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Schwimmen: Kühner Fünfjahresplan

Bundestrainer Dirk Lange soll die deutschen Schwimmer zurück in die Weltspitze führen. Dabei regiert erst mal nur das Prinzip Hoffnung, dass das neue Konzept greift.

Berlin – Helge Meeuw hatte sich erst gar nicht rasiert, für einen Vorlauf fand er diese Mühe übertrieben. Sein Dreitagebart störte nicht, aber in einen neuen Anzug seines Ausrüsters hatte er sich trotzdem gezwängt. Helge Meeuw schlug nach 100 Metern Rücken in 53,31 Sekunden an, nur 38 Hundertstelsekunden über dem Europarekord – allerdings unter der Norm für die Schwimm-Weltmeisterschaft in Rom. Er hatte ein erstes Ausrufezeichen gesetzt gestern bei den Deutschen Schwimm-Meisterschaften in Berlin, und das im Vorlauf!

Meeuw trainiert jetzt in Magdeburg, weil dort seine Freundin Antje Buschschulte lebt. In Magdeburg trainieren sie ausdauerorientiert, Meeuw ist aber eher ein Schnellkrafttyp, sagt Dirk Lange, der neue Bundestrainer, verantwortlich für den Spitzenbereich. Bisher, in Frankfurt am Main, hatte sich Meeuw eher auf die Schnelligkeit konzentriert. Was bedeutet nun diese Vorlauf-Zeit? War der Wechsel doch richtig?

Lange weiß es nicht, er muss abwarten. Nicht bloß bei Meeuw, bei allen Athleten. Er hat ein neues Konzept eingeführt, besser gesagt, er hat ein bestehendes fortentwickelt. Mit diesem Konzept sollen die Deutschen wieder an die Weltspitze kommen. Ob und wie es funktioniert, weiß keiner.

Lutz Buschkow, der neue Sportdirektor des Deutschen Schwimmverbands, auch nicht. Egal, Buschkow legt gleich mal kühn die Planziele fest. Bei der WM in Rom im Juli sollen die deutschen Schwimmer vier Medaillen gewinnen bei insgesamt zwölf A-Finalteilnahmen, außerdem sollen in Rom alle sechs Staffeln jeweils im Finale stehen. Er rattert Zahlen und Medaillenplätze herunter bis zum Zeitraum Olympische Spiele 2012, und irgendwann verkündet er: „Wir wollen bei der WM die Zahl der persönlichen Bestleistungen auf 75 Prozent hochschrauben.“ Spätestens da hört sich Buschkow wie ein DDR-Politiker an, der die Ziele eines Fünfjahresplans herunterbetet. Von 1980 bis 1990 war Buschkow in der DDR Trainer für Kunst- und Turmspringen beim TSC Berlin.

Dabei regiert erst mal nur das Prinzip Hoffnung, dass das neue Konzept greift. Neu ist, dass Lange und Buschkow jetzt die sechs Bundesstützpunkte und ihre jeweiligen Trainer verpflichten können, Vorgaben zu erfüllen. Örjan Madsen, bis 2008 Sportdirektor und Cheftrainer zugleich, verzweifelte fast daran, dass er zwar Vorgaben machen konnte, die Stützpunkttrainer diese Informationen aber als nette Empfehlung betrachten konnten. Jetzt überwachen drei Bundestrainer direkt die Arbeit an den Stützpunkten.

Die sollen jetzt mehr regionale Lehrgänge veranstalten; so sollen die Besten der Region kostengünstig unter Konkurrenzdruck trainieren. Und die Chefs ändern das Wettkampfwesen. Wettkampfhärte ist ein wichtiges Stichwort für Lange. „Die bekommt man nur durch Wettkämpfe gegen besonders starke Konkurrenz“, sagt er. Deshalb stehen nun Länderkämpfe mit den Briten auf dem Programm. „Die haben ein hartes Regiment durchgezogen“, sagt Frank Embacher, Bundesstützpunkt-Trainer in Halle an der Saale.

Lange hat zudem konkrete Vorstellungen von der Trainingsmethodik. Das Krafttraining zum Beispiel müsse bei diversen Athleten intensiviert werden. Durch die neuen Anzüge werden die Beine entlastet, dafür muss mehr mit den Armen gearbeitet werden. Deshalb müssten auch mehr Gewichte gestemmt werden. Außerdem wird durch das Hightech-Material das Renntempo höher, also, sagt Lange, müsse man im Training öfter dieses Tempo simulieren. Aber er denkt langfristig, zu viel Druck erzeugt Gegendruck. „Gerade von älteren Trainern kommen große Widerstände“, hat er vor den Deutschen Meisterschaften gesagt. „Es ist ja nicht alles falsch, was man früher gemacht hat“, sagte er, „es muss bloß vieles angepasst werden.“

Wahrscheinlich ist er bei den kurzfristigen Zielen deshalb etwas vorsichtiger als sein Chef Buschkow. Als der forsch fordert, alle sechs Staffeln sollten im WM-Finale auftauchen, sitzt Lange daneben. Ein paar Minuten später sagt er versonnen, er sei zufrieden, wenn er in Rom zwei Staffeln überhaupt am Start habe.

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