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Wohin des Wegs? Sebastian Vettel will mit Ferrari eine deutlich bessere Saison hinlegen als zuletzt. Zum Auftakt fuhr er beim Qualifying zum Großen Preis von Australien hinter dem Briten Lewis Hamilton im Mercedes auf Platz zwei.

© Imago/Agencia EFE

Saisonstart der Formel 1 in Melbourne: Auf der Suche nach einem neuen Kurs

Die Formel 1 will sich nach der Ära Bernie Ecclestone neu erfinden und für Zuschauer wieder attraktiver werden. Doch die Altlasten behindern die neuen Bosse bei ihrem Vorhaben.

Für Sebastian Vettel ist klar, was er am meisten vermissen wird, jetzt, da Bernie Ecclestone nicht mehr das Zepter in der Hand hält und auch nicht mehr zu allen Rennen kommt: Seinen Backgammon-Partner. „Mit wem soll ich denn da spielen?“, fragte Vettel, als er hörte, dass der 86-Jährige auf keinen Fall zum Saisonauftakt nach Australien kommt. Nur bei einigen Rennen will Ecclestone noch vor Ort sein, „maximal bei der Hälfte vielleicht“, sagt er. Er kommt – obwohl er nichts mehr zu sagen hat. Das haben ihm die neuen Formel-1-Machthaber von Liberty Media um Geschäftsführer Chase Carey wohl eindeutig klargemacht. Ecclestone behauptete in einem Interview, man habe sogar seine früheren Mitarbeiter, die von Liberty Media übernommen wurden, angewiesen, nicht mehr mit ihm zu sprechen. Man wolle die Ära Ecclestone loswerden. Sagte Ecclestone.

Was die neuen Herren bis jetzt wirklich verändert haben, hält sich in Grenzen. Sie haben Ecclestones langjährige rechte Hand im Fahrerlager, Pasquale Lattanedu, gebeten, sich einen neuen Job zu suchen. Und seit den Testfahrten haben sie Teams und Fahrern erlaubt, Videos aus dem Fahrerlager online zu stellen. Außerdem trägt man sich mit der Idee, in Zukunft auch Karten für das Fahrerlager zu verkaufen, um so ein paar mehr Leuten Zugang zum Allerheiligsten der Formel 1 zu gewähren. Bevor allerdings klar ist, auf welchem Preisniveau sich das abspielen soll, bleibt die Frage, wie viele „normale“ Fans die Formel 1 noch ansprechen kann. Dafür wurden langjährige Verträge mit Russland und Kanada geschlossen, ein Ex-TV-Manager als Marketing- und PR-Chef engagiert und Ross Brawn als Sportchef eingeführt. Er soll neue, attraktive Konzepte erarbeiten und umsetzen.

Brawn wirbt schon jetzt für eine gerechtere Einnahmeverteilung, die aber durch das noch bestehende Concorde-Agreement frühestens 2021 möglich wird. Auch beim Motorenreglement, das für die ungeliebte Dominanz von Mercedes mit verantwortlich ist, sind bis 2020 keine Veränderungen möglich. Der ehemalige Ferrari- und Mercedes-Technikchef ist kein Fan der gegenwärtigen Hybrid-Triebwerke. „Insbesondere bei den Antrieben wollen wir mit den Teams und Herstellern über einen Fünfjahresplan sprechen“, sagt Brawn. „Dieser muss technisch relevant sein für die Hersteller, aber kostengünstiger für Kunden und aufregender für die Fans. Mein Traum ist, dass wir alle drei Ziele unter einen Hut bringen.“

Ein Schritt in die richtige Richtung ist vielleicht schon das neue Reglement mit seinen neuen, schnelleren und optisch attraktiveren Autos der Saison 2017, an dessen Zustandekommen die neuen Herren allerdings noch keinerlei Anteil hatten. Die radikale Regelreform hat die Boliden schwerer beherrschbar gemacht und zwingt die Piloten zu einem extremen Fitnessregime. „Wir müssen jetzt ans Limit gehen“, sagt etwa Lewis Hamilton, der am Samstag das Qualifying gewann und am Sonntag auf der Pole Position als Titelfavorit in die neue Saison startet. Die deutlich gestiegenen Fliehkräfte durch die höhere Geschwindigkeit in den Kurven sind in diesem Jahr die größte Herausforderung für die Piloten.

Die Belastung für die Fahrer wird deutlich größer

Bis zu 40 Stundenkilometer schneller kommen die Autos jetzt durch die Kurven. Die Rundenzeiten sollen sich um rund fünf Sekunden verringern, die teils mehr als zehn Jahre alten Rekordmarken könnten serienweise fallen. „Du steigst dann aus und bist ein bisschen nackensteif“, beschreibt Nico Hülkenberg seine Eindrücke nach den ersten Kilometern im neuen Renault. Beim Training an Nacken und Oberkörper schoben die Fahrer daher im Winter Zusatzschichten auf der Hantelbank. Die Piloten brauchen die zusätzlichen Muskelmassen, um den gewaltigen Kräften widerstehen zu können. In den Kurven wirkt in den aggressiveren Autos das Fünffache des eigenen Körpergewichts auf die Fahrer. „Einige schlaue Ärzte werden uns vielleicht erzählen, dass das kurz vor der Ohnmacht ist“, sagt Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery, der mit seinen nun deutlich breiteren und haltbareren Reifen auch zum Spektakel beitragen soll. Schonfahrten, nach denen die Piloten ganz entspannt aus dem Cockpit klettern, sollen der Vergangenheit angehören.

All das soll die Formel 1 wieder attraktiver machen – auch wenn einer nicht daran glaubt. Bernie Ecclestone wäre nicht Bernie Ecclestone, würde er nicht alles daransetzen, gegen Ross Brawn querzuschießen, der jetzt vieles von dem schaffen soll, was Ecclestone nicht mehr schaffte. Niemals werde Brawn das fertig bringen, Brawn sei doch immer nur ein Handlanger gewesen, ob bei Benetton oder Ferrari, nie eine Führungspersönlichkeit, sagte Ecclestone. Er habe früher Michael Schumacher einmal gefragt, wer denn das Ferrari-Team führe, und der habe ihm gesagt: „Ich!“ Typische Ecclestone-Polemik.

Alter Meister. Der frühere Formel-1-Chef Bernie Ecclestone wettert immer noch gegen die neue Geschätsführung.
Alter Meister. Der frühere Formel-1-Chef Bernie Ecclestone wettert immer noch gegen die neue Geschätsführung.

© picture alliance / dpa

Der neue Geschäftsführer Chase Carey wollte genau das nicht mehr: dass die Formel 1 ein One-Man-Show ist. Seine Beobachtungen hätten ihn schnell zu dem Schluss kommen lassen, dass es nur mit einem kompletten Neuanfang gehe: „Als ich gesehen habe, wie Bernie Ecclestone jede einzelne Entscheidung selbst fällte – bis zum Entschluss, wer Zugang zum Fahrerlager erhält –, konnte ich mir schwer vorstellen, dass er sich ändern könnte.“ Schließlich gehe es bei dem, was Liberty Media mit der Formel 1 vorhabe, nicht „um eine Kurskorrektur um zehn Grad. Wir wollen ein komplett neues Geschäftsmodell und eine völlig neue Kultur einführen.“ Mit Ecclestone wäre das nicht gegangen.

Wie das mit der neuen Kultur, der so viel besseren Show, der Rückbesinnung auf alte Traditionsstrecken, der größeren Fannähe mit gleichzeitig mindestens genauso großem geschäftlichen Erfolg in der Praxis tatsächlich funktionieren soll, das konnte so wirklich plausibel noch keiner von den neuen Bossen darlegen. Es wird schwierig, die Belastungen für die Veranstalter deutlich zu senken, so dass sie die Eintrittspreise für die Fans erträglicher werden. Außerdem müssten parallel die Fernseh-Einnahmen erhöht werden, ohne die Formel 1 jedoch komplett ins Pay-TV zu verbannen. So ist es kaum vorstellbar, dass sich die im Laufe der Zeit von Liberty investierten acht Milliarden Dollar amortisieren. Zu viel auf einmal müsste sich ändern.

In erster Linie gilt es deshalb, wieder mehr Anhänger zu gewinnen und etwas gegen die zuletzt oft beklagte Langeweile zu tun. Eine Garantie für Spektakel vom Start in Melbourne bis zur Finalrunde in Abu Dhabi am 26. November kann aber auch die neue Formel 1 nicht bieten. Der vierfache Weltmeister Sebastian Vettel warnt lieber schon einmal zu hohen Erwartungen: „Im Fußball gibt es ja auch Spiele, die sind super – und dann gibt es auch mal ein 0:0.“

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