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Sport: Routiniert gescheitert

Von Stefan Hermanns Leverkusen. Carsten Ramelow hatte groß abgesahnt.

Von Stefan Hermanns

Leverkusen. Carsten Ramelow hatte groß abgesahnt. Mit zwei gut gefüllten Tüten aus der vereinseigenen Merchandising-Abteilung („Ich war im Fan-Shop“) trat Ramelow aus dem Spielertrakt der Bayarena in den dichten Nieselregen. Eigentlich hatten sie sich bei Bayer Leverkusen an diesem Nachmittag einen anderen Ertrag gewünscht als ein paar Devotionalien aus dem Fan-Shop. „Wir haben’s wieder verspielt“, sagte Ramelow. Wie 1997, 1999 und 2000. Carsten Ramelow war jedesmal dabei, wenn Bayer die Bundesliga-Saison als Tabellenzweiter beendete. Und vielleicht hat er deshalb schon eine gewisse Routine im Nicht-Gewinnen. „Noch ist nichts Großartiges passiert“, sagte der Nationalspieler.

Der ganze Verein – die Fans, die Spieler, das Umfeld – besitzt inzwischen eine fast beängstigende Routine im Umgang mit dem großen Scheitern. Als die Spieler anderthalb Stunden nach dem Schlusspfiff aus der Kabine traten, warteten gerade mal fünfzig Fans im Regen, wortlos meist. Die Spieler gingen an Kameras und Journalisten vorbei, stiegen in ihre Autos und fuhren einfach nach Hause. Nur Ramelow redete: „Ich habe genauso damit zu kämpfen. Vielleicht sieht man mir das nur nicht so an.“ Es war das passend unspektakuläre Ende eines grauen Tages für Bayer Leverkusen.

Ergreifend war nur der Auftritt von Manager Reiner Calmund, der das Alleinvertretungsrecht der Bayer-Abteilung Emotion & Sentiment besitzt. Eine halbe Stunde nach dem Abpfiff trat er noch einmal auf den Rasen der Bayarena, nahm ein Mikrofon in die Hand und richtete sich an die Anhänger auf den Tribünen. Doch Calmund, der hauptberufliche Dauerredner, brachte kaum ein Wort heraus. Dann brach er in Tränen aus.

Calmund hatte eine Viertelstunde vor Schluss seinen Platz auf der Ehrentribüne verlassen. Zu diesem Zeitpunkt war die Meisterschaft so gut wie verspielt. Bayer führte zwar 2:0 gegen Hertha, aber Dortmund hatte aus dem 0:1-Rückstand gegen Bremen inzwischen ein 2:1 gemacht. Die Kunde von der Dortmunder Führung „war schon ein kleiner Hammerschlag“, sagte Bayers Trainer Klaus Toppmöller. Calmund fand die Situation „nervlich kaum auszuhalten“. In der Trainerkabine verfolgte er das Restgeschehen am Fernseher, sah Herthas Anschlusstreffer, der aber auch nichts mehr am unbefriedigenden Tabellenbild änderte.

Als alles vorbei war, schlich Calmund aufs Spielfeld, bewegte sich Richtung Mittelkreis, wo die Spieler warteten – auf ein Wunder, ein Tor aus Dortmund, auf Klarheit. Calmund wollte Trost spenden, dabei hätte er selbst am meisten Trost gebraucht. Die Öffentlichkeit sollte seine Tränen nicht sehen, und er wollte den Spielern zeigen: „Ich, der Dicke, bin bei euch.“ Es dauerte, bis Calmund sein Ziel erreichte. Hans-Georg Felder, Herthas Pressesprecher, drückte ihm die Hand, Nello di Martino, Herthas Torwarttrainer, kondolierte, Falko Götz, früher Spieler bei Bayer, sowieso, Dieter Hoeneß legte Calmund den Arm um die Schulter, und zum Schluss drückte der dicke Mann mit dem großen Herzen Andreas Neuendorf an seine breite Brust. Oder war es umgekehrt?

Reiner Calmund gibt dem Verein Bayer eine unübersehbare Gestalt, er personifiziert inzwischen das wiederkehrende Scheitern, und er garantiert, dass Bayer erneut versuchen wird, Meister zu werden. „Es muss weitergehen“, sagte Carsten Ramelow. „Wir dürfen jetzt nicht liegen bleiben“, forderte Michael Ballack. Am Samstag steht die Mannschaft im DFB-Pokalfinale, vier Tage später im Endspiel um die Champions League. Danach muss Bayer ohne Ballack zurechtkommen. „Eine sehr schwere Lücke“ sieht Trainer Toppmöller nach dessen Weggang zu den Bayern. „Michael Ballack kann man nicht ersetzen.“

„Bayer weint“, schrieb das Boulevardblatt „Express“. Ballack, so berichtete die Zeitung, habe einen halbstündigen Weinkrampf gehabt. Er war nicht alleine. „Wir haben in der Kabine zusammen geheult“, sagte Toppmöller. Die Tränen galten wohl auch einer verpassten Gelegenheit, wie sie sich so schnell nicht wieder ergeben wird. „Wir haben dieses Jahr die Messlatte sehr hoch gelegt“, sagte Toppmöller. Mit all den schönen Siegen in der Champions League, den beiden Finalteilnahmen. Für Bayers Trainer ist das „mit Sicherheit kein Trost“. Aber schon am Abend sprach Reiner Calmund von seiner Mannschaft nur noch als „Verlierer in Anführungszeichen“.

Das Schlimmste scheint überstanden.

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