zum Hauptinhalt

Sport: Scandalo statt Calcio

Die Manipulationsaffäre im italienischen Fußball wirft Schatten auf das italienische WM-Team – Nationaltrainer Lippi gehört zu den Beschuldigten

Frage an Luca Toni: Haben Sie mit Ihrem Freund Stephen Appiah gewettet, wie das WM-Spiel am Montag gegen Ghana ausgeht? „Nein, ich habe ihn ein paar Wochen nicht gesehen.“ Appiah ist mit Ghana im Trainingslager in Würzburg, und Toni bereitet sich mit Italien in Duisburg vor. „Aber gewettet habe ich schon, mit ein paar Freunden ...“ Toni bricht ab, „natürlich nicht um Geld, der Einsatz ist ein Abendessen“. Italienische Fußballspieler wägen jedes Wort ab in diesen Tagen, da in den Gazzettas und Corrieres viel über Scandalo geschrieben wird und wenig über Calcio.

Luca Toni hat für den AC Florenz in der vergangenen Saison 31 Tore geschossen und ist damit Europas Torjäger des Jahres geworden. Das hätte zu normalen Zeiten mehrere Sonderausgaben der italienischen Sportblätter gefüllt. Die Zeiten sind aber nicht normal, sie werden geprägt von Figuren wie Luciano Moggi, der als Manager von Juventus Turin Jahre lang Spiele manipuliert haben soll. Juventus wird wahrscheinlich zurückversetzt in die Zweite Liga, dem AC Mailand und Florenz drohen Punktabzüge, vielleicht wird vor Gericht der Drittplatzierte Inter Mailand zum Meister erklärt.

Die Schatten der Affäre verdunkeln auch die Tage in Duisburg, wo die Italiener im Hotel des früheren Gewichtheber-Weltmeisters Rolf Milser logieren. Sie sind schlecht gelaunt. Bei der Ankunft am Donnerstag schauten sie sich nicht einmal um nach den vielen hundert Neugierigen, die seit Stunden auf die prominenten Gäste gewartet hatten. „Na, immerhin hast du jetzt mal den Mannschaftsbus gesehen“, sagte eine Mutter zu ihrem kleinen Sohn.

Alessandro del Piero erzählt, er habe in Duisburg zum ersten Mal seit Wochen wieder den Fernseher eingeschaltet. „Jeden Tag passiert etwas Neues“, sagt der Kapitän von Juventus Turin, und er klingt ein wenig erleichtert, weil es in der Affäre nicht mehr allein um seinen Verein geht. Del Piero war der Sonnenschein der Serie A, seit er vor 13 Jahren aus Padua zu Juve wechselte. Mit seinen schwarzen Locken und seiner Spielkunst stand er lange vor David Beckham für den Typus Fußballspieler, der das Spiel über das Soziotop des reinen Fußballfans hinaus interessant machte. Der Alltag in einem Klub unter Manipulationsverdacht hat Spuren hinterlassen. Der 31-Jährige spricht ernst und langsam, sein Lachen wirkt gezwungen. Mit seiner neuen Kurzhaarfrisur und den Bartstoppeln im verhärmten Gesicht sieht er aus wie einer der tragischen Statisten in Roberto Benignis Meisterwerk „Das Leben ist schön“.

Für Del Piero endet gerade ein Lebensabschnitt. Die große Mannschaft von Juventus fällt auseinander. Trainer Capello wird wohl zu Real Madrid gehen und die Nationalspieler Cannavaro und Zambrotta mitnehmen, vielleicht auch den Brasilianer Emerson und den Schweden Ibrahimovic. Der Tscheche Nedved denkt an Rücktritt, auch die Franzosen Trezeguet, Viera und Thuram haben Angebote. Nur einer will auch in der Serie B bleiben. „Ein Kavalier verlässt seine Dame nicht“, sagt Alessandro Del Piero.

Noch hofft er, dass sich alles zum Guten wendet. Er habe mit Luciano Moggi schon so viel erlebt, „dass ich ihm meine moralische Unterstützung gebe. Diese Zeit ist auch für mich hart, aber ich kann diese Krise nur überwinden, wenn ich mich ihr stelle.“ Die Glaubwürdigkeit des italienischen Fußballs steht auf dem Spiel, und Del Piero weiß um die Verantwortung, die er und seine Kollegen tragen: „Italien ist an einem dramatischen Wendepunkt angelangt. Wir müssen bei der WM andere Probleme lösen, als nur Fußballspiele zu gewinnen. Es liegt an uns, dem italienischen Fußball wieder ein neues, ein gutes Image zu geben.“

Eine knappe Stunde spricht Alessandro Del Piero in Duisburg über dieses Thema, zu dem andere kein einziges Wort sagen wollen, etwa Marcello Lippi. Der Nationaltrainer zählt selbst zu den Beschuldigten. Er soll verstärkt Spieler berufen haben, die bei Moggis Beratungsagentur unter Vertrag stehen. Eine dubiose Behauptung, für die es keinen Beleg gibt, aber sie wird seit Wochen durch die italienischen Blätter gereicht. Eine italienische Radiostation verkauft mit großem Erfolg T-Shirts mit dem Aufdruck: „Ich bin für Italien“. Auf der Rückseite steht: „Lippi ist nicht mein Trainer!“

Auch Alessandro Del Piero hätte Grund, schlecht über den Trainer zu reden. Mit Inzaghi, Gilardino und Toni steht er im Konkurrenzkampf um zwei Plätze im Angriff. Toni ist gesetzt, Gilardino gilt als aussichtsreicher Kandidat, Inzaghi ist als Joker eingeplant. Und Del Piero? Verliert kein Wort darüber und lobt den Trainer: „Lippi macht hervorragende Arbeit, wir alle vertrauen ihm.“ Del Piero sagt es ohne jeden ironischen Unterton, mit derselben Liebenswürdigkeit, mit der er dem Römer Francesco Totti schon sein Trikot mit der prestigeträchtigen Nummer zehn gegeben hat: „Ich trage ohnehin lieber die Sieben.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false