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Schach-WM: Die Meraner Variante – besonders unscharf

Anand überrascht Gegner Kramnik und baut seine Führung bei der Schach-WM auf 3,5:1,5 aus.

Wenn im Schach plötzlich Beifall aufbrandet, dann muss schon etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein. Wie am Montagabend, als Weltmeister Viswanathan Anand von den Zuschauern in der Bonner Bundeskunsthalle für jene brillante Kombination bejubelt worden ist, mit der er Wladimir Kramnik, seinen Herausforderer im Kampf um den Titel, ein weiteres Mal überlisten konnte. Als Kramnik schließlich gefragt wurde, ob seine Lage im WM-Kampf nun kritisch sei, kam zunächst Gelächter auf, das mit der Antwort in Beifall überging. „Sie könnte besser sein“, sagte Kramnik. Im grellen Licht standen dem Russen nach der zweiten Niederlage zwar ein paar Schweißperlen auf der Stirn und vielleicht waren jetzt auch schon alle Chancen auf den WM-Titel verspielt. Aber immerhin hatte Kramnik seinen Humor behalten.

„Ist es schon vorbei?“, fragte der australische Großmeister Ian Rogers. Anands Dominanz überrascht auch die Experten. Zweimal mit Schwarz gewonnen, 3,5:1,5 in Führung und obendrein darf der Inder, weil zur Mitte des Wettkampfs der Farbrhythmus wechselt, nun zweimal in Folge mit Weiß eröffnen. Möglicherweise wird dieser als schachkulturelles Ereignis inszenierte Kampf gar nicht über die geplante Distanz von zwölf Runden gehen. Dabei ist das 500 Zuschauer fassende Forum der Bundeskunsthalle für die Schlussrunden Ende des Monats schon fast ausverkauft. Am vergangenen Wochenende mussten die Veranstalter weitere Stuhlreihen aufstellen, auch der Kommentatorensaal quoll über mit Schachinteressierten.

Vielen bleibt es ein Rätsel, dass Kramnik sich gegen ein Taktikgenie wie Anand und nach den schlechten Erfahrungen in der dritten Partie auch in der fünften auf die scharfe Meraner Variante wählen konnte. Bei seinen Siegen überraschte der besser vorbereitet wirkende Anand Kramnik jeweils frühzeitig mit Neuerungen. Der Russe verbrauchte viel Bedenkzeit und Kraft, die ihm offenbar in der entscheidenden Phase fehlte.

Die sechste Partie war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch im Gange.

Kramnik – Anand (5. WM-Partie): 1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 e6 5.e3 Sbd7 6.Ld3 dxc4 (Die Meraner Variante.) 7.Lxc4 b5 8.Ld3 a6 9.e4 c5 10.e5 cxd4 11.Sxb5 axb5 12.exf6 gxf6 13.0–0 Db6 14.De2 Lb7 15.Lxb5 Tg8 (Eine clevere Variation zur dritte Partie, in der Anand 15...Ld6 spielt. Obwohl sein Team zwei Tage Zeit hatte, sich mit der Stellung zu befassen, schien Kramnik abermals überrascht.) 16.Lf4 Ld6 17.Lg3 f5 (Und hier versank Kramnik in tiefes Grübeln. Er überzeugte sich wohl auch davon, dass ein natürlich aussehender Zug wie 18.Se5?! eher für Schwarz günstig wäre, wegen 18...Lxe5 19.Dxe5 f6!, z.B. 20.Dxf6 Dxb5 21.Dxe6+ Kf8 oder 20.Lxd7+ Kxd7 21.Dxf6 Taf8.) 18.Tfc1 (Im Prinzip würde Weiß lieber 18.a4 spielen, erklärte Kramnik im Nachhinein; aber darauf missfiel ihm 18...f4 19.Lh4 Dc5 nebst ...Dh5.) 18...f4 19.Lh4 Le7! (Obwohl sein König bald auf dem Feld e7 gefährdet erscheine, sei es ein guter Plan, die Läufer zu tauschen, sagte Anand. „Denn ich konnte nicht erkennen, wie Weiß ohne diesen Läufer angreifen will.“) 20.a4 Lxh4 21.Sxh4 Ke7 22.Ta3 Tac8 23.Txc8 (Nur noch 26 Minuten blieben Kramnik hier für die nächsten 17 Züge. Mit mehr Bedenkzeit hätte er vielleicht das interessante, aber auch kompliziertere 23.Td1 gespielt.) 23…Txc8 24.Ta1 Dc5 25.Dg4 De5 26.Sf3 Df6! (Die finale Gewinnkombination dürfte Anand schon in diesen Moment vorhergesehen haben, denn schon hier würde 27.Sxd4?? am gleichen Trick scheitern, auf den Kramnik drei Züge später hereinfällt.) 27.Te1?! (Kramnik verliert den Überblick. Etwa im Gleichgewicht wäre die Stellung nach 27.Lxd7.) 27...Tc5 28.b4 Tc3 29.Sxd4?? (Notwendig war 29.Lxd7 Lxf3 30.gxf3 Kxd7, „aber dann sollte Schwarz zumindest nicht schlechter stehen“, sagte Anand. „Vor allem, weil bald ...d3 kommt.“) 29...Dxd4! 30.Td1 Sf6! 31.Txd4 Sxg4 32.Td7+ Kf6 33.Txb7 Tc1+ 34.Lf1 (Nur scheinbar ist bei Weiß alles in bester Ordnung, denn der nächste Zug reißt Kramnik aus seinen Träumen.) 34...Se3!! (Huch! Kramnik starrte aufs Brett, der Kugelschreiber verharrte sekundenlang über dem Partieformular. Diesen fantastischen Trick hatte er nicht kommen sehen.) 35.fxe3 (Auch nach 35.h4 wäre es schnell vorbei: 35...Txf1+ 36.Kh2 Sg4+ 37.Kh3 Sxf2+ 38.Kh2 Th1 matt.) 35...fxe3 (Kramnik gab auf. Gegen 36...e2 gibt es keine Verteidigung mehr.) – 0:1.

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