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Natürlich auf Rasen. In Wimbledon erreichte Lisicki schon das Halbfinale und das Endspiel. Nach dem Turnier wächst aber schnell Gras über ihre Erfolge.

© dpa

Sabine Lisicki in Wimbledon: Grün ist ihre Hoffnung

Wimbledon beginnt – und damit die schönste Zeit des Jahres für Sabine Lisicki. Wieso zeigt sie fast nur hier, was sie eigentlich kann?

Toni Nadal kann man nichts vormachen. Der 54 Jahre alte Onkel von Rafael Nadal hat im Tennis schon alles erlebt, er hat Talente kommen, siegen und scheitern sehen. Seinen Neffen coachte er zu bisher 14 Grand-Slam-Titeln. Er wird das sicher nicht ohne eine gewisse Strenge getan haben, die man dem freundlichen Mallorquiner auf den ersten Blick gar nicht zutraut. Aber hinter Siegen und glänzenden Trophäen steht für ihn vor allem eines: harte Arbeit. Und so hatte der spanische Erfolgstrainer auch vor drei Wochen beim neuen Rasenturnier in Stuttgart als Juror einen genauen Blick auf den Nachwuchs gerichtet, auf der Suche nach einem künftigen Wimbledonchampion. „Wissen Sie“, fragte Toni Nadal zwischendurch in die Runde, „wer für mich die beste deutsche Spielerin ist? Sabine Lisicki.“

Als Reaktion bekam er von seine Zuhörern leicht verwunderte Blicke. Wie kam er bloß auf Lisicki? Angelique Kerber und Andrea Petkovic stehen schließlich vor ihr in der Weltrangliste, Kerber gehört noch zum elitären Kreis der Top Ten. Lisicki hat das nie geschafft. Vor zwei Jahren erreichte die 25-Jährige das Endspiel von Wimbledon, diesen Coup hat sie ihren Kolleginnen voraus. Doch seither kam nicht mehr viel Großes, abgesehen von einem Turniersieg in Hongkong. Es ist im Grunde immer nur der Rasen von Wimbledon, auf dem Lisicki wie das alljährlich grüßende Murmeltier auf der Bildfläche erscheint. Dort ragt sie heraus, vielleicht ja auch in den nächsten zwei Wochen wieder, um danach wieder in der Masse abzutauchen.

Starke Leistungsschwankungen bei Lisicki

Ihre Leistungen schlagen aus wie bei kaum einer anderen Spielerin, mal nach oben, mal nach unten. Allein in dieser Saison: Lisicki stürmte bei den wichtigen Masters-Turnieren in Indian Wells und Miami im Frühjahr ins Halb- und Viertelfinale, danach vergeigte sie das Fed-Cup-Halbfinale der deutschen Mannschaft gegen Russland und kassierte beim WTA-Event in Stuttgart zum Auftakt ein peinliches 0:6 und 0:6 gegen die Kasachin Zarina Diyas. Wie kommt Toni Nadal also auf Lisicki? „Was das Spielerische angeht“, erklärt der Spanier, „bringt Lisicki alles mit, was ein Champion braucht. Aber jetzt sage ich Ihnen auch, warum sie nicht ganz oben steht: Sie ist einfach nicht fit genug. Das kann jeder sehen.“

Wimbledon scheint diese Grundregel irgendwie außer Kraft zu setzen. Hätte es Lisicki sonst bei ihren letzten fünf Teilnahmen seit 2009 zweimal ins Viertel- und einmal jeweils ins Halbfinale und Endspiel des immer noch wichtigsten und prestigesträchtigsten Tennisturniers der Welt geschafft?

„Man merkt bei Sabine immer, wie wichtig der Kopf bei ihr ist“, sagt Bundestrainerin Barbara Rittner, „das Selbstvertrauen, das sie hier spürt, macht so viel aus. Und der Rasen kommt ihrem Spiel entgegen.“ Kein anderer Belag im Tennissport ist schneller und für eine wie Lisicki, die mit 211 Stundenkilometern den Aufschlagweltrekord hält und gerade mit 27 in einem Match servierten Assen eine weitere Bestmarke aufstellte, ist der flache Absprung der Bälle mit dieser Waffe schon der halbe Sieg. „Ich liebe es einfach, auf Rasen zu spielen“, schwärmt Lisicki, „für mich fühlt sich das ganz natürlich an.“

Vielen ihrer Konkurrentinnen fällt die Umstellung vom langsamsten Untergrund, dem Sand, traditionell schwer. Monatelang waren sie noch zu den Bällen gerutscht, hatten viel Zeit, sich richtig zum Ball zu stellen. Nun aber müssen sie auf einmal kleine Schritte machen und blitzschnell reagieren. Zudem fehlt vielen Spielerinnen auch schlicht die Lust, dem ungeliebten Spiel auf Gras mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Schließlich bildet die Rasensaison mit seit diesem Jahr drei Wochen zur Vorbereitung auf Wimbledon einen verschwindend geringen Anteil im langen Turnierkalender, der längst vom Hartplatz dominiert wird.

Für Lisicki könnte dagegen am liebsten jede Woche Wimbledon sein, dieses Jahr startet sie gegen Australierin Jarmila Gajdosova ins Turnier. „Ich habe als Kind schon davon geträumt, hier zu gewinnen“, sagt sie. Das alles spricht für Lisicki, aber ist wohl auch ein Teil ihres Problems. Wären da nicht jene alljährlichen positiven Ausreißer auf Rasen, könnte sie sich ihre Lage nicht so schönreden, wie sie es gerne tut. Von den Ranglistenpunkten, die sie in Wimbledon hamstert, kann Lisicki das ganze Jahr über gut leben. So ist sie momentan die Nummer 18 der Welt, und das klingt ja gar nicht so schlecht. Doch zur ganzen Wahrheit gehört eben auch, dass Lisicki die einzige Spielerin der Open Era ist, also der Zeitrechnung im Tennis seit 1968, die es nach einem Einzug ins Wimbledonfinale nicht unter die Top Ten geschafft hat. Denn den Rest ihrer Saison dominiert der Jojo-Effekt.

Unter Kolleginnen bleibt sie eine Außenseiterin

Lisicki hat jedoch ihre ganz eigene Wahrheit und gegen die kommt niemand an. Ihr Vater Richard Lisicki, eigentlich ein Historiker, schulte eigens um, damit er sie von klein auf trainieren und die Karriere finanzieren konnte. Doch er hatte nicht die Führungsqualitäten eines Toni Nadal. Richard Lisicki war nie stark genug, sich gegen den Willen seiner Tochter zu stellen. Stattdessen beließen es die Eltern dabei, Sabine Lisicki darin zu bestärken, dass sie die Beste sei und alles richtig mache.

Beliebt hat sie diese Attitüde unter den Kolleginnen nicht gemacht, besonders nicht unter den deutschen. Da eckt Lisicki regelmäßig an und bleibt eine Außenseiterin. Doch sie gefällt sich im Vergleich mit Maria Scharapowa. In den Sphären der fünfmaligen Grand-Slam-Siegerin sieht sich Lisicki im Grunde, doch sie verwischt dabei das Entscheidende: Gemocht wird die russische Diva zwar nicht, da sie den Tennissport als reinen Job versteht und keine Freundschaften sucht. Aber Scharapowa wird von den Konkurrentinnen dennoch zutiefst respektiert, denn sie arbeitet härter und verbissener als alle anderen.

Um Lisicki ranken sich dagegen seit frühester Jugend schon unzählige Anekdoten, wie sie teils abstruseste Ausreden fand, um Waldläufe zu schwänzen oder das Training abzukürzen. Inzwischen postet Lisicki regelmäßig zum trotzigen Beweis Fotos von sich beim Workout. Doch etwas für einen Profi ganz Selbstverständliches derart zu betonen, kommt als bloße Effekthascherei daher. Und die Ergebnisse müssten auf dem Trainingsplatz längst sichtbar sein. So aber bleibt das Thema mangelnde Fitness ein rotes Tuch für Lisicki, wie auch jede Form der Kritik.

Die sieben Trainer, die sie in den letzten zwei Jahren feuerte, bekamen das deutlich zu spüren. Es gibt eben nur Lisickis eigene Wahrheit. Selbst Martina Hingis biss da auf Granit. Die Schweizerin hatte ihr empfohlen, „ein, zwei Kilo abzunehmen“. Der Grund ist simpel: „Wenn man ein paar Kilos mitschleppt, ist man eben auch anfälliger für Verletzungen. Das ist halt so.“ Und Lisicki war oft verletzt. In ihrer Lesart hatte sie aber einfach viel Pech.

Seit Saisonbeginn müht sich nun Christopher Kas, ihr ehemaliger Mixed-Partner, darum, ihr Potenzial besser auszureizen. Erste Teilerfolge gab es bereits: Lisickis stets präsenter Lebensgefährte, der Comedian Oliver Pocher, hält sich aus dem Training raus. Kas erreicht Lisicki mit seiner lockeren Art offensichtlich. Sie wirkt etwas offener, auch für Veränderungen. Unklar bleibt dagegen aber, wie weit dieser Wille zum Wandel tatsächlich geht. Denn auch Kas wagt noch nicht, von Lisicki die unbedingte Disziplin einzufordern, die sie für eine Steigerung nötig hätte. Und das Trainingspensum von Kerber und Petkovic liegt immer noch weit vor ihrem.

Lisicki will die Beste sein, glaubt aber, sie habe es nicht nötig, den Preis dafür zu zahlen. „Der Anspruch und die eigene Leistung stimmen bei Sabine nicht überein“, bedauert Barbara Rittner. Doch solange Lisicki einzig ihre eigene Wahrheit zulässt, wird immer nur in Wimbledon aufflackern, was alles möglich gewesen wäre.

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