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Sport: Ruhm oder Rente

Wladimir Klitschko boxt heute gegen den fünf Jahre älteren Chris Byrd um den WM-Titel und verbindet damit seine sportliche Zukunft

Witali und Wladimir Klitschko haben immer von ihrem Traum gesprochen: „Wir wollen beide gleichzeitig Weltmeister sein.“ Es blieb bei diesem Traum. Wladimir ging zweimal kläglich k. o. Witali musste seine Karriere vorzeitig beenden, weil sein Körper streikte. Nun träumen die Brüder nicht mehr. Sie haben für die IBF-Weltmeisterschaft im Schwergewicht zwischen Chris Byrd und Wladimir Klitschko (heute 22.40 Uhr live in der ARD) in der SAP-Arena in Mannheim die offizielle Losung der Familie ausgegeben: „Alles oder nichts“. Ruhm oder Rente.

Spannung und Sympathie begleiten Wladimir Klitschko zum Showdown. Innerhalb von 48 Stunden waren alle 14 000 Karten vergriffen. Der amerikanische Pay-TV-Sender HBO überträgt erstmals einen Kampf live aus Europa, also zur Nachmittagszeit in den USA, und wiederholt die Weltmeisterschaft zusätzlich abends zur „Prime Time“. Hundert Fernsehstationen aus aller Welt seien zugeschaltet, teilte Klitschkos Manager Bernd Bönte mit.

Vor fünfeinhalb Jahren hatte Wladimir Klitschko in Köln Chris Byrd souverän nach Punkten besiegt und den WBO-Titel in die Familie zurückgeholt. Witali hatte wegen einer Schulterverletzung Kampf und Gürtel gegen den unorthodoxen Rechtsausleger aus den USA aufgeben müssen. Nach jenem 14. Oktober 2000 zahlte Partygänger Wladimir mit zwei bitteren K.-o.-Niederlagen gegen Corrie Sanders und Lamon Brewster für sein süßes Leben. „Der Sport mit den vielen Erfolgen hat mir nicht mehr geschmeckt. Es war langweilig, weil mir alles viel zu leicht fiel. Ich hatte keine Begeisterung mehr“, sagte ein nachdenklicher Wladimir Klitschko in seinem Trainingscamp auf Mallorca.

Der intelligente Boxer, promovierter Sportwissenschaftler, sprach wie ein Geschichtslehrer vom „Napoleon-Syndrom“. Doch er will nicht auf Elba enden, sondern auf den Thron zurückkehren. Die beiden K.-o.-Niederlagen seien Lektionen fürs Leben gewesen, die er nicht aus seiner Biografie streichen würde. „Durch die Niederlagen habe ich die Liebe zum Sport neu entwickelt und bin kompletter geworden.“ Der eindrucksvolle Sieg zuletzt in Atlantic City über den unbesiegten Haudrauf Samuel Peter gilt als Beweis seiner Läuterung.

Wladimir Klitschko ist, knapp zehn Jahre nach seinem Olympiasieg in Atlanta und nach 48 Profikämpfen (45 Siege, 40 durch K. o., drei Niederlagen durch K. o.), dreißig Jahre alt geworden. Er sieht seine Karriere erst vor sich. „Früher habe ich gedacht: Mit dreißig bist du ziemlich alt. Aber im Schwergewicht hat man mit dreißig seine besten Jahre erst vor sich. Meine besten Kämpfe kommen erst noch. In Kopf und Seele fühle ich mich jung.“

Die 35 Jahre Chris Byrds sind die Bestätigung dieser Erkenntnis. Denn mit dreißig Jahren hat sein Aufstieg erst begonnen. Mit 32 wurde er im Dezember 2002 durch einen Punktsieg über den bereits 40-jährigen Evander Holyfield IBF-Champion. Seitdem trägt Chris Byrd Rastazöpfe, was nicht die einzige Veränderung gegenüber dem ersten Kampf gegen Wladimir Klitschko ist. Er hat das Handicap, mit 1,88 Metern und 95 Kilo „ein kleiner Kerl in einer Klasse von Riesen“ zu sein, überwunden. „Früher haben mich diese großen Kerle eingeschüchtert“, gesteht Byrd. Jetzt ist er zwar immer noch gleich groß, aber ein mutigerer Kerl geworden. „Ich bin ein schlauer Typ und weiß jetzt, wie ich gegen diese großen Burschen kämpfen muss. Ich bin aggressiv und verschaffe mir von Anfang an Respekt. Ich gehe rein und diktiere den Kampf. Außerdem gibt keinen Schwergewichtler auf der Welt, der es mit meiner Kondition über zwölf Runden aufnehmen kann.“

Hartmut Scherzer[Mannheim]

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