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Sport: „Schröders Geradlinigkeit imponiert mir“

Bundestrainer Jürgen Klinsmann über seinen Blick aus Amerika auf Deutschland und Parallelen zwischen Sport und Politik

Herr Klinsmann, zurzeit redet ganz Deutschland nicht über die WM 2006, sondern über die ungewöhnliche Entscheidung von Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Neuwahlen. Das müsste Ihnen bei Ihrem Hang zur Risikobereitschaft doch gefallen, oder?

Schwere Frage. Ich verfolge die Politik ja auch nur über die Medien. Persönlich kann ich nur sagen, dass ich vom Bundeskanzler ein sehr positives Bild habe. Er ist ein Mann, der geradlinig seine Entscheidungen trifft und seinen Weg geht. Das imponiert mir.

Wir entdecken da Parallelen zu Ihnen. Sie haben bei Ihrem Amtsantritt als Bundestrainer großen Wert darauf gelegt, zu agieren statt zu reagieren. Genau das tut Schröder jetzt. Er sagt in einer aussichtslos erscheinenden Situation, er wolle die Wahl gewinnen. Sie haben erklärt, Ihr Ziel sei der WM-Titel 2006. Muss man große Ziele formulieren, um Erfolg zu haben?

Wenn man in der Verantwortung steht – und Schröder steht in der größten Verantwortung überhaupt –, dann muss man die Kraft haben und sagen: Ich gehe jetzt diesen Weg, und ich weiß warum. Wir haben mit der Nationalmannschaft ja auch nicht aus lauter Frohnatur gesagt: Wir wollen Weltmeister werden. Wir haben analysiert, wo wir mit der Mannschaft stehen und welchen Weg wir mit ihr gehen wollen. Dann haben wir uns für die Verkündung dieses Ziels entschieden, weil wir wussten, dass diese Mannschaft stark genug ist, um Weltmeister zu werden. Ich kann schwer beurteilen, ob jetzt die Situation für den Kanzler aussichtslos ist. Ich kann nur sagen, dass ich am Mittwoch in Istanbul war…

…beim Finale der Champions League…

…und als der AC Mailand zur Halbzeit 3:0 vorne lag, hat keiner mehr einen Cent auf Liverpool gesetzt. Sie wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Wir haben jetzt Ende Mai, bis zu den Wahlen im September kann noch eine Menge passieren.

Wie wichtig ist positives Denken?

Sehr wichtig. Man muss an jede Aufgabe mit der positiven Grundüberzeugung herangehen. Wenn ich negativ an eine Aufgabe herangehe und nur darüber nachdenke, was wäre wenn, dann kann ich es gleich sein lassen. Wer in der Verantwortung steht, muss positiv gestimmt sein. So mache ich das in meinem kleinen Umfeld der Nationalmannschaft. Ich versuche die Dinge so zu gestalten, dass sie auch mitgetragen werden. So haben wir uns in der Nationalmannschaft einen Stab von Menschen aufgebaut, die ähnlich denken, die voller Energie sind, voller Qualität und uns nach vorne bringen.

Was tun Sie dagegen, dass der Begriff des positiven Denkens nicht zu einer Plattitüde verkommt?

Die Umsetzung kommt allein von der Mannschaft. Ich kann Dinge mitentwickeln und vorleben. Aber am Ende muss die Mannschaft diese Philosophie mitentwickeln und tragen. In unserem konkreten Fall war es so, dass wir unsere Ideen vorgetragen haben. Dann hat sich die Mannschaft damit auseinander gesetzt und sich zum Ziel gesetzt: Wir wollen diesen offensiven Fußball spielen. Nur weil die das wollen, hat sich das gefestigt.

Sie haben wie Bundespräsident Horst Köhler den großen Vorteil des Blicks von außen. Was ist Ihr Eindruck: Wie ist die Grundstimmung in Deutschland?

Es hat sich wahnsinnig viel getan seit der Wiedervereinigung. Ich weiß nicht, wie viele Länder so etwas hätten leisten können wie den Wiederaufbau von Ostdeutschland. Das war doch eine unglaubliche Aufgabe, Millionen von Menschen zu integrieren, dazu die vielen, die aus dem Ausland einströmen. Wir vergessen viel zu leicht, dass wir viele Dinge bewegt haben. Das liegt vielleicht daran, dass wir lieber die 20 Prozent beobachten, die nicht so gut laufen als die 80 Prozent, die positiv laufen. Da bewundere ich die Trainer in der Bundesliga. Wenn sie zehn Fragen gestellt bekommen, dann sind neun davon negativ. Wenn ich damit ständig konfrontiert werden würde, dann hätte ich schon längst keine Lust mehr auf Interviews.

Woran machen Sie diesen Aufbruch im Land konkret fest?

Schauen Sie sich doch diese Stadt an, das Zusammenwachsen von Ost und West. Ich bin alle halbe Jahre hier, und ich muss sagen: Berlin hat sich gigantisch entwickelt! Was hier für eine Energie ist, was die Menschen hier geschafft haben, das ist faszinierend. Wir machen uns das selbst leider viel zu selten klar.

Wie schafft man das, dass die Menschen nicht die halb leeren Gläser sehen, sondern die halb- oder dreiviertel vollen?

Das muss jeder in seinem persönlichen Umfeld machen. Ich wurde geprägt von einem Elternhaus, das mich immer wieder motiviert hat, Sachen anzupacken – aber nur, wenn ich auch dahinterstehe. Mein Vater hat mir immer gesagt: Wenn du nicht Fußball spielen willst, dann mach was anderes. Ich bin nie dazu getrieben worden, ein ganz Großer zu werden. Wenn es mit dem Fußball nicht geklappt hätte, wäre ich halt Bäcker geblieben.

Das ist Ihre positive Erfahrung, aber die lässt sich ja nicht so ohne weiteres auf die Allgemeinheit übertragen. Viele auswärtige Beobachter empfinden das geistige Klima in Deutschland als eng und erdrückend. Hat es Sie nicht belastet, bei der Rückkehr nach Deutschland sich auch dieser Enge stellen zu müssen?

Nein. Sie müssen sehen, dass die mir übertragene Aufgabe eine unglaubliche Ehre ist. So etwas wird es in den nächsten 30 Jahren nicht mehr geben, die Möglichkeit, die Nationalmannschaft zu einer WM im eigenen Land zu führen. Egal, wie die Konstellation davor aussah, ob davor Otto Rehhagel oder Ottmar Hitzfeld gefragt wurden. Das erfüllt einen mit viel Energie und Selbstbewusstsein, und so packe ich diese Aufgabe auch an.

Sie haben mal gesagt, Sie hätten keine Angst mehr vor großen Aufgaben. Das klingt auch nach einer Plattitüde. Was steckt dahinter?

Jeder macht eine normale Entwicklung. Ich bin nach meiner Profikarriere nach Amerika gegangen, bin da Teil einer Firma geworden und habe viele Projekte angestoßen, nebenbei habe ich noch ein Kinderhilfswerk aufgebaut. Ich habe einfach versucht, mich weiterzuentwickeln. Wenn dann so eine Aufgabe von heute auf morgen auf mich zukommt, dann überlegt man schon, ob man dafür stark genug ist. Aufgrund meiner Entwicklung in den USA habe ich für mich entschieden, dass ich stark genug bin.

Da sind wir wieder auf der politischen Ebene. Sie haben nach der missratenen EM in Portugal eine am Boden liegende Mannschaft übernommen, an die in Deutschland niemand mehr geglaubt hat. Der Bundeskanzler muss sich in einer für seine Regierung desaströsen Stimmungslage einer Wiederwahl stellen, und das mit einer Regierungsmannschaft, die als verbraucht und nicht mehr entwicklungsfähig gilt.

Ich kann meine Aufgabe definieren, weil ich den DFB gut kannte und wusste, was auf mich zukommt. Aber wie jetzt die Aufgabe eines Bundeskanzlers im Detail aussieht – da bin ich überfragt.

Aber Sie wissen, wie man eine Mannschaft führt. Sie haben die Leute überzeugt.

Glauben Sie, dass man das miteinander vergleichen kann? Herr Schröder hat eine viel komplexere und schwierigere Aufgabe. Auch bei uns war es ja nicht so, dass ich die Leute überzeugt habe, das hat die Mannschaft getan.

Gibt es nicht identische Voraussetzungen? Mit denen man Kinder stark machen kann, eine Mannschaft, ein ganzes Land?

Ich kann nur sagen, wie es bei uns funktioniert, wie wir im inneren Kern Dinge aufbauen und umsetzen, wie wir einen Psychologen einsetzen, Experten aus dem Ausland heranziehen, kurzum: Wie wir ein Umfeld schaffen, dass so professionell ist, das wir es uns erlauben können zu sagen: Wir wollen Weltmeister werden, und wir haben eine realistische Chance! Aber ich kann nicht in große Unternehmen hineinschauen, wie dort die Teams aufgebaut sind, wie sie sich gegenseitig ergänzen. Das erfordert eine Kraftanstrengung des ganzen Landes. Es sind immer die Menschen, die das Projekt leben und entscheiden, was daraus wird.

Wie in der Nationalmannschaft.

Genau! Die Mannschaft lebt die Philosophie, die wir diskutiert haben. Es ist ja nicht so, dass wir den Jungs gesagt haben: Ihr müsst nach vorne spielen, ihr müsst agieren. Wir haben die Mannschaft gefragt: Ist das etwas, womit ihr euch identifizieren könnt, wollt ihr das mittragen, oder wollt ihr lieber auf Konter spielen? Die Mannschaft wollte nach vorne gehen, und deswegen machen wir das jetzt.

Sie haben zur Bundestagswahl 2002 eine Wahlempfehlung für Schröder ausgesprochen. Würden Sie das heute noch mal machen, oder geht das in der exponierten Stellung als Bundestrainer nicht?

Diese Empfehlung war keine parteipolitische, sondern eine für den Menschen Gerhard Schröder, den ich sehr schätze. Die wenigen Gespräche, die ich mit ihm geführt habe, haben mir viel Spaß gemacht. Darauf basiert meine Unterstützung. Ich kann ja nicht beurteilen, was Rot-Grün nun alles richtig macht oder Schwarz-Gelb alles besser machen würde. Da halte ich mich heraus, da habe ich auch den Kopf nicht frei, denn den habe ich zurzeit mit der Nationalmannschaft voll. Aber die Person Gerhard Schröder genießt meine Wertschätzung, und daran hat sich nichts geändert.

Wann haben Sie sich zuletzt gesehen?

Im letzten Herbst, beim Länderspiel in Berlin gegen Brasilien. Da habe ich in seinem Büro vorbeigeschaut, und wir haben ein bisschen über Fußball geplaudert.

Das Gespräch führten Sven Goldmann, Armin Lehmann und Michael Rosentritt.

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