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Schalke 04: Felix Magath - Hirn ohne Herz

„Wer mich holt, weiß, wen er holt“, sagt Felix Magath. Seine Konzepte seien bekannt. Eine davon ist: Machtkonzentration. So wurde er zum Erfolgstrainer. Mit Schalke 04 wagt er sein größtes Experiment.

Es war nur ein Augenblick, aber er verriet viel über Clemens Tönnies’ Gefühlslage. Der Aufsichtsratsvorsitzende des FC Schalke 04 sah, wie ein Dutzend Kinder über den blauen Teppich auf ihn zugelaufen kam, wie gewaltige Flaggen in den Farben des Vereins als Spalier in den Rasen der Gelsenkirchener Arena gepflanzt wurden und wie er schließlich kam, der teuerste Neueinkauf der Vereinsgeschichte: Raúl. Etwa tausend Fans und hundert Journalisten, Fernsehkameras und Radiosender waren gekommen, um die Vorstellung des 33-Jährigen in die Welt hinauszutragen. So etwas hatte es in der Geschichte des Vereins noch nicht gegeben. Tönnies lächelte fein, Gefühle sind wichtig „auf Schalke“, wie man hier sagt, der Präsident schien zufrieden. So hatte sich der 54-Jährige sein Schalke offenbar immer vorgestellt: bedeutend, aufsehenerregend, glanzvoll.

Als Verein mit viel Herzblut und einer weit zurückreichenden Tradition ist Schalke 04 seit langem in der Bundesliga etabliert. Aber es nagt an seinen Anhängern, dass dem emotionalen Gewicht seit 1958 kein Titel mehr neuen Aufschwung zu geben vermochte. Für die Größe zu schwach, lautet das Urteil. Abhilfe soll deshalb das gewagteste Experiment in der Vereinsgeschichte schaffen. Um oben zu bleiben, bedient sich der Klub der Methoden eines Finanzinvestors, als „Heuschrecke“ in eigener Sache. Millionensummen werden in die Entwicklung der Marke gesteckt und auf künftige Einnahmen spekuliert, ohne dass es Reserven gäbe und auf menschliche Schwächen Rücksicht genommen würde. Treibende Kraft hinter dieser Dynamik ist der 57-jährige Trainer Felix Magath. Man war nah dran am Titel in der vergangenen Saison. Diesmal muss es klappen.

Vor ein, zwei Jahren sah die Schalker Welt noch ganz anders aus. Der Gelsenkirchener Verein galt als schuldenbelasteter Chaos-Klub, es drohte das Schlimmste: in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Man muss das wissen, um zu verstehen, weshalb Clemens Tönnies diesen Tag in der Arena Ende Juli so intensiv genossen hat. Schalke war bei Raúls Ankunft wieder wer, vielleicht sogar ein Konkurrent für Bayern München.

Darauf hat der Fleischfabrikant aus Rheda-Wiedenbrück, dessen Unternehmen Milliarden umsetzt und mehrere tausend Mitarbeiter beschäftigt, hingearbeitet. Er wollte Veränderung im Revierverein, weniger Emotionalität, stattdessen mehr erfolgsorientierte Rationalität. Und dafür kaufte er sich seinen Wunschtrainer Magath ein. „Wer mich holt“, sagt der nun, „weiß, wen er holt. Meine Konzepte sind bekannt, meine Methoden ebenso.“ Er kenne nur ein Ziel: „Erfolg“.

Das Wort Erfolg klang aus seinem Mund nie nach Frage. Es war ein Versprechen. Wer ihn in seiner frühen Trainerkarriere verpflichtete, hatte ernsthafte Sorgen. „Ob Felix Magath die Titanic gerettet hätte, weiß ich nicht. Aber die Überlebenden wären topfit gewesen“, hatte sein ehemaliger Spieler Jan Arge Fjörtoft unmittelbar nach dem Klassenerhalt mit Eintracht Frankfurt im Jahr 2000 gesagt. Magath galt lange als Retter in der größten Vereinsnot, war als Schleifer verschrien. Zum VfB Stuttgart wurde er 2001 ebenfalls geholt, weil der Klub in die Zweitklassigkeit abzudriften drohte. Doch im Schwabenland erhielt Magath mehr Macht, wurde erstmals auch Manager und baute die Mannschaft nach seinen Vorstellungen mit jungen Nachwuchskräften wie Kevin Kuranyi um. Von da an ging Magaths Stern auf, weil sein Team bis in die Champions League vorpreschte und der Trainer einen Imagewandel durchlief. Vom „Quälix“ zum Qualitätstrainer. Die Methoden aber änderte er kaum. Selbst beim FC Bayern München schonte er die Stars nicht und war damit erfolgreich wie noch nie.

Es ist weniger die Leistungsidee selbst als vielmehr die Art, wie sie übermittelt wird, die bei Schalke-Fans vor dem Saisonstart am heutigen Freitag Empörung auslöst. „Unser Verein ist keine Diktatur“ prangte als Botschaft auf einem Fan-Plakat in der Pokalpartie gegen den VfR Aalen. Noch nie hat ein Vereinstrainer in Deutschland über eine vergleichbare Machtfülle verfügt. Magath trainiert nicht nur die Mannschaft, sondern führt als Manager auch direkte Vertragsverhandlungen. Überdies ist er Sprecher des Vorstands. Er ist das Hirn der Schalker, die fürchten um ihr Herz.

„Ich bin hierher gekommen, um etwas zu verändern“, sagte Magath bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr. Tatsächlich ließ der Sanierer Taten folgen. Er besetzte etliche Positionen im mittleren Management mit seinen Vertrauten neu und legte ein atemberaubendes Tempo vor. Der Strukturwandel schien rasend schnell und weitgehend problemlos über die Bühne zu gehen, auch wenn langjährige Mitarbeiter sich bereits zu diesem Zeitpunkt hinter vorgehaltener Hand über die geringe Empathie und die mangelnde Kommunikation beschwerten. Als es um den Umbau der Profi-Mannschaft ging, zauderte Magath nicht. Etablierte Spieler mussten weichen, junge, unbekannte Talente wie Joel Matip, Lukas Schmitz oder Christoph Moritz wurden aus der A-Jugend und der zweiten Mannschaft vor die Kulisse von 61 000 Fans befördert. Magath bewies Mut und wurde dafür belohnt. Am Ende stand ein überraschender zweiter Tabellenplatz in der Bundesliga, die direkte Qualifikation für die Champions League war damit geschafft. Magaths Machtposition war unantastbar.

Intern brodelte es. Im Verhältnis zu Aufsichtsratschef Tönnies gab es erste Dissonanzen. Die Bilanzen sehen doch etwas anders aus, als es ihm ursprünglich mitgeteilt worden war, mäkelte Magath. Im Herbst 2009 musste der mit 230 Millionen Euro verschuldete Klub Stadionanteile in Höhe von 25,5 Millionen Euro an den städtischen Energieversorger verkaufen, um die Liquidität für die laufende Saison aufrechtzuerhalten. Das engte den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum des Managers auf dem Transfermarkt zusätzlich ein. Eine schwere Hypothek für Felix Magath, dessen Credo es in den vergangenen Jahren war, Geld in die Hand zu nehmen und ganze Mannschaften auszutauschen. Beim VfL Wolfsburg verpflichtete er in den zwei Jahren seiner Arbeit mehr als 50 Profis.

„Felix Magath ist manchmal ein schwieriger Zeitgenosse“, sagt Tönnies und fügt hinzu: „Wer Erfolg hat, hat immer recht. Ich bin jedenfalls froh, dass ich ihn habe.“ Zum offenen Konflikt mit Tönnies kam es im Anschluss an die Vizemeisterschaft Anfang Mai, als Magath öffentlich über die mangelnde Konkurrenzfähigkeit seines Teams in der Bundesligaspitze mäkelte. Tönnies, der die Ausgaben eigentlich hatte begrenzen wollen, war dabei und verstand es, wie es gemeint war: Die Vereinsführung sollte Magath erlauben, eingespartes Geld und von ihm erwirtschaftete Transfereinnahmen in die Mannschaft zu investieren. Auf über 30 Millionen Euro konnte Magath so sein Einkaufsbudget durch eine geschickte Verkaufsstrategie erhöhen. Das Gehaltsniveau, das bei den Schalkern mit weit über 50 Millionen Euro üppig ausgestattet war, hat er um ein Drittel gesenkt – behauptet er. Identifikationsfiguren wie Kevin Kuranyi, Heiko Westermann, Marcelo Bordon und auch Publikumsliebling Gerald Asamaoh mussten gehen.

Magath ist ein Trainer in ständigem Umbruch. Ihm eilt der Ruf voraus, unerbittlich zu sein. Das waren auch die ihn prägenden Trainer Branko Zebec und Ernst Happel gewesen, die ihm als Spieler erst vermittelten, wie ernsthaft Fußball betrieben werden kann.

Einige Anhänger glauben, dass Magath seinen Einfluss im Fall von Rolf Rojek noch einmal deutlich machen wollte. Rojek war 22 Jahre lang Fanbeauftragter des Klubs und ist als Vorsitzender des Fanklubverbandes mit einem Sitz im Aufsichtsrat vertreten. Wegen dieser Verquickung von Ämtern legte ihm Schalkes Pressechef Rolf Dittrich telefonisch nahe, den Posten des Fanbeauftragten niederzulegen und einen Nachfolger zu bestimmen. Doch nach außen wirkte es wie die Strafaktion.

Denn Magath ist noch immer darüber verärgert, dass ihm die Mitglieder im Mai eine Satzungsänderung verwehrt hatten. Er wollte durchsetzen, bei Transfersummen von bis zu 300 000 Euro nicht mehr die Zustimmung des Aufsichtsrats zu benötigen. Magath, ohnehin als misstrauischer Mensch bekannt, scheint seine ganz eigenen Schlüsse aus der Ablehnung dieses Blankoschecks gezogen zu haben, er wittert gar eine Kampagne. „Es gibt seit längerer Zeit Strömungen im Verein, die die Veränderungen nicht mittragen wollen“, sagt er. Was er im Team durchsetzen konnte, in der Verwaltung sei es nicht zu erkennen.

Für die Traditionalisten ist Schalke stets mehr als eine Leistungsmaschine gewesen. Eine Art Gegenmodell zur käuflichen Welt, mit dessen Fehlern und Schwächen sich die Fans immer arrangiert haben. Wegen dieser inneren Stärke zog es auch einen kühlen Modernisierer wie Magath vom Geldverein Wolfsburg ins Ruhrgebiet. Doch ist ihm bewusst, wie viel er aufs Spiel setzt?

„Dem Felix geht es insgesamt nicht schnell genug“, sagt Tönnies und markiert den Unterschied zur eigenen Sphäre: „Ich bin jemand, der die Leute mitnimmt.“

Tatsächlich wirkt Magath, der als Retter in der Not früher keinerlei Rücksicht auf Sentimentalitäten zu nehmen brauchte, wie ein Durchreisender. Das System Magath lässt keine Nähe zu, weder öffnet er sich dem Betreuerstab noch den Profis. Ehemalige Spieler berichten davon, dass auch Angst eine Rolle spiele. Für die Profis gibt es so gut wie keine Anlaufstellen im Verein mehr, um sich zu beschweren. Entweder sie ziehen nach den Vorstellungen des Trainers mit, oder Magath tauscht sie aus. Der Macher will nicht aufgehalten werden und nicht den Kopf hinhalten für Entscheidungen, die er nicht getroffen habe („Ich halte ihn für meine eigenen hin“). Dann zieht er eben weiter mit seinem Tross, lautet die latente Drohung. Auch bei Schalke 04 scheint man Vorsorge zu treffen.

So soll Felix Magath in der Sommerpause mit Vereinen wie dem Hamburger SV und RB Leipzig geflirtet haben, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das hat in Schalke Verunsicherung ausgelöst. Auf der anderen Seite hat sich Clemens Tönnies besonders intensiv für die Verpflichtung Horst Heldts eingesetzt. Der Unternehmer war eigens nach Stuttgart gereist und hatte den 40-jährigen Manager vom VfB losgeeist, obwohl derselbe Posten bei Schalke durch Magath besetzt ist. Bei Menschen, die sich in Schalke auskennen, gilt die von Tönnies vorangetriebene Verpflichtung Heldts deshalb als Vorgriff darauf, dass Felix Magath seinen noch drei Jahre laufenden Vertrag nicht erfüllen und den Verein verlassen könnte. „Eine Neustrukturierung hat immer etwas mit Veränderung zu tun. Und das kann auch schon mal wehtun“, sagt Clemens Tönnies. Schalke leidet – mal wieder.

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