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Sabine Lisicki, 23, wurde als Kind polnischer Spätaussiedler in Troisdorf geboren. 2003 zog sie nach Berlin, wo sie bis heute in Hohenschönhausen eine Wohnung hat. Am vergangenen Samstag stand sie als erste Deutsche seit Steffi Graf 1999 im Wimbledon-Finale.

© dpa

Sabine Lisicki im Interview: "Deutschland ist – zack – wieder auf der Tennis-Landkarte"

Sabine Lisicki hofft auf einen Aufschwung ihres Sports in Deutschland. Im Tagesspiegel-Interview erklärt sie außerdem, was ihr Berlin bedeutet und warum sie im Wimbledon-Finale gegen ihre Tränen verlor.

Frau Lisicki, was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Berlin denken?

Berlin ist eine Stadt, die lebt, eine historische Stadt.

Haben Sie überhaupt Zeit für historische Spurensuche?

Wenn ich hier bin, mache ich das sehr gerne. Einfach durch die Stadt zu spazieren, in der Nähe vom Hackeschen Markt. Man verliert sich in Gedanken, entspannt.

Was sind denn die Orte, die Sie Freunden und Verwandten zeigen, wenn Sie Besuch bekommen?

Ich bekomme leider so wenig Besuch, weil ich so selten hier bin. Wenn wir von Januar bis November von Turnier zu Turnier reisen, wissen wir nie, wann wir in Berlin sind. Deswegen freue ich mich jedes Mal, nach Hause zu kommen, selbst wenn es nur für ein, zwei Tage ist.

Wie viele Tage im Jahr sind Sie in Berlin?

Sehr wenige, es sind sehr wenige Wochen. Die meiste Zeit sind wir ja auf der Tour, auf Reisen. Gezählt habe ich nie.

Stört es Sie, so viel im Hotel zu leben?

Am Anfang habe ich mich schon gefragt, wie man das schaffen kann, drei oder vier Wochen im Hotel zu sein. Das ist doch nur ein Zimmer, oft nur ein Schlafzimmer. Aber man gewöhnt sich an diesen Lebensstil. Man lernt, was man braucht, um sich wohlzufühlen.

Und was ist das für Sie?

Meine Eltern dabeizuhaben. Auch mit Freunden Kontakt zu haben über Skype.

Was ist für Sie ein angenehmes Hotel?

Mit den Jahren bekommt man die Erfahrung, welches Hotel einem gefällt, welcher Stil. Da gab es in einigen Städten schon Hotels, die mir nicht gefallen haben. Da sind wir dann auch nicht wieder hingegangen. Denn es ist wirklich das A und O, sich wohlzufühlen, wenn du dich mal vom Turnierort zurückziehen willst.

Gibt es Turniere, auf die Sie sich allein wegen des Hotelzimmers freuen?

Ehrlich gesagt, freu ich mich immer auf Wimbledon, weil wir da ein Appartement mieten können. Das fehlt mir sonst, wenn wir unterwegs sind, dass man auch gar nicht kochen kann. In Wimbledon habe ich den regulären Alltag. Deswegen fühle ich mich auch so wohl, weil es sich wie zuhause anfühlt. Wir versuchen, das in Zukunft auch in anderen Städten hinzubekommen.

Boris Becker hat mal gesagt, der Centre Court von Wimbledon sei sein Wohnzimmer. Ist er das nun auch für Sie?

Ja. Ich hab hier so viel Unterstützung bekommen von den Briten. Das ist so ein tolles Gefühl, das hilft einem unglaublich.

Wie erklären Sie sich das?

Ich bekomme ja viele Meldungen über Twitter oder Facebook, in denen die Leute sagen, dass sie es toll finden, mit wie viel Freude ich Tennis spiele. Mit wie viel Emotionen. Das bin ich einfach.

"Ich lächle oft auch, weil ich weiß, was ich für einen Fehler gemacht habe."

Wie viel von Ihrem Lächeln ist tatsächlich Freude und wie viel davon einfach der Versuch, im Fluss zu bleiben, wenn es mal nicht so läuft?

Ich lächele ja oft auch, weil ich weiß, was ich für einen Fehler gemacht habe.

Ein Lächeln der Erkenntnis sozusagen?

Ja, genau. Du weißt doch, was du falsch gemacht hast. Das hilft mir auch, weiter positiv zu bleiben und es das nächste Mal besser zu machen.

War das denn schon immer so, auch als Sie angefangen haben Tennis zu spielen?

Ja, ich hatte immer Spaß am Tennis.

Und haben Sie sich das denn immer so vorgestellt wie es heute ist?

Ich hab mir gar nichts vorgestellt (lacht). Ich wollte Tennisspielerin werden, wollte in Wimbledon auf dem Centre Court stehen. Aber als kleines siebenjähriges Mädchen, weiß man nicht, was dahintersteckt. Das ist einfach das, wovon man träumt. Man kriegt erst über die Jahre mit, was das für ein langer Weg ist.

Ist das Finanzielle die größte Herausforderung für einen angehenden Tennisprofi?

Am Anfang auf jeden Fall. Bei den ganzen Jugendturnieren kriegt man kein Geld. Die Eltern legen die ganze Zeit nur Geld hin und investieren in dich. Ob sich die Investition auszahlt, weiß man nie. Deswegen bin ich meinen Eltern auch so dankbar, dass sie mir ermöglicht haben, meinen Träumen zu folgen.

Haben Sie mit Ihren Eltern darüber gesprochen, dass es auch eine Investition ist?

Meine Eltern haben das von mir ferngehalten. Sie wollten, dass ich Spaß habe. Sie wussten, dass ich gut spiele. Und wenn einem viele Experten, wie zum Beispiel Nick Bolletieri sagen, dass ich Potenzial habe, dann gibt einem das natürlich den Glauben, dass es sich lohnt. Meine Eltern haben alles getan, damit ich glücklich werde. Ich habe das dann erst später mitbekommen.

Haben Sie nie an sich gezweifelt, zum Beispiel als Sie wiederholt von Verletzungen zurückgeworfen wurden?

Nein. Ich wusste, dass ich immer zurückkomme. Ich liebe den Sport einfach, jeden Moment auf dem Platz. Egal, was kommt. Das hat mich stärker gemacht.

Sie wollten nie etwas anderes machen?

Nein. Tennis war’s und ist es geworden.

Wie viel Plan steckt in Ihrer Karriere?

Das ist schwer planbar. Man weiß nie, was passiert. Der entscheidende Punkt war, als ich mich nach der Mittleren Reife beurlauben ließ. Da sind wir erstmals bewusst ein Risiko eingegangen.

"Dann läuft man im Finale auf einmal mit einem Blumenstrauß auf den Platz."

Was erwarten Sie von den nächsten Monaten jetzt nach Ihrem Erfolg? Boris Becker hatte Sie vor dem Finale ja noch vor dem Hype gewarnt.

Da lass ich mich überraschen. In London haben mir schon viele Leute gesagt, dass ich mir noch gar nicht vorstellen kann, was in Deutschland los ist.

Was waren für Sie in Deutschland besondere Momente, in denen Ihnen bewusst wurde, was passiert ist?

Als ich am Flughafen in Tegel angekommen bin. Es fing schon an, bevor ich überhaupt in den öffentlichen Bereich gekommen bin. In Tegel warten ja die Passagiere hinter einer Glaswand, die mit derselben Maschine zurückfliegen, also in meinem Fall zurück nach London. Und da klebten so viele Leute an der Scheibe und haben Bildchen und Zettel dran gehalten. Erst als ich auf die Zettel geschaut habe, habe ich gemerkt, dass sie ja mich meinen. Das war unglaublich.

Was stand auf den Zetteln?

„Ich find Dein Tennis toll, Sabine.“ Dass sie mich toll finden, dass sie mich mögen, solche Sachen.

Haben Sie sich gefragt, wie das alles weitergeht?

Ich hoffe wirklich, dass das alles anhält und Tennis einen Aufschwung erfährt. Tennis ist eine tolle Sportart. Es macht Spaß zuzuschauen und mitzufiebern, so habe ich es ja auch über Jahre gemacht.

Haben Sie jetzt auch Reaktionen erfahren, die nicht nur Ihnen galten, sondern auch auf einen Tennis-Aufschwung hindeuten?

Das geht Hand in Hand. Mit dem Sieg gegen Serena fing im Prinzip die Welt an, wieder über Deutschland und Tennis zu sprechen. Da ist eine, die die Nummer eins der Welt geschlagen hat und Deutschland – zack – wieder auf die Tennis-Landkarte gesteckt hat.

Viele geben Ihnen nun Ratschläge wie die Wimbledonsieger Steffi Graf, Boris Becker, Michael Stich. Wie unterscheiden Sie zwischen guten und schlechten Ratschlägen?

Ratschläge helfen mir auf jeden Fall. Es haben mir auch ein paar Leute gesagt, wie es im Finale von Wimbledon ist. Aber man kann noch so viel gesagt bekommen – wie es ist, weiß man erst, wenn man auf dem Platz steht. Man muss diese Erfahrung selbst machen.

Wahrscheinlich hatte Steffi Graf das auch im Sinn, als sie Ihnen riet: Versuch das Finale doch so zu spielen, als wenn es ein ganz normales Spiel wäre. Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass das nicht klappt?

Das Problem war, dass ich am Finaltag schon müde war, das wollte ich mir aber nicht eingestehen. Meine Gegnerin hatte davor alles in zwei Sätzen gewonnen und stand schon mal im Finale. Die Müdigkeit hat mich dann nicht so spielen lassen, wie ich es kann. Das fand ich echt traurig.

Das war auch der Auslöser für die Tränen?

Ja, man spielt einen Doppelfehler und eine Vorhand ins Aus und weiß genau: Das passiert dir sonst nicht. Die Beine wollen nicht, der Körper will nicht. Ich habe jeden Tropfen Energie herausgeholt. Die Tränen waren Ausdruck von Enttäuschung. Der Ball will heute einfach nicht über dieses Netz ins Feld – und das mit diesem tollen Publikum im Rücken.

Wie gehen Sie mit dieser Erfahrung um?

Das wird Gold wert sein. Auch was das Drumherum betrifft. Am Donnerstag war das Halbfinale, danach eineinhalb Stunden Presse. Am Freitag müssen die beiden Finalisten noch mal eine Stunde vor die Presse. Das sind so Sachen, die du nicht weißt, bis du im Finale stehst und das von dir verlangt wird. Und dann läuft man im Finale auf einmal mit einem Blumenstrauß auf den Platz, das ist auch ein anderes Gefühl.

Das Finale war eine emotionale Extremsituation. Psychologen sagen, dass man die gut verdauen muss, wenn man davon profitieren will. Wie machen Sie das?

Es war ja die Müdigkeit. Man will, aber der Körper schafft es nicht. Mental war ich sehr gut auf das Turnier eingestellt, ich war von Anfang an da, um zwei Wochen zu spielen, trotzdem habe ich von Match zu Match geschaut. Aus dieser Perspektive habe ich alles richtig gemacht. Man kann einfach nichts dafür tun, wenn man in einer Situation ist, in der man noch nie war und so kurz davor ist, sich seinen ganz großen Traum zu erfüllen.

Sie machen nun ein paar Tage Urlaub …

…zwei, drei Tage, mehr ist nicht drin, und ich weiß auch noch nicht, wo...

…dann sind Sie wieder in Florida. Was ist Florida für Sie?

Da wohne ich, das ist mein Arbeitsplatz, ich habe da sehr gute Trainingsbedingungen. Sich dort auf die Hartplatzsaison vorzubereiten, vor allem bei der Hitze und der Luftfeuchtigkeit, ist für mich nun besonders wichtig.

Ohne Antwort auf eine Frage können wir dieses Gespräch nicht beenden.

Da bin ich mal gespannt.

Wie wird Ihr Name jetzt eigentlich ausgesprochen – Lisicki oder Lisitzki?

Lisicki. Das war ja einfach.

Das Gespräch führten Jörg Leopold und Friedhard Teuffel.

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