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Sport: Scheuer Künstler

Das Tischtennis-Genie Waldner tritt leise ab

Das vielleicht letzte Kapitel einer Tischtennis-Epoche beginnt in einer Nebenhalle. An Tisch 29 des „Shanghai Gymnasium“ tritt Jan-Ove Waldner, der beste Spieler, den seine Sportart bisher hervorgebracht hat. Sein Gesicht erzählt auch diesmal nichts von der Bedeutung des Augenblicks. Mit 39 Jahren, so hat sich der Schwede gedacht, sei es wohl Zeit für das Karriereende. Sein Körper erlaubt ihm nicht mehr viel Training, und seine Trikots bestellt er eine Nummer größer. Das verdeckt seinen Bauchansatz besser.

Die Bühne wäre für seinen Abschied bestens geeignet, es ist die größte, die der Tischtennissport zu bieten hat. In keinem anderen Land ist der Sport so populär wie in China, und nach zehn Jahren findet dort wieder eine Weltmeisterschaft statt, in Schanghai. Gestern liefen die Spiele der ersten Runde. „Ich habe immer noch das gleiche Gefühl für Tischtennis wie vor zwanzig Jahren“, sagt Waldner. Doch nach der WM werde er sich zum Nachdenken zurückziehen. Vielleicht wird er aufhören und etwas anderes machen. „Es wird auf jeden Fall etwas mit Tischtennis zu tun haben.“

Über seinen Rücktritt war schon lange gerätselt worden. Zum Beispiel nach der Einzel-WM 2003 in Paris, als Waldner schon in der ersten Runde ausschied. Doch dann kamen die Olympischen Spiele in Athen. Waldner wurde Vierter und verzückte dabei selbst das schwedische Königspaar. Auch bei dieser WM könnte er eine herausragende Rolle spielen, denn wenn es eine Konstante in seiner Laufbahn gibt, dann überragende Leistungen bei den wichtigsten Turnieren. Zweimal wurde Waldner Weltmeister im Einzel, 1989 und 1997, in Barcelona gewann er 1992 die Olympische Goldmedaille, er wurde Schwedens erster Olympiasieger im Sommer.

Es sind jedoch nicht allein diese Erfolge, die seinen Ruhm begründet haben, es ist auch sein Spielstil. Waldner ist ein Überraschungskünstler. Wenn jeder andere den Ball diagonal spielen würde, schlägt Waldner ihn parallel. „Ich wollte schon immer den besonderen Schlag spielen“, sagt er. Im Zusammenspiel von Interesse, Instinkt und Intelligenz ist das Geniale in seinen Auftritten entstanden. „Seine Spiele sind wie Perlen“, sagt der frühere Weltmeister Jiang Jialiang.

In China ist Waldner nicht nur ein sportliches Idol. Er ist oft als Handlungsreisender unterwegs, um schwedische Firmen zu repräsentieren, weil sein Name dort bekannter ist als Ericsson. Vor Monaten hat Waldner mit Freunden in Peking noch eine Sportsbar eröffnet – mit skandinavischen Speisekarte. Waldner ist scheu, am wohlsten fühlt er sich bei seinen Freunden, zu denen sein Doppelpartner Jörgen Persson gehört.

Einen seinen größten Siege hat Waldner im Stillen errungen: den gegen seine Spielsucht. Mit Wetten auf alle möglichen Sportarten und Zockereien bei unterschiedlichsten Spielen hat er sich um einen Großteil seines Vermögens gebracht. Eine halbe Million Euro habe er verloren, sagt Waldner. Nun sei er geheilt. Von der Sucht nach Tischtennis muss Waldner dagegen nicht mehr loskommen. Er kann es auch genießen, ohne selbst zu spielen.

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