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400-Meter-Lauf mit Stöckelschuhen. Tanzen ist anstrengender, als es aussieht. Foto: AFP

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Sport: Rumba im Ostblock

Die Lateintanz-WM in Berlin dominieren Teilnehmer aus Osteuropa.

Berlin - Als Max Schmeling bei der Eröffnung der nach ihm benannten Halle 1996 zugegen war, sprach er übers Tanzen. Das lag daran, dass nicht sein Sport Boxen, sondern die WM der Standardtanz-Formationen als Hallenpremiere auserkoren worden war. „Bei unserem Sport wie im Tanzen sind schnelle Beinarbeit und Konzentration bei den Bewegungen gefragt“, sagte Schmeling damals. „Nur wer bereit ist, dafür viel zu investieren, wird auch Erfolg haben.“

Fast zwei Jahrzehnte später wurde gestern in der Berliner Schmeling-Halle wieder getanzt. Nur einen Tag lang dauerte die Ermittlung der weltbesten Amateurpaare in den lateinamerikanischen Tänzen. Am Samstagmittag hatte der Wettstreit der knapp 90 Paare aus 52 Nationen begonnen, kurz vor Mitternacht ging er zu Ende. Aus den Teilnehmerländern waren in aller Regel die Meister und die Zweitplatzierten am Start, über mehrere Runden lief eine spannende Ausscheidung bis zum Finale der besten sechs (nach Redaktionsschluss beendet). Bis zum Viertelfinale mit noch 25 Paaren gab es keine Überraschung, beide deutschen Paare (Marius-Andrei Balan/Nina Bezzubova sowie Pawel Pasechnik/ Marta Arndt) und natürlich auch die italienischen Titelverteidiger Aniello Langella/Krystyna Moshenska waren weiter dabei.

Gewertet wird per Platzziffer, soll heißen, in der Endrunde haben die Juroren die Ziffern von eins bis sechs zu vergeben – am Ende gewinnt die beste Wertung.

In den Hauptrunden der Abendveranstaltung wurde das Feld zunächst von 48 über 24 und 12 Paare auf das Finalfeld von sechs reduziert. Die beiden deutschen Paare haben übrigens ihre Geburtsländer komplett in Osteuropa – was generell für viele Teilnehmer gilt.

Tänzer aus Russland, anderen ehemaligen Staaten der Sowjetunion wie Moldawien, der Ukraine oder auch aus Polen oder Rumänien bringen oft eine Ballettausbildung mit, auf die sich aufbauen und im besten Falle in Westeuropa mit neuer Staatsangehörigkeit auch Geld verdienen lässt. Wobei das bei den Amateuren freilich überschaubar ist und nicht zum Leben reicht. „Früher waren Tanzlehrer Profis und die anderen Amateure“, sagt die deutsche Verbandssprecherin Sibylle Jänichen. „Heute müssen sich die Amateure meist noch in einem Zweitberuf mühen, weil die Einnahmen aus dem Tanzsport bescheiden bleiben.“

Vergleicht man dies mit anderen Sportarten, erkennt man schnell ein ziemliches Missverhältnis zwischen Aufwand und Nutzen. „Paare auf dem Niveau unserer beiden WM-Starter trainieren fünf- bis sechsmal in der Woche je fünf Stunden“, sagt Jänichen. „Will man das durchziehen, braucht man Arbeitgeber, die da mitspielen.“ Jänichen ist selbst Tanzsportlehrerin auf Breitensportniveau, übt auch fünfmal pro Woche, „aber nur jeweils zweieinhalb Stunden“. Bei den fünf lateinamerikanischen Tänzen, die für Tempo, Temperament, Explosivität, Rhythmus, Eleganz und Rasanz stehen, ist die körperliche Beanspruchung besonders groß. „Man sagt, dass ein Tanz von rund zwei Minuten in etwa einem 400-Meter-Lauf entspricht. Dementsprechend hoch ist der Puls.“ Um am Ende in der Schmeling-Halle als Weltmeister gekürt zu werden, waren mindestens 25 Tänze zu absolvieren.

Jede der fünf verschiedenen Darbietungen zwischen Zwei-Viertel- und Vier-Viertel-Takt steht dabei für einen besonderen Charakter. Samba verkörpert Dynamik, Cha-Cha-Cha Koketterie, Rumba Sehnsucht, Paso Doble Stolz und Jive Ausgelassenheit. Diese Zuordnungen machen es vielleicht verständlich, dass die deutschen Tugenden im Tanzsport nicht die angesagtesten sind. Zuschauen aber, das wollten die Berliner schon am Vormittag ziemlich gern. Rund 3000 applausfreudige Besucher füllten in der Arena den Unterrang, gegen Abend stockte sich das auf etwa 5000 auf. Vielleicht werden die Deutschen ja doch noch ein Volk von Tänzern.

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