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Sandro Wagner ist in München mehr als nur Ersatz für Robert Lewandowski.

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Sandro Wagner beim FC Bayern München: "Ich bin in der Form meines Lebens"

Sandro Wagner tickt ein bisschen anders als viele seiner Bundesliga-Kollegen. Beim 5:1 gegen Mönchengladbach gelingt ihm der erste Doppelpack für den FC Bayern.

Es hätten sogar drei Treffer sein können. Nach einem hübschen Vortrag über James Rodriguez und Corentin Tolisso spritzte Sandro Wagner in den Sektor, den Mittelstürmer nun mal aufsuchen müssen, wenn sie ihren Job gewissenhaft erledigen und ihren Marktwert nach oben treiben wollen. Auf der Fünfmeterlinie angespielt, scheiterte Bayerns Aushilfskraft aber an Borussia-Goalie Yann Sommer, im Nachsetzen schrieb sich deshalb Thiago Alcantara anstatt seiner in die Torschützenliste ein. Wagner blieb nur eine Beteiligung am Tor.

Doch der Bayern-Stürmer wird sich wenig daran gestört haben. Zweimal hatte er zuvor schon zum Jubeln abdrehen dürfen, nachdem er mit seinem ersten Doppelpack im Trikot seines Herzensvereins den Rückstand durch Josip Drmic für gegenstandslos erklärt hatte. Es waren dies die Treffer Nummer zehn und elf in dieser Bundesligasaison, und die Treffer Nummer sieben und acht im zwölften Pflichtspiel für die Bayern. Im Schnitt braucht er damit sogar weniger Minuten für ein Erfolgserlebnis als Kollege Robert Lewandowski. „Ich bin in der Form meines Lebens“, sagte Wagner nach dem 5:1-Sieg über Borussia Mönchengladbach deshalb wohl nicht ganz unbegründet ins Sky-Mikrofon.

Dass Sandro Wagner heute überhaupt diesem von Jupp Heynckes trainierten Edelkader angehört, ist schon eine besondere Geschichte. Vielleicht eine der rührigsten im bezahlten Fußball. Als 19-Jähriger debütierte er 2007 noch unter Ottmar Hitzfeld für die gerade mit Franck Ribéry, Luca Toni und Miro Klose teuer aufgepimpten Bayern, doch anders als später bei Thomas Müller oder weiteren Versprechen für die Zukunft kamen nach vier Kurzeinsätzen keine weiteren dazu.

Sandro Wagner musste 30 Jahre alt werden, um noch einmal für den Klub seiner Geburtsstadt auflaufen zu können

Wagner wurde 2009 zwar U-21-Europameister und war auch zweifacher Torschütze im Finale gegen England (4:0), spielte damals aber schon nicht mehr für den Rekordmeister – sondern für den Zweitligisten MSV Duisburg. Während seine Mitspieler Mats Hummels, Manuel Neuer und Jerome Boateng Weltkarrieren starteten, entfernte sich Wagner immer mehr von ihnen. Bremen, Kaiserslautern und Berlin waren die nächsten Stationen. Bei Hertha erinnert man sich an ein Derby-Tor gegen Union und ein paar Roboter-Jubel, aber auch an sehr viele Missverständnisse. Drei Jahre und acht Tore später wanderte Wagner 2015 nach Darmstadt ab. Mit anderen Worten: Wenn man einen Karriereknick skizzieren wollte, nimmt man einfach den Werdegang von Sandro Wagner.

Nun aber hat er sich wieder herangekämpft. Seine Mitspieler heißen jetzt wieder Hummels, Neuer und Boateng. Sandro Wagner musste schließlich 30 Jahre alt werden, um nochmal für den Klub seiner Geburtsstadt auflaufen zu können, bei dem er als Nachwuchsspieler Balljunge im Olympiastadion war. „Ich bin wieder zuhause und genieße den Moment“, sagt Wagner und wirkt dabei fast wie ein Fan, der einen Gastkick im Stadionheft gewonnen hat. Er schießt zwar noch keine überlebenswichtigen Tore, denn große Spiele gehören immer noch in das Aufgabengebiet von Lewandowski. Doch auch ein 4:1 gegen Augsburg drei Minuten vor Schluss oder ein 3:1 gegen Besiktas sechs Minuten vor Ende möchten erst einmal geschossen werden. Kleine Schritte für die Bayern, aber große Schritte für den Sandro.

Und dann sind da ja noch seine Interviews. Wagner führt Dialoge abseits des Rasens wie Zweikämpfe auf dem Rasen: geradeaus, mit offenem Visier, entwaffnend ehrlich. Ob er mit seinem Doppelpack gegen Gladbach seine WM-Chancen erhöht habe und im Sommer in Russland dabei sein werde? „Ich gehe davon aus, ehrlich gesagt“, entgegnet Wagner, ohne lange überlegen zu müssen. Eine erfrischend andere Aussage im heute weitverbreiteten Ich-möchte-meiner-Mannschaft-helfen-Duktus vieler weichgespülter Kollegen. Und ein erfrischend anderer Fußballprofi.

Steven Wiesner

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