zum Hauptinhalt

Sport: Schach-WM: Ein Fels vor dem Schachbrett - Wladimir Kramniks eiserne Vorbereitung an der norddeutschen Küste zahlt sich aus

Warum "das Biest", wie der gestürzte Schachweltmeister Garry Kasparow genannt wird, in London so ungewohnt kraftlos spielte, bleibt vorerst ein kleines Rätsel. Gerüchte von privaten Sorgen waren erstmals nach der siebenten Partie aufgetaucht.

Warum "das Biest", wie der gestürzte Schachweltmeister Garry Kasparow genannt wird, in London so ungewohnt kraftlos spielte, bleibt vorerst ein kleines Rätsel. Gerüchte von privaten Sorgen waren erstmals nach der siebenten Partie aufgetaucht. Experten gehen aber davon aus, dass der Grund für Kasparows Leiden nur einen Namen hat: Wladimir Kramnik. Der 25-Jährige zermürbte seinen einstigen Lehrmeister mit perfekter Vorbereitung und überlegener Strategie. Viswanathan Anand, Nummer drei der Welt, hatte es schon vor dem Wettkampf geahnt. "Er kann gegen Kramnik nicht Schach spielen. In den Partien gegen ihn sehen wir nicht den Kasparow, der er gegen die Anderen ist", sagte der Inder.

Normalerweise bestreitet Kasparow jede Partie wie einen Kampf auf Leben und Tod. Ein Kampf, den er mit allen Mitteln gewinnen will. Und sei es, indem er Grimassen schneidet oder die Züge seiner Gegner belächelt. Kramnik ist das genaue Gegenteil eines zappelnden Exzentrikers. Er sitzt wie ein Fels vor dem Schachbrett und macht seine Züge. Früher offenbarte er mitunter konditionelle Schwächen. Heute wirkt er fit - physisch und mental. Im Sommer hatte er sich wochenlang in einem Kaff an der norddeutschen Küste einquartiert. Das Wetter sei, so Kramnik, derart schlecht gewesen, dass er sich zwangsläufig aufs Training habe konzentrieren müssen. Mitte der 90er Jahre, er spielte noch beim Bundesligisten Empor Berlin, war Kramnik weltlichen Genüssen nicht abgeneigt. Den "Spiegel" erinnerten seine langen Haare "an einen Neufundländer nach heftigem Platzregen". Die wilden Jahre sind Vergangenheit. Er raucht und trinkt nicht mehr. Geblieben sind seine Liebe zu Dostojewski und zum Spätaufstehen.

Kramnik wuchs auf in einer Künstlerfamilie in Tuapse, einem verschlafenen Hafenstädtchen am Schwarzen Meer. Seine Mutter ist Klavierlehrerin, der Vater Maler und Bildhauer. Mit vier Jahren lernte er das Schachspielen. Schon als Drittklässler gewann er die Erwachsenenmeisterschaft von Tuapse. Mit elf kam er in die Botwinnik-Schachschule - die von Weltmeister Kasparow geleitet wurde. Der hatte Kramniks gewaltiges Potential längst erkannt und holte den 17-Jährigen 1992 in die russische Nationalmannschaft. Noch im gleichen Jahr erhielt er den Großmeistertitel. Beim WM-Kampf gegen Anand 1995 half Kramnik Kasparow als Sekundant. Zwei Jahre später, Kramnik hatte den Champion in Nowgorod besiegt, kühlte das Verhältnis ab. "Nach dem Turnier sagte Kasparow, dass ich gegen ihn schlecht gespielt hätte. Und es hat trotzdem gereicht", konterte Kramnik damals.

Im Vergleich mit dem impulsiven Kasparow wirkt Kramnik eher spröde. Aggressivität, sagte er einmal, sei die Eigenschaft, die er am wenigsten schätze. Dennoch hatte er vor dem Kampf um die Weltmeisterschaft "aggressives und scharfes Schach" ankündigt. Doch das war bloß eine Finte. In Wirklichkeit legte er sich, in genauer Kenntnis der Stärken und Schwächen Kasparows, eine verblüffende Match-Taktik zurecht: In zehn der ersten 13 Partien führte Kramnik clever den frühzeitigen Abtausch der Damen herbei. Indem er Kasparows mächtige Lieblingsfigur vom Brett verschwinden ließ, hatte Kramnik "dem Biest" den Giftzahn gezogen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false