bei der Route du Rhum. Diese wurde plötzlich zum Krimi.

Als alles schon entschieden schien, wurde die Route du Rhum plötzlich zum Krimi. Auch für Boris Herrmann, einen von zwei deutschen Teilnehmern bei der legendären Regatta über den Atlantik, wurde es noch einmal spannend. Der 37-Jährige lag am Freitag auf dem fünften Rang in der Imoca-Klasse und eigentlich zu weit abgeschlagen, um sich noch Hoffnungen auf einen Podiumsplatz machen zu können. Da lief der Führende Alex Thomson auf Grund. Der Brite konnte seine Fahrt trotz erheblicher Schäden an seinem Schiff zwar fortsetzen, erreichte das Ziel in Guadeloupe auch als Erster, und seinen Vorsprung von 150 Meilen hatte der Unfall kaum verringert, doch die Wettfahrtleitung verhängte eine Zeitstrafe von 24 Stunden.

"Selbst disqualifiziert". Alex Thomson trifft in Pointe-á-Pitre ein, enttäuscht von sich, nachdem er in der Nacht auf Grund gelaufen war und sich nach einem ansonsten fehlerfreien Rennen im letzten Moment um den Sieg gebracht hatte.
"Selbst disqualifiziert". Alex Thomson trifft in Pointe-á-Pitre ein, enttäuscht von sich, nachdem er in der Nacht auf Grund gelaufen war und sich nach einem ansonsten fehlerfreien Rennen im letzten Moment um den Sieg gebracht hatte.

© Helene Valenzuela / AFP

Damit konnte sich Paul Meilhat als Sieger fühlen, als er zwölf Stunden nach Thomson die Ziellinie in Pointe-á-Pitre überquerte. Der 36-Jährige, geboren in Paris, hat ein beachtliches Rennen auf einer der älteren Open-60-Yachten gesegelt, der einzigen aus der Spitzengruppe, die nicht mit Foils ausgerüstet ist. Dass er sich trotzdem gegen weitaus erfahrenere Konkurrenten wie Vincent Riou, 46, und Yann Eliés, 44, behauptet hat, wäre schon für sich genommen eine Sensation, nun kommt durch Thomsons Missgeschick auch noch die Süße des Triumphs dazu.

"Ich wollte etwas zurückgeben für das Vertrauen, das man mir geschenkt hat", sagte Meilhat nach der Ankunft über seine Ambition. Sein Sponsor, der Versicherungskonzern SMA hat angekündigt, die Zusammenarbeit zu beenden. Er zieht sich aus dem Segelsport zurück. So steht der Route-du-Rhum-Gewinner als der beste Solosegler seiner Generation erstmal ohne Boot und ohne Geldgeber da.

Yann Eliés ist ein ruhiger, beharrlicher Typ und gewinnt die meisten der großen Rennen, bei denen er antritt.
Yann Eliés ist ein ruhiger, beharrlicher Typ und gewinnt die meisten der großen Rennen, bei denen er antritt.

© Fred TANNEAU / AFP

Ebenso ergeht es dem Zweitplatzierte Yann Eliés. Auch für ihn war der 3500-Meilen-Trip in die Karibik der letzte mit seinen Sponsoren, sein Boot ist bereits verkauft. Auch für ihn, der als derzeit bester Solosegler Frankreichs gelten darf - mit drei Siegen beim Solitaire Figaro - wird die Zeit bis zum Start des Vendée Globe Race in zwei Jahren knapp, um Finanziers neu aufzutreiben.

Als einer der Top-Stars der elitären Open-60-Szene hat Alex Thomson solche Nöte derzeit nicht. Vom englischen Zweig des Hugo-Boss-Konzerns großzügig finanziert, lässt er sich mit den radikalsten Neubauten ausstatten – und er weiß sie auf Tempo zu bringen. Doch noch nie hat er ein renommiertes Hochseerennen gewonnen. Schon bald nach dem Start im französischen St. Malo ging er in Führung. Er hatte als Einziger einen möglichst westlichen Kurs gewählt und gewann viele Meilen in dem anschließenden Sturm, der das Teilnehmerfeld von 123 Booten schwer in Mitleidenschaft zog. Ein Viertel musste aufgeben oder einen Schutzhafen anlaufen.

Herrmann holte auf, aber für Platz vier reichte es nicht mehr

In der Imoca-Klasse hielten sich die Ausfälle im Rahmen. Nach einer Woche schlechten Wetters waren immerhin noch 16 der 20 Skipper dabei. An der Spitze etablierte sich das Quartett aus Thomson, Meilhat, Riou und Eliés, doch enteilte der Brite in den Passatwinden. Er hatte es fast geschafft, die Insel war schon in Sichtweite, als er sich in der Nacht zu Freitag ein Stündchen aufs Ohr hauen wollte. Er überhörte den Alarm, die Uhr an seinem Handgelenk, die ihn hätte wecken sollen, blieb stumm. Schon in den Tagen zuvor hatte er über sein großes Schlafdefizit geklagt. So krachte er in die Felsen.

Thomson kam mithilfe seines Motors wieder frei, aber ihm war klar, dass er das wichtigste Hochseerennen dieses Jahres verlieren würde. Er räumte ein: „Ich habe es nicht verdient zu gewinnen.“

Mitgenommen. Die Hugo Boss von Alex Thomson hat deutliche sichtbare Schäden an Rumpf und Kiel davongetragen. Aber es hätte schlimmer kommen können, sagt Thomson.
Mitgenommen. Die Hugo Boss von Alex Thomson hat deutliche sichtbare Schäden an Rumpf und Kiel davongetragen. Aber es hätte schlimmer kommen können, sagt Thomson.

© LOIC VENANCE / AFP

Für Boris Herrmann begann die Uhr da von Neuem an zu ticken. Aber es ärgerte ihn auch, dass über Sieg und Niederlage am grünen Tisch entschieden worden war. "Das ist genau das, was dieser Sport nicht braucht", sagte er noch von Bord aus. Die Zeitstrafe sei willkürlich bemessen worden. Außerdem gebe sie das falsche Signal. Es sei richtig, den Motor zu benutzen, um Gefahren abzuwehren, meinte Herrmann weiter. Als Skipper solle man nicht darüber nachdenken müssen, welche Strafen einem auferlegt würden, wenn man das Richtige für das Schiff und die eigene Sicherheit tue.

Jedenfalls hatte nun auch er die Chance, sich um einen Platz zu verbessern. „Guadeloupe schläft noch“, schrieb er, als er die Insel um fünf Uhr morgens erreichte. In der Nacht hatte ihn der Passat noch einmal mit seinen typischen tropischen Gewittern heimgesucht, nun breitete sich eine Art karibischer Frieden aus. Der Geruch von Holzfeuern und Wald wurde in der schwülen Luft aufs Meer hinausgetragen. Am meisten erstaunte Herrmann die plötzliche Stille, als die Malizia im Windschatten Guadeloupes über die flache See sauste. Zwölf Tage war die Yacht im aufgewühlten Meer „schreiend hin und hergestoßen worden“.

Von den Strapazen des 13-tägigen Rennens gezeichnet, erreicht Boris Herrmann am Samstagmittag Guadeloupe.
Von den Strapazen des 13-tägigen Rennens gezeichnet, erreicht Boris Herrmann am Samstagmittag Guadeloupe.

© Alexis Courcoux - Route du Rhum

Zu dem Zeitpunkt holte der Hamburger rasant auf, der Abstand zu Riou schmolz beträchtlich, doch einholen konnte er ihn nicht. Der Vendée-Globe-Sieger von 2004, genannt "der Schreckliche", gelangte als Vierter ins Ziel. Herrmann traf drei Stunden später ein. Er zeigte sich hochzufrieden. "Der fünfte Platz spiegelt das Niveau wieder, auf dem ich derzeit bin. Ich habe einige strategische Fehler gemacht und bin anfangs nicht weit genug gegangen."

Für Herrmann hatte das Rennen mit einem hervorragenden Start begonnen, und es schien kurz so, als könne er als einziger mit den neuesten Foil-Racern von Riou und Jérémie Beyou mithalten. Doch dann löste sich ein Seil im Masttop nicht, so dass er nach einer Wegmarke bei Kap Frehel nicht schnell genug auf ein größeres Vorsegel umsteigen konnte. Er fiel zurück.

Trotz seiner Länge, wird die Route du Rhum oft auf am Anfang entschieden, wenn die dynamischen Wetterbedingungen des Herbsts unterschiedliche Strategien empfehlen. So war es auch diesmal. Herrmann blieb stundenlang in einer Flaute stecken und drehte dann, weil er sich abgehängt fühlte, auf einen Kurs ab, der ihn mitten hineinführen sollte in zwei große Sturmtiefs. Seine Kontrahenten wichen weit nach Süden aus. Trotz der größeren Wegstrecke, hatten sie es mit deutlich ruhigeren Bedingungen zu tun. Herrmann war auf seiner Direttissima wie auf einer Buckelpiste unterwegs, der Ozean chaotisch und unberechenbar durch ständige Richtungswechsel des Windes.

Aber die Malizia blieb heil. Und schließlich gelang es dem deutschen Segler, sich direkt hinter dem Führungsquartett in die Passatwinde einzufädeln. Nun weiß er, wie viel mehr er von sich verlangen muss, um gegen die Besten zu bestehen.

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