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Sport: Schwach schlägt dumm

Das glückliche 1:0 gegen den HSV macht den Bayern wenig Mut für den Vergleich mit Real Madrid

München. Mitten in der zweiten Halbzeit knatterte ein Rettungshubschrauber des ADAC am größten Münchner Zeltdach vorbei. Die Route zum Einsatzort führte direkt über das Olympiastadion hinweg, aber nicht hinein – dabei hätte man sich gewünscht, die gelben Engel oder sonstige mit übernatürlicher Kraft ausgestattete Wesen wären hinab geschwebt und hätten sich dem lange Zeit grausamen Treiben auf dem Spielfeld gewidmet. „Die Schwächeren haben heute die Dümmeren geschlagen“, erlaubte sich Ottmar Hitzfeld nach dem Schlusspfiff ein erfrischend ehrliches Resümee, und dass Bayerns Trainer dabei noch amüsiert wirkte, war dem scheinbar unerklärlichen Umstand geschuldet, dass seine Mannschaft dieses Spiel gegen den Hamburger SV noch mit 1:0 gewonnen hatte.

Martin Demichelis, keineswegs einer der weniger schwachen Münchner, erzielte drei Minuten vor Schluss das kaum mehr erwartete Tor des Tages. „Zum Spiel hätte die Doppelnull gepasst“, sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, und es schien, als sei ihm die wegen der schwächelnden Konkurrenz freundlichere Tabellensituation beinahe ein wenig peinlich. „Wir sind zwar der Profiteur dieses Spieltages, aber die Leistung ist nicht das, was wir brauchen. Das ist nicht der FC Bayern, den wir kennen.“ Die Tabelle immerhin, die Regeln der Ästhetik prinzipiell ignoriert, weist die Münchner als hartnäckigsten Verfolger von Werder Bremen aus.

Drei Tage vor dem Aufeinandertreffen mit Real Madrid in der Champions League schienen sich die Münchner dem Tagesgeschäft nur mit halber Kraft zu widmen. „Das ist klar, dass die Gedanken der Spieler da auch bei der Weltklassemannschaft Real Madrid sind“, sagte Hitzfeld. Beim Hamburger SV waren sie offenbar lange Zeit nicht.

In der ersten Hälfte erarbeiteten sich die Münchner nicht eine Torchance, nur die spielerisch gefälligeren Gäste kamen einmal gefährlich vor das gegnerische Tor. David Jarolim scheiterte bei seinem Sololauf am 19 Jahre alten Ersatztorwart Michael Rensing, der den am Rücken verletzten Oliver Kahn souverän vertrat.

Rensings Vorderleute entwickelten bei ihrer Arbeit dagegen so viel Kreativität wie die Bediensteten, die sich vor dem Stadion darum kümmern, die Eintrittskarten abzureißen. Wie so oft in dieser Saison sprach Hitzfeld später also von „Abnutzungskampf“ und einem „zähen Spiel“, und weil das im Lager der Bayern jeder so sah, traute sich auch niemand, kernige Parolen in Richtung Madrid zu senden.

Auch in der zweiten Halbzeit waren die Hamburger das aktivere Team. „Die Mannschaft hätte merken müssen, dass da heute mehr drin war“, sagte HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer mit leisem Ärger, während sich bei Klaus Toppmöller Verzweifelung breit machte: „Für mich ist das ein Weltzusammenbruch. Da arbeitest du die ganze Woche, und dann verlierst du so ein Spiel.“ Sergej Barbarez hätte seinem Trainer das betrübliche Erlebnis ersparen können: Der Kapitän vergab die beste Chance des zweiten Durchgangs, als er in einem Überzahlspiel zu eigensinnig agierte. Als Hauptschuldigen für die Niederlage aber hatte Toppmöller Abwehrspieler Björn Schlicke ausgemacht. „Anstatt nach innen zuzumachen, deckt er die Außenbahn“, sagte der Coach, „solche Fehler dürfen gegen Bayern nicht passieren.“ Nicht mal gegen die Bayern von gestern: Roque Santa Cruz lief ungehindert mit dem Ball bis zur Grundlinie, seine Rücklage verwertete Demichelis aus zehn Metern.

„Martin“ schrie der Stadionsprecher Sekunden später dreimal in sein Mikrofon, um den Schützen angemessen zu ehren, und er tat das in einer Lautstärke, als wolle er all die Unzufriedenheit über das schwache Münchner Spiel hinausbrüllen, die sich in 86 Minuten aufgestaut hatte. Er war dabei deutlich lauter als der Hubschrauber.

Daniel Pontzen

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