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Sport: Schützenfest im EX

Von Martin Hägele Tokio. An diesem Abend ist die Türe im EX zu, die geschlossene Gesellschaft kommt durch den Hintereingang.

Von Martin Hägele

Tokio. An diesem Abend ist die Türe im EX zu, die geschlossene Gesellschaft kommt durch den Hintereingang. Selbst alte Bekannte hat Horst, der Wirt, abgewiesen; die Plätze in der klitzekleinen Kneipe in Roppongi, dem St. Pauli von Tokio, sind zur Feier des Tages für Stammgäste reserviert, überwiegend handelt es sich um Leute aus der deutschen Kommune. Aber auch ein Schweizer, ein Ami und ein Ire im grünweißen Nationaltrikot sitzen am Tresen. Oder lehnen, ihr frisch gezapftes Pils in der Hand, an der Wand, weil die Hälfte des Lokals von einer Fernsehcrew des ZDF in Beschlag genommen wurde.

Die Historie des Lokals hat sich bis Mainz herumgesprochen. Die Geschichte von Horst aus Oberhausen, der vor 32 Jahren mit der sibirischen Eisenbahn gestartet und danach mit dem Schiff im Vergnügungsviertel der Metropole gelandet ist. Mit Hiroshi, dem Koch, der Würstel und Schweinsbraten wie zu Hause serviert, hat er seine Wirtschaft eröffnet, die eine ganz eigenartige Klientel befriedigt. Ins EX kommen die Manager von Mercedes und Bayer ebenso wie die Macher von Panalpina und Schweizer Banken, wenn sie irgendetwas gegen das Heimweh essen oder trinken müssen. Oder wenn Fußball angesagt ist.

Dass einmal eine WM zu ihnen kommen würde, hätte sich keiner dieser Leute, die nun schon ein halbes Leben lang in Asien schaffen, jemals träumen lassen. Und wie oft haben sie beim Warsteiner oder Underberg doch über Fußball geredet. Das EX hat sie ja alle auch teilhaben lassen an den deutschen Kapiteln im japanischen Fußballbuch. Genügend Wimpel und Bilder hängen an der Wand. Franz Beckenbauer mit Horst, Karl-Heinz Rummenigge mit Horst, Walter Scheel mit Horst. Die schönsten Fotos aber erzählen von Rudi Gutendorf. Die Schwänke von diesem Trainer-Gruftie mag Horst am liebsten – nicht nur, weil darin auch immer viele und meist sehr junge Geishas auftauchen.

Später kamen Stars wie Guido Buchwald, Uwe Bein, Michael Rummenigge, Pierre Littbarski, die Trainer Werner Olk, Sigi Held, Holger Osieck und Horst Köppel arbeiteten in der J-League. Inzwischen aber hat der Einfluss der Bundesliga nachgelassen, ja eigentlich gibt es ihn nicht mehr. Deshalb hat das erste Schützenfest des WM-Turniers der deutschen Fraktion in Japan, zu der etwa 2500 Bundesbürger zählen, ja so gut getan. Vor ein paar Tagen, beim Gartenfest in der Botschaft, hatte der Conferencier Mühe, ein DFB-Trikot mit allen Autogrammen unter den Hammer zu bringen. Nach dem 8:0 aber ist der Nationalstolz aufgeblüht, das Telefonieren nach Karten für die Partien gegen Irland und Kamerun hat noch in der Nacht begonnen. Horst sagt: „Wir müssen das doch jetzt genießen, nach so langer Zeit voller Entbehrungen vom deutschen Fußball." Er hätte vor 1993, als Japans Profiliga eingeführt wurde, noch gewettet, dass der Spuk schon nach drei Jahren wieder vorbei sei.

Und wenn schon eine Weltmeisterschaft in Japan, „dann vielleicht zusammen mit den Amis im Baseball". Doch dieser Tage hat er in seiner Nachbarschaft eine ganz neue Art von Begeisterung festgestellt. Und auch Neugier, dass in dieser schmalen Gasse zwischen all den Nachtklubs, Karaoke-Läden und Stripschuppen so etwas wie die Wiege oder ein Wohnzimmer des deutschen Fußballs steht.

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