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Gruppenbild mit Kampfhund: Unser Autor (links, ohne Dackel) als 12-jähriger vor dem Champions-League-Finale 1997 im elterlichen Wohnzimmer in Dortmund-Aplerbeck.

© Privat

Rückrunden-Auftakt mit dem BVB: Ich möchte, dass es weh tut!

Dortmunds Siegesserie ist für Fans zwar schön, aber auch unheimlich: Alles fühlt sich perfekt an, ahnungslose Mitläufer wollen dabei sein. Echte Liebe aber entsteht nur aus Leid. Eine Beichte.

Am fünften Spieltag verweigerte mir die Mannschaft erstmals das mir zustehende Quantum an Leiden, Aufregung, Ärger. Kurz: an verdientem Fan-Sein. Bis dahin war alles noch ganz normal: Nach einer großmütig hingenommenen Auftaktniederlage gegen Leverkusen war der BVB in Schwung gekommen, am vierten Spieltag wurde der Todfeind im eigenen Stadion vernichtet. „Endlich mal wieder!“, scholl es durch die Borussenkneipe in Kreuzberg, und: „Geiler als Meisterschaft, schalalala!“

Mit dem 5:0 gegen Kaiserslautern am fünften Spieltag wurde es dann obszön, an diesem Abend meldete ich meinen Facebookfreunden erstmals eine „Entheimatung durch Erfolg“. Es hatte doch alles so klar vor mir gelegen, so bitter und in dieser Bitterkeit doch so süß: Ein bescheuertes 1:3 würde das werden. Englische Woche, Kaiserslautern, dann noch dieser Wunderstürmer Lakic, der die „junge Innenverteidigung des BVB“ schon „ganz schön alt aussehen“ lassen würde. Bis zu den Details des Kommentatorensprechs schien der Weg vorgezeichnet: Wieder einmal würde eine beginnende Serie im Ansatz abgewürgt. Wieder würde es eine idiotische Niederlage zur Unzeit geben, wieder würde man sich aufregen, jeden einzelnen Spieler verdammen und am Samstag doch wieder da sein. Sprich: ein guter Fan sein können.

Stattdessen wurde die Hinrunde surreal, so surreal, dass ich Siege am Ende nicht mehr unbedingt als Gewinn betrachten konnte: Mit dem Erfolg kamen Langeweile und lässiger Hochmut gegenüber Loser-Teams wie Mönchengladbach oder Nürnberg, kamen Mäkeleien an dem „heute etwas fahrigen Japaner“, kamen Schönwetterfans in die Kneipe. Es kamen die versierten Sticheleien der blau-weißen Kollegen und – fast noch schlimmer – die Respektsbekundungen der völlig Ahnungslosen, die aber großes Begeisterungspotenzial für diese „echt supernette Type, euern Kloppo“ hatten.

Das alles hätte mir vielleicht nichts angehabt, hätte ich mich mit dem Lauf der Dinge irgendwie identifizieren können. Aber die Tränen der Rührung über diese Mannschaft, die für mich irgendwann objektiv zu toll war, um sie subjektiv schätzen, also lieben zu können, waren irgendwann versiegt. Spätestens nach dem unglaublichen 2:1 gegen Freiburg am 13. Spieltag, nach Kubas Frank-Mill-Gedächtnisschuss und Schusters spätem Lattenkopfball, war ich emotional ausgepowert. Das ist umso trauriger, als die Mannschaft wirklich nichts dafür konnte: Hätte sie unsympathisch gespielt, Ergebnisse verwaltet und vermeintlich schwache Gegner unterschätzt, wäre alles in Ordnung gewesen. Wäre sie im Erfolg pomadig, pragmatisch und charakterlos geworden – ich hätte mir mein wachsendes Desinteresse verziehen.

Wäre sie wenigstens ein bisschen wie die Meistermannschaft von 2002 gewesen, mit der ich, auch aufgrund meiner damaligen radikal-kommerzkritischen Phase, bis heute nichts anfangen kann, ich hätte mich selbst verstanden. Da aber jedes Spiel ein Exerzitium in Kampf und Willensstärke, da Kevin Großkreutz ein technisch verbesserter Knut Reinhardt und Nuri Sahin sowieso die 2.0-Version seines Entdeckers Susi Zorc war, gab es wirklich nichts auszusetzen. Der BVB 2010 war von vorne bis zur Grenze des eigenen Fünfmeterraums eine Mannschaft zum Verlieben. Und vielleicht war genau das das Problem: Im Moment des Verliebtseins musste ich den Verlust der Liebe beklagen. Die alte Borussia, zuletzt ja ein eher launisches und mittelmäßiges Weib, war von Jürgen Klopp in ein junges, sexy Ding gemorpht worden. Und obwohl dieses Ding alles andere als belanglos war, sondern schön und tiefsinnig zugleich, nahm ich ihm doch übel, dass es an die Stelle meiner idiotischen alten Affenliebe getreten war.

Der Erfolg stieß mich zunehmend ab: Was anfangs noch Genugtuung war, wurde irgendwann nervig. Unsere Beziehung war in den letzten Jahren doch total in Ordnung gewesen, nach einer Phase des Desinteresses war alles wieder am Werden. Es bestand überhaupt kein Grund für derart ausgiebigen Versöhnungssex! Was mich neben der allgemeinen Entfremdung verletzte, war also die mangelnde Tiefe des Höhenflugs, es war der Mangel an großen Niederlagen in den letzten zehn Jahren. Eine Meisterschaft kann nicht nur für eine junge Mannschaft „zu früh“ kommen, sie kann es auch für die, die sie lieben und lieben lernen: Die Großartigkeit der Meistertitel von ’95 und ’96 bedurfte des Sekundentods im Saisonfinale von 1992, als der Stuttgarter Guido Buchwald mit einem Tor in der 86. Minute den BVB zum Vizemeister machte. Der Champions-League-Sieg von 1997 gegen Juventus Turin bezog seine Süße nicht zuletzt daraus, dass derselbe Gegner mit denselben Schlüsselspielern den BVB in den Uefa-Cup-Finals 1993 so bitter vernichtet hatte, dass ich in meinen ersten bis zum Ende vor dem TV erlebten Europapokalnächten bittere Tränen weinte. Das zehnminütige Geschrei, in das ich als Zwölfjähriger vier Jahre später nach Lars Rickens Heber zum 3:1 ausbrach, ist ohne diese Demütigung der eigenen Idole nicht denkbar.

Ein Durchmarsch in der Rückrunde wäre daher so wenig wünschenswert, wie er emotional nachhaltig wäre: Damit aus dem Verliebtsein eine neue Liebe werden kann, braucht es Leid. Und was ist denn bisher erlitten worden, dass das Glück, das dieses Verliebtsein vorgaukeln möchte, rechtfertigen würde? Das Mittelmaß der Jahre nach dem Niebaum-Crash 2005? Pah, das ist kein Leid. Leid ist nicht, wenn Markus Brzenska und Florian Kringe sich redlich bemühen vor einem Publikum, das schnell wusste, dass von Typen wie Brzenska und Kringe mehr als redliche Mühe nicht zu erwarten war. Leid ist nicht, einen notwendigen Sanierungsprozess zu erdulden. Leid ist nicht die gefühlt längste Unentschieden-Serie der Welt in der Saison 2008/2009. Leid ist nicht einmal, wie 2007 im eigenen Stadion von Energie Cottbus ausgekontert zu werden, wenn das die Entlassung von Besetzungsfehlern wie Jürgen Röber vorantreibt.

Leid ist, wenn überhaupt, der vom Schiri der Partie HSV gegen Eintracht geklaute Europa-League-Platz am Ende jener Unentschieden-Saison 2008/2009, wobei das Leid durch die Dynamik des stetigen Werdens gemildert wurde: Solange man „Vielleicht ist es eh noch zu früh“ denken kann, ist es aus partnerschaftspsychologischer Sicht definitiv noch zu früh. Das Leid, das dem wahren Glück im Fußball notwendig vorangeht und in dem sich die Liebe des Fans beweist, ist, nachhaltig nicht das zu bekommen, was man schon lange verdient hat. Das einzig wahre Liebesbekenntnis im Fußball und überhaupt ist eben nicht „Ich liebe dich“, sondern „Ich liebe dich trotzdem“. Bei der Borussia der Saison 2010/2011 geht aber genau das schwer über die Lippen.

Deshalb hoffe ich jetzt beinahe auf eine enttäuschende Rückrunde, aus der eine Mannschaft hervorgeht, deren gerechter Zorn keine Grenzen kennt und den Grundstein legt für eine furiose, emotional tief bewegende Meisterschaft im Jahr 2013. Was es dazu bräuchte? Zunächst einmal heute einen grandiosen, in seiner Souveränität alle überraschenden Sieg gegen Leverkusen, direkt gefolgt von absolut unerklärlichen Pleiten gegen Stuttgart und Wolfsburg. So liefe der ideale Auftakt für das, was man dann eine „durchwachsene Rückrunde“ nennt und was ich mir tief in meinem Innern wünsche. Denn mehr noch als Siege möchte ich meine alte Liebe Borussia zurück, diese Mannschaft, die selbst zu ihren besten Zeiten immer für Enttäuschungen, Panikattacken und Herzstillstände gut war.

Ich möchte, dass es wieder weh tut, dass es unstet, wankelmütig und zutiefst verletzend ist. Ich möchte lieben. Ich bin bereit für die Auswärtsniederlage auf dem Betzenberg am 22. Spieltag. Ich bin bereit, mich in aller Öffentlichkeit von den Zeitläuften demütigen zu lassen. Ich möchte mir meine Liebe und den Triumph verdienen. Er soll so süß sein wie alle Meisterschaften meines Lebens zusammen. Ein Durchmarsch 2011 würde da nur stören.

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