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DM Schwimmen - Weltrekord für Britta Steffen

© dpa

Schwimmen: Anzug schwimmt Weltrekord

Britta Steffens neues Schwimmmaterial verbessert die Bestzeit über 100 Meter Freistil auf 52,85 Sekunden. Die Berlinerin kann sich kaum über die Leistung freuen.

Eigentlich hätten jetzt die Schmerzen kommen müssen. Die brennenden Muskeln, die Arme, die sich anfühlen, als würden Gewichte an ihnen hängen. So ist das immer auf den letzten Metern im Becken, wenn die Wand schon auftaucht und doch so weit weg erscheint. Britta Steffen wartete und wartete auf die Schmerzen, nur, diesmal kamen sie nicht. Stattdessen brüllte Sekunden später der Sprecher in der Halle an der Landsberger Allee: „Herzlichen Glückwunsch, Britta Steffen“. Und an der Anzeigentafel blinkte der Schriftzug: „Neuer Weltrekord“.

Neuer Weltrekord über 100 Meter Freistil, 52,85 Sekunden, die Marke von Lisbeth Trickett (Australien/52,88) knapp, den Deutschen Rekord (53,05) schon deutlicher unterboten. Den hatte Britta Steffen selber gehalten. Sie hätte nun jubeln können, aber sie stand da, eingezwängt in ihren glänzenden, schwarzen Badeanzug und sagte: „Den Weltrekord hat eigentlich dieser Anzug erreicht. In dem stirbt man auf den letzten Metern nicht, unglaublich.“

Dieses Rennen, das ist nicht die Geschichte einer exzellenten Zeit, es ist die Geschichte: Was ist heute ein Weltrekord im Schwimmen wert? „Ohne diesen Anzug“, sagte Steffen, „wäre ich ungefähr 53,30 Sekunden geschwommen.“

Die Materialschlacht tobt, und Steffen steckt mittendrin. Den Wunderanzug hat sie erst vor einer Woche von ihrem Ausrüster Adidas erhalten. Es ist das gleiche Modell, in dem Helge Meeuw im Vorlauf über 100 Meter Rücken knapp den Deutschen Rekord verpasst hatte. „Als ich Britta in diesem Anzug gesehen habe“, sagte der Essener Trainer Henning Lamberz, „wusste ich, dass sie eine Superzeit schwimmen würde.“

Britta Steffen wusste es auch. „Norbert, was ist das?“, hatte sie ihren Trainer Norbert Warnatzsch gefragt; so wie sie das erzählt, muss es geklungen haben, als hätte sie voller Angst ein unbekanntes Tier entdeckt. Aber sie hatte nur diesen neuen Anzug, Modell Hydrofoil, getestet. „Man liegt so weit oben“, sagt Steffen. Die Wasserlage ist fast perfekt. Der Anzug ist komplett mit einem Material beschichtet, das auch in Schuhsohlen steckt. Der Weltverband hat ihn genehmigt.

Aber der Weltverband lässt eine Britta Steffen mit der Sinnfrage zurück. Weltrekord, was bedeutet das noch? „Früher hätte ich gesagt: Wow, Weltrekord, Wahnsinn.“ Aber heute? Da folge aufs Stichwort Weltrekord die Frage: In welchem Anzug? Und dann: „Ach ja, in dem Modell, na gut.“ Weltrekorde sind beliebig geworden. Für Fans, für Medien, für Britta Steffen. „Sie relativieren sich“, sagt die Doppel-Olympiasiegerin. „Vor 2008 gab’s 15 oder 20 pro Jahr.“ Aber 2008 kam das High-Tech-Modell von Speedo, und am Jahresende protokollierte der Weltverband 108 neue Bestmarken.

Jetzt hat er einen mehr, aber die Inhaberin der Bestzeit will den Rekord „nicht überbewerten“. Für Britta Steffen geht es vielmehr auch ums ganz Grundsätzliche. Was ist gute Technik, gute natürliche Wasserlage, was ist Ästhetik also noch wert? „Ich bin nicht fitter als vor den Olympischen Spielen 2008“, sagt sie. Sie hat auch wegen ihres Studiums nicht mal punktgenau auf die Meisterschaften trainiert. Lässt sich das alles kompensieren, wenn man bloß das richtige Material hat? Und wenn man prominent genug ist? Adidas hatte ja nur seine Topleute mit dem Hydrofoil für Berlin ausgerüstet. Adidas-Vertragspartner Steffen Driesen hat das Modell nicht erhalten.

Ein Fernsehreporter, der Britta Steffen sein Mikrofon entgegenstreckte, sagte irgendwann fast verzweifelt: „Aber Sie haben doch einen Weltrekord geschwommen, Sie müssen sich doch freuen.“ Britta Steffen muss gar nichts, sie kann sich freuen. Aber aus einem Grund, der nicht so offensichtlich ist. Sie wäre ohne diesen Anzug etwa 53,20 oder 53,30 Sekunden geschwommen, das ist auch eine ausgezeichnete Zeit, gemessen an ihrem Trainingszustand. Im Übrigen: Nach Silvester 2009 ist der Hydrofoil schon wieder verboten. Zum Stichtag 1. Januar 2010 muss die Oberfläche eines Anzugs zu 50 Prozent aus Textilien bestehen.

Neu ist der Kampf um den bestmöglichen Auftrieb natürlich nicht. Nur waren die Methoden früher erheblich rustikaler. Der deutsche Freistilspezialist Werner Lampe ließ sich bei den Olympischen Spielen 1976 künstlich mit Luft den Darm aufblähen, um mehr Auftrieb zu haben. Verboten war das nicht. Nur gebracht hat es auch nichts. Lampe schied über 200 Meter und 400 Meter Freistil jeweils im Vorlauf aus.

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