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Andreas Kuffner, 27, wurde 2012 in London Olympiasieger im Deutschland-Achter. An der Berliner Beuth-Hochschule machte er seinen Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen und belegt derzeit im selben Fach den Master-Studiengang.

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Ruder-Olympiasieger Andreas Kuffner im Interview: „Ich will nicht mehr in Stockbetten schlafen“

Macht ein Olympiasieg das Leben leichter? Der Berliner Ruderer Andreas Kuffner erzählt über persönliche Risiken, Geld von seinen Eltern und Herzrasen

Herr Kuffner, kann man Olympiasieger werden und gleichzeitig ein guter Student sein?

Tja, ich habe es mit Olympiagold und dem Bachelor-Abschluss eigentlich geschafft. Jetzt bin ich im Master-Studium, habe zwischen der am Sonntag beginnenden Weltmeisterschaft in Amsterdam, der Europameisterschaft und Weltcups meine Klausuren geschrieben und alles mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen. Aber es gibt natürlich Phasen, da kommt man ins Schwitzen und fragt sich: Wie soll das noch alles funktionieren?

Wie teilen Sie sich die Zeit ein?

Ich hatte vor Olympia 2012 meine letzten Klausuren abgeschlossen und mich ein halbes Jahr nur auf den Sport konzentriert. Das ist die Bedingung von Verband und Sporthilfe. Nach Olympia ging es aber direkt weiter für mich mit meinem Pflichtpraktikum, das ich für den Bachelor-Abschluss brauchte.

Wie war die Umstellung?

Sehr schwierig. Wenn du vorher tagtäglich dreimal am Tag trainierst und dann den ganzen Tag im Büro sitzt, kommst du erst mal nicht zu diesem sportlichen Umfang. Das hat mich körperlich runtergezogen, teilweise hatte ich schon Herzrasen. Das Herz ist ja auch ein Muskel, und wenn man den nicht mehr trainiert, wird es problematisch.

Das ist schwer vorstellbar für Nichtleistungssportler, weil man annimmt, dass Sie doch so gut trainiert sind.

Ja, aber ich war vorher in einer Spannungsphase, ständig in Bewegung, hatte immer Stress. Und plötzlich fällt diese Spannung ab. Das kennt man, wenn man nach solchen Phasen plötzlich Urlaub hat. Das Immunsystem wird schwach, man wird schneller krank. Das passiert auch, wenn man nach einer EM, WM oder Olympia nach Hause kommt. Ich wusste nach dem Olympiasieg auch gar nicht, ob ich überhaupt weitermache mit dem Sport.

Warum wollten Sie aufhören?

Das Olympiajahr war schon eine sehr harte Zeit. Ich musste immer zwischen Berlin und Dortmund pendeln. Dort trainiert der Deutschland-Achter und der Bundestrainer will, dass wir alle zentral trainieren. Ich war im Olympiajahr 25 Tage zu Hause in Berlin, den Rest habe ich in Dortmund oder in Trainingslagern verbracht. Das war auch eine enorme psychische Belastung.

Wie meinen Sie das?

Das Trainingsgelände ist für den Leistungssport perfekt, aber wenn man nicht aus Dortmund kommt und seine Wohnung dort hat, kommt man einfach nicht raus. Man hat ständig diesen Sport um sich. Da hast du ein paar Meter bis zum Ruderboot, dann gehst du die Treppen wieder hoch und bist in deinem Zimmer. Es ist auch nicht so, dass wir es dort sehr bequem haben, wir schlafen im Ruderzentrum in Stockbetten. Du hast keinen Rückzugssort. Keine Couch, keinen Tisch, nur das Bett.

"Um sechs Uhr aufstehen, um halb eins ins Bett"

Wie sieht Ihr Tag sonst aus?

Normalerweise stehe ich um 6 Uhr auf, frühstücke kurz, fahre dann zum Training zum Hohenzollernkanal. Das fängt zwischen sieben und halb acht an. Dann mache ich mich auf den Weg an die Uni und wieder zurück zum Training. Nach 18 Uhr geht es nach Hause und nach einem kurzen Abendessen setze ich mich wieder an die Studiensachen. Derzeit komme ich nicht vor halb eins ins Bett. Aber das ist nicht das Schlimmste.

Was dann? 

Dass ich keinen Tag in Aussicht habe, an dem ich sage, das ziehe ich jetzt noch durch, aber danach kann ich ausschlafen. Das ist überhaupt nicht drin. Und dann diese Pendelei nach Dortmund dazu. Meistens ist schon Mittwochabend Anreise, ich versuche aber erst am Donnerstag zu fahren, damit ich die Vorlesung noch schaffe.

Was leidet eher bei Ihnen, die Form beim Rudern oder die Konzentration beim Studium?

Eher das Studium, wenn ich abends eigentlich noch konzentriert lernen oder eine Hausarbeit schreiben müsste, aber zu müde bin, weil zwei Trainingseinheiten am Tag zu anstrengend waren. Aber noch mehr leidet das Privatleben. Glücklicherweise habe ich eine verständnisvolle Freundin. Aber in der gemeinsamen Zeit muss ich mich zusammenreißen, kein Gesicht zu ziehen, wenn ich total kaputt bin.

Wie kommen Sie mit so wenig Schlaf aus?

Daran gewöhnt man sich, auch wenn man manchmal an Grenzen stößt. Aber es gibt auch keine Alternative, auch um mein Studium voranzubringen. Im Trainingslager hätten es die Trainer gerne, dass man sich zwischen zwei Einheiten ausruht, aber dann fehlt mir Zeit.

Kommt Ihnen die Hochschule nicht entgegen und gibt Ihnen etwas mehr Spielraum bei Hausarbeiten und Prüfungen?

Es gibt gute Kooperationen in Berlin, aber ich will selbst so wenige Ausnahmen wie möglich haben. Ich möchte es doch so durchziehen wie alle anderen auch. Meine Kommilitonen können sich ohnehin nicht so richtig vorstellen, was das mit meinem Sport bedeutet.

Haben Sie diese Erfahrung gemacht?

Selbst Leuten, die mir sehr nahe stehen, muss ich immer wieder neu erklären: Wenn mich Freunde aus meiner Heimat Bayern fragen, wann sie mal wieder nach Berlin zu Besuch kommen können, sage ich: Bis September ist kein Wochenende mehr frei, danach kommt eine Klausur die ich eh schon schieben muss, dann möchte ich zwei Wochen Urlaub mit meiner Freunden machen und dann geht das Training wieder los.

Und Sie haben keine Privilegien an Ihrer Hochschule?

Nein. In den USA wäre das anders. Rudern an den Colleges boomt, die Sportler sind wirklich die Helden. Bei uns ist das etwas anderes. Natürlich gibt es Kooperationen und ich könnte mit meinen Professoren sprechen, ob ich beispielsweise Anwesenheitspflichten aufgehoben bekomme. Aber spätestens 2016 ist Rudern für mich vorbei, dann brauche ich einen Job und dafür muss ich etwas können.

Sie könnten ein Fernstudium machen.

Das wurde mir immer wieder angeboten. Ich wollte aber nicht, weil ich nicht glaube, dass es so anerkannt ist wie der normale Abschluss.

Können wir festhalten, dass Studium und Spitzensport zusammen mehr Stress als Glücksmomente produziert?

Vielleicht. Ich stelle mir schon ab und zu die Frage, ob alles Sinn macht. Was bringt es mir am Ende, Olympiasieger zu sein? Deshalb habe ich weder ausgesorgt noch bekomme ich dadurch irgendwelche Jobangebote. Dieses Risiko, durch den Sport seine Berufschancen zu verringern, trage ich genauso mit mir rum wie das, wegen der wenigen Zeit die private Beziehung aufs Spiel zu setzen. Auf der anderen Seite sage ich: Ein Olympiasieg ist das Größte, was einem passieren kann, ein Wahnsinn. Nach Olympia war ich auch ziemlich glücklich. Die glücklichste Zeit kam aber erst, als ich auch meinen Bachelor in der Tasche hatte.

"Was bringt es mir am Ende, Olympiasieger zu sein?"

Ihr Selbstbewusstsein im Sport ist so viel größer als im Studium.

Ganz so ist es nicht, aber im Sport ist man unter Gleichgesinnten und weiß, wo man steht. In der Hochschule treffe ich auf Menschen, die schon viel mehr Praxisefahrung haben, Auslandserfahrung haben und die auch im Job gut sein werden. Durch den Mehraufwand im Sport sind da bei mir durchaus mal Zweifel vorhanden.

Und das verunsichert Sie.

Ja, aber gleichzeitig muss mir auch klar sein, dass ich mich mit denen nicht vergleichen darf. Zum Glück gibt es für uns spezielle Angebote, zum Beispiel die Initiative Sprungbrett Zukunft der Deutschen Sporthilfe, da sind viele Unternehmen mit im Boot und bieten zum Beispiel Kurzzeitpraktika.

Macht das Netzwerk im Rudern die Jobsuche nicht später leichter?

Auf jeden Fall. Das Netzwerk ist da, aber man muss trotzdem wie im Sport auch im Beruf Selbstvertrauen aufbauen, um erfolgreich zu sein und zu wissen: Okay, ich kann das. Aber im Beruf fange ich wieder bei null an. Und bis dahin opfert man sich ganz schön auf. Das kostet extrem viel Kraft. Die muss man sich später wieder irgendwo holen. Es darf nicht so sein, dass man nach der Ruderkarriere total ausgebrannt ist.

Ausgebrannter Ex-Sportler sucht Stelle als Führungskraft in anerkanntem Dax-Unternehmen…

Ja, man muss aufpassen, dass man nicht als Sportler endet wie bei manchem Manager in höherem Alter.

Was tun Sie dagegen?

Nach meinem Wiedereinstieg bin ich tatsächlich zu einer Psychologin gegangen, zu einer Sportpsychologin hier in Berlin,  zum ersten Mal. Sie hat mir geholfen, wieder in die Spur zu finden.

Was hat sie Ihnen gesagt?

Man bespricht zum Beispiel Entspannungsübungen. Außerdem geht es immer wieder darum, sich seiner Position bewusst zu werden, also was man erreicht hat. Dass man gewisse Ansprüche stellen kann. Zum Beispiel zu sagen: Ich schlafe jetzt nicht mehr in Stockbetten.

Stellen Sie denn nun Forderungen?

Im Studium weniger als im Sport, da spreche ich durchaus mal mit dem Bundestrainer, wenn ich mit Klausuren Probleme habe und nicht alle Trainingstermine wahrnehmen kann. Früher hätte ich weniger um Verständnis gebeten.

"Meine Eltern geben mir Geld für die Wohnung"

Wie finanzieren Sie eigentlich Ihr Leben?

Von der Sporthilfe bekomme ich Geld, seit ich im Bundeskader bin. Am Anfang war das ein Taschengeld, 75 Euro im Monat. Mit den Jahren ist es mehr geworden, dazu kamen Prämien. Für den Olympiasieg habe ich von der Sporthilfe 15 000 Euro bekommen, die werden über ein Jahr verteilt ausbezahlt, jeden Monat ein Zwölftel. Und meine Eltern geben mir Geld für meine Wohnung.

Sie bekommen als Olympiasieger immer noch Geld von Ihren Eltern?

Ja. Ich muss immer noch viel selbst zahlen, dabei helfen sie mir. Viel bleibt durch den Sport nicht übrig, um Rücklagen zu bilden. Ich werde finanziell von vier verlässlichen Seiten getragen, von meinen Eltern, vom Berliner Ruder-Club, von der Deutschen Sporthilfe und dem Land Berlin. Der Berliner Ruder-Club hat eine Stiftung für seine Athleten, die nicht bei der Bundeswehr oder der Bundespolizei sind.

Die duale Karriere aus Sport und Ausbildung gilt als Ideal. Was hat Ihnen dieses Modell gebracht?

Die Sicherheit, dass ich noch etwas langfristig in der Hinterhand habe, für die Zeit nach dem Sport. Und natürlich lernt man sich selbst optimal zu organisieren, eine wichtige Eigenschaft für Sport und den späteren Beruf.

Und umgekehrt, was hat Ihnen der Sport im Studium gebracht?

Der Sport ist ein perfekter Ausgleich für viele Stunden Lernen, und man lernt mit dem Leistungsdruck umzugehen – aber manchmal erhöht der Sport sogar den Druck im Studium.

Wie das?

Weil ich mir manchmal denke: Du bist Olympiasieger und schaffst das jetzt nicht? Wie kommt das nach außen an? Diesen Druck mache ich mir selbst.

Orientieren Sie sich bei Ihrer Karriereplanung an anderen?

Ich habe gerade von einem Ruderer erfahren, dass er endlich einen Job gefunden hat. Er hatte lange gesucht, weil wegen des Sports mehr Zeit fürs Studium draufging. Da macht man sich schon seine Gedanken: Warum hat er vorher nichts bekommen? War der Sport hinderlich? Weil er so lange fürs Studium gebraucht hat? Weil er schon so alt war und noch keine Erfahrung hatte im Beruf? Es wird ja immer nach Erfahrung gesucht, die können wir eben erst mal nicht anbieten.

Woher nehmen Sie dann trotzdem den Antrieb, alles durchzuziehen?

Der Antrieb kommt vom Sport. Ich bin ein ehrgeiziger Typ. Und ich bin überzeugt, dass mir der Sport später im Beruf helfen kann. Diese Soft Skills, der Ehrgeiz, Ziele erreichen zu wollen, die Fähigkeit, im Team arbeiten zu können, ein großes Pensum unter einen Hut zu bringen, bei dem mich andere fragen: Wie schaffst du das alles an einem Tag?

Was ist Ihr berufliches Ziel?

Ich will auf jeden Fall erfolgreich sein in dem, was ich mache, und Verantwortung übernehmen.

Was reizt Sie daran?

Es bedeutet, nicht irgendwo stehen zu bleiben, sondern sich immer weiterzuentwickeln. Das muss auch kein Riesenunternehmen sein, es kann gerne ein mittelständisches Unternehmen sein. Wichtig für mich ist, dort was bewegen zu können, mitreden, Einfluss nehmen zu können, aus sich selbst immer mehr herauszuholen, nicht Durchschnitt zu sein, sondern einfach ein bisschen mehr. Das habe ich aus dem Sport mitgenommen.

Lässt sich der sportliche Ehrgeiz wirklich so leicht übertragen?

Er kann einem auch zum Verhängnis werden. In der jüngsten Zeit hab ich gemerkt, wie wichtig Ausgleich im Privaten ist, und dass man auf seinen Körper hören muss. Gerade das kommt im Sport nämlich zu kurz. Diesen Umgang mit seinem Körper hält man nicht sein Leben lang durch.

Was würden Sie nach Ihren Erfahrungen an junge Sportler weitergeben?

Am Ende ist es wichtig, sich nicht im Sport zu verrennen. Irgendwann muss man den Absprung finden. Schon in jüngeren Jahren sollte man mit dem zweiten Weg, also Ausbildung oder Studium, beginnen und das als wichtigsten Teil sehen. Um wirklich gut und erfolgreich durchzukommen, muss man seine Prioritäten im Laufe der Zeit immer wieder verschieben. Für mich hat jetzt das Studium Priorität, in ein, zwei Jahren ist das noch einmal anders, denn für Olympia kann ich nur das Maximum herausholen, wenn ich voll dahinterstehe. Vielleicht läuft es ja noch einmal auf einen doppelten Erfolg hinaus: Olympiamedaille und Master-Abschluss.

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