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Von null auf hundert. Marco di Carli schob sich auf Platz eins der Weltrangliste.

© dpa

Schwimmen: Die Rückkehr des Selbstdarstellers Marco di Carli

Er trug "zwei Jahre lang einen Disput" mit sich selbst aus: Der Schwimmer Marco di Carli stand jahrelang im Abseits, jetzt ist er die Nummer eins der Welt.

Berlin - Die Baseballkappe klebte auf seinen roten Haaren, das Schild selbstverständlich nach hinten gedreht. Seinen rechten Unterarm hatte Marco di Carli schwer auf den Tisch gelegt, die linke Hand führte aufreizend langsam eine Colaflasche an den Mund. Dann stellte er die Flasche ab, legte auch den linken Unterarm auf den Tisch und sagte wie ein genervter Gymnasiast, der seinem kleinen Bruder auf Befehl der Eltern das Einmaleins beibringen muss: „Jetzt setzen wir uns zusammen, dann sehen wir, was passiert.“ Einen Termin für die Audienz teilte er dem kahlköpfigen Mann neben sich allerdings noch nicht mit.

Zu besprechen mit dem Schwimmer di Carli hat jetzt Dirk Lange etwas. Natürlich wenn di Carli Zeit für ihn hat. Dann darf der Schwimm-Bundestrainer Lange vorsichtig seine Pläne vorstellen.

Es hat sich also wenig verändert. Seinen rotzigen Auftritt hatte di Carli am Samstag, eine Stunde, nachdem er deutschen Rekord über 100 Meter Freistil geschwommen war, diese 48,24 Sekunden, die ihn auf Rang eins der Weltrangliste katapultierten.

Sechs Jahre zuvor saß er in Berlin ebenfalls im Presseraum der Halle an der Landsberger Allee, als Deutscher Meister über 100 Meter Freistil. 20 Jahre alt, arrogant wie ein Halbstarker, der den Mädchen in der Clique imponieren will, und dozierte: „Wenn die Schmerzen kommen, macht es richtig Spaß.“ Und er war 19, als er seine Gegner abschätzig „Herr Theloke“ und „Herr Driesen“ nannte.

Nichts passiert also zwischen 2005 und 2011? Oh doch, sehr viel sogar. Dazwischen liegt die Geschichte des Abstiegs des Marco di Carli. Seinen letzten großen Auftritt hatte er 2007, als er deutschen Rekord über 100 Meter Freistil ankündigte und auch schwamm (mit 48,88 Sekunden), danach paddelte er im Mittelmaß mit. „Vier Jahre war ich weg vom Fenster, zwei Jahre habe ich einen Disput mit mir ausgefochten“, sagt der 26-Jährige.

Nicht nur mit sich. Mit Lange auch. Der war früher Head Coach der südafrikanischen Nationalmannschaft und nahm di Carli mit nach Pretoria. Zwei Monate später sagte Lange: „Die Südafrikaner würden sagen: Er ist ein bisschen crazy.“ Das dachte di Carlis Schulleiter am Gymnasium wohl auch: Der Schwimmer wurde wegen insgesamt 46 Fehltagen nicht zum allgemeinen Abitur zugelassen. „Marco hatte keine Lust“, sagte sein Stiefvater.

In Südafrika, bei den Superstars des Landes, fiel er mit dieser Einstellung schnell auf die Nase. Es gab Krach mit Lange, di Carli kehrte zurück, und seit 2007 kam die Nationalmannschaft ohne den Olympiaachten von 2004 über 100 Meter Rücken aus. „Ich habe ein wenig mehr das Privatleben genossen“, sagt er. Und weil er deshalb bei der deutschen Meisterschaft 2010 glanzlos im Wasser unterwegs war, schlug er aus Frust danach mit der Faust gegen eine Wand. Die Wand hielt, seine Knochen hielten nicht, der Arm war gebrochen, di Carli schob Frust. In dieser Phase stellte er sich vor den Spiegel, betrachtete seinen Körper, der auf 68 Kilogramm abgeschmolzen war, und knurrte: „So geht’ nicht weiter. Du hast das Talent, mach’ was draus.“

Also konzipierte er ein Krafttraining, fuhr viel Moutainbike und konnte Ende März mit hartem Training beginnen. Im Hinterkopf schwirrte der Gedanke mit: „Vielleicht qualifiziere ich mich ja mit Ach und Krach bei den deutschen Meisterschaften für eine Staffel.“

Doch nach den 50 Metern Freistil war klar, dass da mehr drin war. Di Carli gewann in 22,14 Sekunden, das war deutscher Rekord. Und über 100 Meter Freistil war er 15 Hundertstelsekunden schneller als Paul Biedermann bei seinem Rekord, aber Biedermann hatte die Bestmarke im High-Tech-Anzug erreicht. „Dass ich so ein Brett raushole, damit habe ich nicht gerechnet“, sagte di Carli. Und gestern belegte er über 100 Meter Rücken auch noch Rang zwei.

Aber, hey Leute, ist doch auch alles easy. So lautet die nächste Botschaft des Marco di Carli. „Wenn man dem Sport alles unterordnet, dann läuft der Laden.“ So einfach ist das nach vier Jahren Schattendasein. Doch hinter den rotzigen Sprüchen steckt natürlich auch Talent und Können. „Er hat im Wasser den Killerinstinkt“, sagt Lange. „Wenn vier Mann um den Sieg kämpfen, habe ich noch nie erlebt, dass er Vierter geworden ist“, hat er auch mal über di Carli gesagt. Früher, als er noch nicht Bundestrainer war.

Der Bundestrainer Lange sagt jetzt, „dass Marco wieder seine alte Stärke hat. Aber die Nummer eins ist auch eine gewisse Bürde“. Irgendwie müssen sie jetzt eine Arbeitsebene finden, die beiden. „Ach, die alten Wunden dürften längst verheilt sein“, sagt di Carli. Außerdem „bin ich erwachsener geworden“. Damals, 2007, als er seinen Rekord angekündigt hatte, „da hatte ich eine große Fresse. Aber da war ich mir auch sicher.“

Jetzt hat er ihn wieder, den Rekord. Und jetzt muss er erst mal alles verarbeiten. In den nächsten Tagen will er sich auf die Coach legen und einem Gedanken nachhängen: „Was ist denn hier los?“

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