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Sport: Schneesturm aus der Kanone

Die Skispringer können am Samstag in Oberstdorf starten – doch das warme Klima bedroht die Vierschanzentournee immer mehr

In den letzten Tagen ist er gekommen. Als hätte jemand eine riesige Puderzuckerdose über Oberstdorf geleert, liegt Schnee auf den Wiesen und Wäldern des Allgäuer Kurorts. Es ist nicht viel. Wer einen Schneemann bauen will, muss sich mühen, nicht Laub oder Erde in seine Kugeln zu rollen. Doch die dünne Schneedecke lässt den Ort in einem winterlichen Weiß erstrahlen – und das ist ein gutes Zeichen. Alles ist wie immer vor der 55. Vierschanzentournee, könnte das bedeuten. Jedenfalls fast, denn Stefan Huber, Geschäftsführer der Oberstdorfer Skisport- und Veranstaltungs-GmbH, gibt zu: „In diesem Jahr war es schon ein bisschen spannender.“

Vor Kurzem musste noch gezittert werden, ob die 55. Vierschanzentournee mit dem Springen am 30. Dezember in der Allgäu-Arena von Oberstdorf beginnen kann. Es fehlte der Schnee. „Das war nichts Neues“, sagt Stefan Huber. In der Vergangenheit hatten sich die Oberstdorfer damit beholfen, den Schnee mit Lastwagen aus dem auf 1070 Metern gelegenen Rohrmoos zu holen. Oder mit Schneekanonen zu produzieren. Doch diesmal war alles anders. In Rohrmoos lag zu wenig Schnee, die Schneekanonen konnten auch noch nicht produzieren. Denn auch dabei muss das Wetter mitspielen.

Bei der künstlichen Schneeproduktion wird Wasser mit Luftdruck durch eine Düse gepresst. Die feinen Partikel gefrieren in der kalten Luft zu Schnee. Dafür werden Temperaturen von mindestens minus drei Grad Celsius und eine niedrige Luftfeuchtigkeit benötigt. Doch wie im gesamten Mitteleuropa ließen in Oberstdorf die kalten, trockenen Nächte auf sich warten. „Wir hatten zwar minus zwei oder drei Grad, aber da war die Luftfeuchtigkeit noch zu hoch“, sagt Huber. Kurz vor Weihnachten sanken die Temperaturen im Allgäu endlich auf minus acht Grad. Sechs Maschinen begannen, 1200 Kubikmeter Schnee in die Allgäu-Arena zu pumpen. „Es sieht blendend aus“, sagte Huber gestern, „wir sind fertig“. Auch Garmisch-Partenkirchen (1. Januar), Innsbruck (4. Januar) und Bischofshofen (7. Januar) melden, dass ihre Springen der Vierschanzentournee gesichert sind.

Das Zittern der Veranstalter zieht sich bereits durch die gesamte Wintersportsaison 2006/2007. Zahlreiche Weltcup-Veranstaltungen mussten mangels Schnee abgesagt werden, zuletzt der Auftakt der Tour de Ski der Langläufer am 29. Dezember in Nove Mesto, Tschechien. Auch der Weltcup der Nordischen Kombinierer am 29. Dezember in Oberhof findet nicht statt und wird am 30. Dezember in Ruhpolding nachgeholt. Das warme Wetter wirkte sich auch auf den Kartenverkauf in Oberstdorf aus. Erst 20 000 Tickets waren bis gestern für Qualifikation und Auftaktspringen in Oberstdorf verkauft. „Die Leute haben später als sonst angefangen, Karten zu kaufen“, sagt Huber, „sie waren noch nicht auf Winter eingestellt“.

Der Klimawandel wirkt sich längst auch auf den Wintersport aus. Der Internationale Skiverband Fis überlegt sich, welche Konsequenzen er aus der Tendenz zu wärmeren Wintern zieht. „Wir könnten den Saisonstart nach hinten verlegen“, sagt Jürg Capol, Fis-Renndirektor beim Langlaufen. Auch in Oberstdorf macht man sich Gedanken. „Man könnte sich Schneekanonen anschaffen, die in der Lage sind, auch bei höheren Temperaturen zu produzieren“, sagt Stefan Huber. Diese aber seien teuer. Als die Durchführung des Auftaktspringens noch fraglich war, machte der Pressechef der Vierschanzentournee eine ungewöhnliche Idee öffentlich. Man könne in Oberstdorf auch auf grünen Matten springen wie im Sommer, sagte Ingo Jensen. Und erntete heftigen Widerspruch. Die Fis erklärte, dass Mattenspringen nur auf einen bestimmten Zeitraum im Sommer begrenzt sei. Auch Oberstdorf wehrte sich, und führte praktische Gründe vor. „Dann muss das Schneenetz entfernt werden, dass auf dem Hang liegt“, sagt Stefan Huber. Sollte dann vor dem Springen doch noch Schnee fallen, würde dieser unkontrolliert vom Aufsprunghang in den Auslaufbereich rutschen. Aber es gibt ein noch wichtigeres Gegenargument.

„Aus touristischer Sicht spricht alles dagegen“, sagt Huber. Der Ort will sich durch die Ausrichtung von Vierschanzentournee, Tour de Ski und dem Weltcup im Skifliegen als Wintersportort präsentieren. Da wäre es kontraproduktiv, wenn das Fernsehen aus Oberstdorf bei der Vierschanzentournee einen grünen Aufsprunghügel in die Welt sendete. „Das wäre für uns die schlechteste Werbung“, gibt Huber zu. Deshalb begeistert ihn auch jene dünne Schneedecke, die sich zuletzt über Oberstdorf gelegt hat. Wer auch immer die riesige Puderzuckerdose geleert hat – die Oberstdorfer Tourismus GmbH schuldet ihm Dank.

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