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Sport: Schlag in die Geschichte

Hellmuth Karasek über die erste Niederlage von Boxer Dariusz Michalczewski

Hamburg. Die Pfiffe gegen den Herausforderer und neuen Weltmeister im Halbschwergewicht, den Mexikaner Julio Cesar Gonzalez, hallten noch durch die Hamburger „Color Line Arena“ – vor allem in den obersten Rängen, wo vorher ein wild geschwenktes, rotweißes Fahnenmeer gezeigt hatte, dass der „Tiger“ auch in Hamburg eine polnische Gemeinde hat, Fans voll patriotischer Liebe – da hörte ich im Waschraum einen enttäuschten Fan Michalczewskis, der vor dem Waschbecken seinen Freunden bitter zurief: „Jetzt sag mir noch, die Welt ist normal.“

Nach dem Zwölf-Runden-Kampf, als zwei der drei Punktrichter für Julio Cesar Gonzales gestimmt hatten, war für kurze Zeit nichts mehr normal für die 15 000 Besucher, von denen die meisten fest bis zum Ende damit gerechnet hatten, dass ihr „Dariusz“ überhaupt nicht verlieren könnte, der neben den Klitschko-Brüdern absoluter Herzensliebling der ausgedehnten Hamburger Box- Szene ist, die sich vom Stamm-Italiener „Paolino“ an der Alster, über den Kiez, vertreten durch glatzköpfige stiernackige Männerschränke mit Goldkettchen, begleitet von schwarz-weiß-getigerten Blondinen mit Stiefeln und weitem Schritt, bis zur Hamburger Schickeria zieht.

Alle waren traurig, aber in der Nachfeier, bei der sich die Prominenz der üblichen Box-Afficionados drängte, setzte sich schließlich, nach anfänglicher Wut, ein Gefühl der Gerechtigkeit für den Sieger durch.

Hat er nicht die ersten vier Runden dominiert, gezieltere Schläge angebracht und den Tiger oft ins Leere laufen lassen? Und war nicht der Tiger, der immer entschiedener zurückzuschlagen suchte, ohne dass dabei die Präzision seiner Treffer zugenommen hatte, als er zum General-Angriff in der letzten der zwölf Runden lostrommelte, vom Blut gezeichnet und einmal so verwirrt, dass er am Rundenende aus dem Clinch, in den sich beide, halb groggy, gerettet hatten, in die falsche Ecke torkelte – richtungslos für einen Augenblick?

Trotzdem – es war ein bitteres Ende nach einem Kampf zweier beherzter, sympathischer, temperamentvoller Fighter, bei dem der eine, der Mexikaner (mit 27 auch im Kampf auf die Dauer erkennbar jünger als der Champion), immer wieder – es blieb einem das Herz stehen – versuchte, Dariusz mit einem seiner gefürchteten Aufwärtshaken umzunieten. Und der andere, Liebling der Hamburger auch wegen seiner explosionsartigen Energie-Ausfälle, seine gefürchteten Trommelfeuer einsetzte (die Menge schrie dann auf, neben mir ächzte in jeder Runde ein Kraftbolzen aus tiefster Brust „Tiger!“) und man dabei übersah, dass diesem schwer-nervösen Geschütz die Präzision fehlte – jedenfalls auf die Dauer. Wird der Tiger alt? Hat er mit seinen großzügig resignativen Worten nach Kampfesende seinen Abschied vom Boxsport erstmals angekündigt?

Jedenfalls ist eine Riesenkarriere, erstmals, zum Ende gekommen. Hätte er gewonnen – zum 49. Mal in Folge, er hätte, wie alle in der Halle wussten, und wie es immer wieder gesagt wurde, „Boxgeschichte“ geschrieben, mit der Siegesserie von Rocky Marciano gleichgezogen.

Es hat nicht sollen sein. Aber der große Fight war ein großes Erlebnis. Wer den Einzug der Gladiatoren erlebt, mit ihren antik anmutenden Gesten und Zeremonien (Morituri te salutant), die aufspringende Menge, die blechernen Trompeten, die an eine Corrida erinnern, der weiß, dass er etwas erlebt, was sich seit Roms Kolosseum-Tagen nicht geändert hat – das Zuschauen beim brutalen Recht des Stärkeren, durch eiserne Regeln und sportliche Disziplin gedämpft. Der Tiger vor dem Kampf in den Zeitungen, den Busen seiner blonden Freundin umspannend (ich Tarzan, du Jane) und sie, wie sie die Zartheit seiner Lippen und Hände rühmt und hemmungslos weint, als er geschlagen ist und sich fair geschlagen gibt. Seine Schwester, die dem Gegner nach einem Kopfstoß „Arschloch!“ zuschreit.

Und über dem Ring, der archaisch aussieht, als käme er direkt aus dem Zeitalter von Brot und Spielen, die elektronischen Bilder der ZDF-Übertragung („Mit dem Zweiten sieht man besser“). Da blickt man hin, wenn mitten im Schlagwirbel vor einem jemand aufspringt, eine Dame mit hoher platinblonder Mähne, und dabei eine Wolke Parfüm freisetzt. Und im Ring, die beiden Kämpfer, sie wirken live, obwohl beide weit über 1,80 m groß, zierlich, ja klein. Erst der Bildschirm darüber macht sie groß. Und das dumpfe Geräusch, live, das die Energie verrät, mit der sie sich auf den Leib rücken.

Eigentlich auf Leben und Tod.

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