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Schlag auf Schlag. Paul Biedermann gewann über 400 Meter Freistil Silber, verpasste aber knapp den Sieg.

© dpa

Schwimm-EM: Paul Biedermann: Vom Abiturienten düpiert

Während die deutsche Frauenstaffel den EM-Sieg feiert, ist Paul Biedermann bitter enttäuscht. Der französische Wunderknabe Yannick Agnel schnappte ihm das Gold über 400 Meter Freistil weg.

Schlussschwimmerin Daniela Schreiber machte gerade noch ihre letzten Armzüge im Wasser, da legten sich Daniela Samulski, Silke Lippok und Lisa Vitting hinter dem Startblock bereits siegessicher die Arme um die Schultern. Zwei Sekunden später hatte dann auch die vierte Frau im DSV-Quartett über 4x100-Meter-Freistil ihr Tagwerk vollendet, Deutschlands Schwimmer feierten bei den Europameisterschaften in Budapest in der dritten Entscheidung den ersten Sieg – und den bestandenen Stabilitätstest.

Weil Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen und andere arrivierte deutsche Athleten wegen Trainingsrückstands, Krankheit oder aus beruflichen Gründen auf einen Start in Budapest verzichten, liegen dem DSV die Gruppenveranstaltungen besonders am Herzen. „Das Rückgrat der Mannschaft“ nennt Bundestrainer Dirk Lange die Staffeln, allerdings erlitt dieses Rückgrat wenige Minuten nach dem Jubelchor Schreibers („Fantastisch, ein Hammer“) oder der erst 16-jährigen Lippok („Grandios, ein toller Auftakt bei meiner ersten EM“) einen ersten Knacks.

Denn mit Paul Biedermann als Schlussschwimmer wurde die deutsche 4x100- Meter-Staffel der Männer mit dreieinhalb Sekunden Rückstand auf Sieger Russland nur Fünfter. Für Biedermann war es die zweite Enttäuschung an diesem Nachmittag – wobei die erste deutlich schwerer wog. Um kurz nach fünf war von dem strahlenden Doppel-Weltmeister des Vorjahres nicht mehr viel übrig. Dass er mit den 400 Meter Freistil – immerhin die Strecke, auf der er Australiens Schwimm-Ikone Ian Thorpe vor zwölf Monaten den Weltrekord stibitzte – seit dem Verbot der Kunststoffanzüge auf Kriegsfuß steht, hatte Biedermann vor dem Finale über die acht Bahnen Kraul oft genug betont. Aber nun hatte ihn der französische Wunderknabe Yannick Agnel tatsächlich düpiert und ihm mit 0,13 Sekunden Vorsprung das EM-Gold weggeschnappt.

Aus dem WM-Sieger war ein EM-Zweiter geworden – und Abiturient Agnel grinste nach dem Triumph am Rande des Budapester Pools über beide Ohren. „Ich bin sehr erleichtert, das war mein einziges Einzelrennen hier“, sagte der 2,02 Meter große Schwimmer. Gefolgt von seinem etwas ratlosen Opfer Biedermann, der verdrossen murmelte: „Ich komme in die 400 Meter Freistil einfach nicht rein.“ Womöglich sei die Strecke momentan „zu lang“ für ihn, mutmaßte der 24-Jährige noch – und nahm immerhin etwas aus Agnels Vorführung mit nach Hause: „Ich habe den Endspurt zu spät angesetzt. Das war ganz klar eine Lehre für mich.“

Vor sechs Wochen demütigte Agnel in Paris bereits US-Schwimmstar Michael Phelps über 200 Meter Freistil, Biedermanns Spezialstrecke. Später allerdings verpasste der junge Mann die nationale Norm auf dieser Distanz und wurde von seinem Verband deshalb nicht berücksichtigt. Ein weiteres Duell mit dem Emporkömmling aus Nîmes bleibt Biedermann in Ungarn also fürs Erste erspart.

Seine gegenüber der Qualifikation um zweieinhalb Sekunden verbesserte Zeit blieb Biedermann als Mini-Trost – vor dem Start in sein Haupt-Event, bei dem heute Vormittag die Vorläufe starten und morgen das Finale ansteht. Die 200 Meter Freistil liegen ihm generell besser – verstärkt gilt das nach dem Verbot der Anzüge. Mit dem EM-Pool wird sich Biedermann jedoch kaum mehr anfreunden. „Ich habe kein so gutes Gefühl wie noch bei der WM in Rom“, sagte er schon gestern Vormittag. „Das Wasser hier ist weicher und wärmer, das liegt mir nicht so.“

Da hilft es auch nichts, dass Michael Phelps ihm über 200 Meter Freistil erst vor wenigen Tagen im Fernduell die Weltjahresbestzeit entrissen hat. Eine Tat, die Biedermann als Hauptmotivation bei den kontinentalen Titelkämpfen dient: „Der Titel hat für mich Priorität, aber nachher möchte ich auch wieder die Weltjahresbestzeit haben.“ Das wäre, findet der gebürtige Hallenser, „mal wieder ein schöner Gruß nach Amerika“.

Allerdings sollte Paul Biedermann bei künftigen Grußworten auch an Yannick Agnel denken. Denn Paradestrecke hin oder her: Wer Michael Phelps über die vier Bahnen Kraul besiegt, dem könnte dies in der neuen Zeitrechnung des Schwimmsports durchaus auch mit Paul Biedermann gelingen.

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