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Sport: Schläue schlägt Länge

Der Usbeke Tschagajew besiegt Weltmeister Walujew nach Punkten

„Und David tat seine Hand in die Hirtentasche und nahm einen Stein daraus und schleuderte ihn und traf den Philister an die Stirn, dass der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht.“ So steht die Geschichte von David und Goliath in der Bibel, im Alten Testament, im ersten Buch Samuel.

Nikolai Walujew, der 33 Jahre alte Goliath aus St. Petersburg, fiel zwar nicht auf sein Angesicht, wurde aber von der Schläue Ruslan Tschagajews, des 28 Jahre jungen Davids aus Usbekistan, ähnlich überlistet und erstmals besiegt. Es war eine taktische Meisterleistung, mit welcher der mutige Herausforderer (103,5 Kilogramm, 1,86 Meter) den gravierenden Nachteil an Größe und Gewicht gegen den gigantischen WBA-Weltmeister im Schwergewicht (144,7 Kilogramm, 2,13 Meter) überwand.

Schon nach dem Schlussgong, noch vor der Urteilsverkündung, riss Tschagajew jubelnd die Fäuste hoch. Der russische Riese trottete in seine Ecke, wohlwissend, dass sein Mythos gebrochen war. Der Ausgang war knapp. Ein Unentschieden wäre kein Fehlurteil gewesen. Der Punktsieg des couragierten Außenseiters war dennoch verdient. 114:114 des Südafrikaners Christodoulou, 115:113 des Mexikaners Hernandez und unangemessene 117:111 Punkte des Thailänders Prayasab ergaben eine 2:1-Entscheidung. Bei einem Unentschieden wäre Walujew Weltmeister geblieben, was jedoch nach der Begeisterung der 6000 Zuschauer in der Stuttgarter Porsche-Arena über den besten Schwergewichtskampf der letzten Jahre großes Missfallen ausgelöst hatte.

Der Verzicht auf jegliche Show und jedes Brimborium war ein Segen für diesen Sport. „Es ging nicht um Universum oder Sauerland – das Boxen war der Sieger“, sagte Tschagajews Manager Klaus-Peter Kohl. Wilfried Sauerland nahm die erste Niederlage seines Riesen gelassen hin: „Das Urteil geht in Ordnung. Aber auch ein Unentschieden wäre vertretbar gewesen.“ Auch Walujew akzeptierte das Urteil : „Ich bin damit einverstanden. Die Richter hatten Recht. Ich habe viele Fehler gemacht.“ Tschagajew brachte in gebrochenem Deutsch seine Genugtuung zum Ausdruck: „Alle haben geglaubt: Er ist zu groß, ich bin zu klein. Aber ich bin giftig.“ Und er war gerissen.

Glänzend von seinem Trainer Michael Timm eingestellt, nutzte der einstige Amateur-Weltmeister seine für den Champion ungewohnte Rechtsauslage. Mit seiner Rein-raus-Schnelligkeit und seiner glänzenden Kondition konterte er überfallartig, schlug seine seit der sechsten Runde angeknackste Linke dennoch über Walujews langsame Rechte an dessen mächtigen Schädel. Das sah stets sehr spektakulär aus, ohne dass die Treffer den Koloss erschütterten oder gar aufhielten. Der Titelverteidiger machte mit seinem linken Jab den Kampf, hat technisch noch nie so gut geboxt, wusste aber nicht, wie er gegen den kleinen Rechtsausleger seine Schlaghand einsetzen sollte. Nur einmal traf die rechte Faust. Da knickten Tschagajew in der zehnten Runde prompt die Knie ein.

„Was heute passiert ist, ist kein Grund, mich ins Grab zu legen. Ich mache jetzt eine Pause, beginne dann wieder mit dem Training, will eine Revanche und hoffe, dass Ruslan dann noch Weltmeister ist“, sagte Walujew. Der Showdown gegen Wladimir Klitschko hatte sich schon vorher erledigt. Der IBF-Weltmeister zog die Revanche gegen seinen K.-o.-Bezwinger Lamon Brewster im Juli vor. Klaus-Peter Kohl hat andere Pläne mit dem unbesiegten und unverbrauchten neuen Weltmeister. „Wir gehen nach Amerika. Dort kommt Ruslans Kampfstil bestens an.“ Nicht umsonst hat der gewiefte Manager seinem Schützling den Kampfnamen „The white Tyson“ gegeben.

Hartmut Scherzer[Stuttgart]

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