zum Hauptinhalt

Sport: Sarajevo: Sarajevooooo!

Der Zug ratterte durch die Nacht. Von München nach Sarajevo - eine lange Fahrt: 19 Stunden.

Der Zug ratterte durch die Nacht. Von München nach Sarajevo - eine lange Fahrt: 19 Stunden. Früh um Fünf Klopfen an der Schlafwagentür. Ein Zöllner der Volksrepublik Jugoslawien fragt nach Gewehren und anderen Waffen. Wir doch nicht, waren doch keine Biathleten, sondern wollten bloß berichten von den Olympischen Winterspielen, damals im Februar 1984. Wir durften, die Kollegen von Radio Free Europe nicht. Die UdSSR legte ihr Veto ein, Begrün-dung: Die Station sende nicht in die USA, sondern ausschließlich in andere Länder (bevorzugt hinter den Eisernen Vorhang).

Dass die 900 Willi Wichtigs vom US-Fernsehsender ihr Logo ABC frevelhaft mit den olympischen Ringen verwoben auf dem Anorak trugen - kein Problem für das IOC angesichts von 91 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte. Aber ein unlösbares, trotz der Liberalisierung der Zulassungsregel (Amateurparagraph), war das Mitwirken jener Eishockeyspieler, die in der NHL beschäftigt waren. Sie traf der Bannstrahl, Team Kanada war noch nicht geboren.

Freiwillig hatten die Bewohner der Republik Bosnien und Herzegowina sowie der Stadt Sarajevo fünf Jahre lang von ihrem monatlichen Einkommen (durchschnittlich 350 Mark) 2,5 Prozent für Olympia gespendet. Was die sich wohl gedacht haben, als die amerikanischen Multitmilliardäre Marylou und Conelius Vanderbilt Prinzen, Scheichs und Stars zur Party luden, Kosten 200 000 Mark? Mitglieder des Jet-Set sind droben auf den Bergen Bjelasnica und Jahorina nicht gesichtet worden. Alpine Rennläufer und Journalisten dagegen bis zu neun mal vergebens. Von der Adria her zog ein Tief auf, Olympia versank im Schnee: 43 Zentimeter fielen binnen 24 Stunden. Ein Orkan fegte mit über 200 Stundenkilometer die Abfahrtsstrecke blank, was nur der Österreicher Franz Klammer ganz prima fand, weil auf dem blanken Eis den Weichschneehelden und Materialsiegern der Schnabel sauber bleiben werde. Irrtum, Klammerfranz raste nur auf den zehnten Platz, Anton Steiner zu Bronze - die einzige Medaille für Austria.

Jeweils vier mal dekoriert wurden die ostdeutsche Eisflitzerin Karin Enke, der schwedische Langläufer Gunde Svan und die finnische Langläuferin Marja-Liisa Hämäläinen. Prinz Alexandre de Merode, Vorsitzender der medizinischen Kommission des IOC, vermutete einige Ausdauersportler blutgedopt zum Olympiasieg geeilt. Nicht ohne Grund, wie man inzwischen weiß. Die Bundesdeutschen hatten keinerlei Anlass zu schadenfrohem Gelächter über die österreichischen Verlierer, angesichts der bescheidenen Ausbeute von vier Medaillen, und wegen der 24 der DDR.

Gold glänzte nur für den Biathleten Peter Angerer aus Berchtesgaden, weshalb dem Kurdirektor Michael Dyckerhoff nicht bange war um die Bewerbung für Olympia 1992; trotz des nahen Obersalzbergs und seiner braunen Vergangenheit. Die Flamme loderte dann allerdings in Albertville. Wenige Monate später lag Sarajevo unter Feuer. Von den Bergen Bjelasnica, Jahorina und Igman, wo die Sportler um Medaillen gekämpft hatten, schossen die Serben vier Jahre lang hinunter nach Sarajevo und verwandelten die Stadt in ein Trümmerfeld; auf dem Platz der Siegerehrungen löschte ein Volltreffer sechs Menschenleben aus.

Wir hatten acht Jahre zuvor über ein zwar muslimisch geprägtes, aber funktionierendes Gemeinwesen mit multi-ethnischem Charakter nach Hause berichtet, unter Kopfschütteln der jugoslawischen Kollegen. Die warnten: Wartet nur, bis Tito tot ist. Einer von ihnen leitete das Presse-Subzentrum in Malo Polje, wo sich die Skispringer Jens Weißflog und Matti Nykänen redlich Gold und Silber teilten. Als die Waffen schwiegen, erzählte der jugoslawische Kollege von schwarzen Schatten an den Wänden eines zerstörten Gebäudes im Sprungstadion, das letzte schaurige Zeugnis abgefackelter Menschen.

Das historische Pulverfass Europas hat noch immer keine Ruhe gefunden. Die Idee von einem zentral regierten, multi-ethnischen und -kulturellen Bosnien auf demokratischer Basis scheiterte am Nationalismus und Fanatismus aller Lager. Der junge Staat zerfällt in die drei ethnisch weitgehend homogenen Gebiete der Serben, Kroaten und Moslems. Noch einmal Olympische Winterspiele, dort? Eine Utopie, Sarajevo ist immer noch gezeichnet vom Krieg: Ruinen, geschwärzte Fensterhöhlen, Spuren des Straßenkampfs. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 50 Prozent, die Wirtschaft stagniert, die 40 Prozent Wachstum bewirken Hilfsorganisa-tionen. Eine Bewerbung für Olympia wäre aber die historische Chance. Und ein Fanal der Hoffnung, wenn Vucko, der Wolf, das Maskottchen der Olympischen Winterspiele von 1984, eines Tages wieder heulen würde: Sarajevooooo!

Hans Eiberle

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false