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Klarer Standpunkt. Paul Biedermann würde seinem Coach folgen, falls der ins Ausland gehen würde. Am Samnstag gewann er beim Weltcup in Berlin über 400 Meter Freistil (3:42,21 Minuten). Seine Freundin Britta Steffen siegte über 50 Meter Freistil (24,16 Sekunden).

© dapd

Schwimmen: Ultimatum der Frustrierten

Der krisenbehaftete Deutsche Schwimm-Verband (DSV) muss mühsam seine Spitzentrainer beruhigen, da er ihnen noch keine Vertragverlängerung anbieten kann - oder will. Die Trainer drohen nun damit, Angebote aus dem Ausland anzunehmen.

Stefan Lurz stand an einem Pfeiler des Sprungturms, er zog die schwarze Baseball-Kappe von seinem Kopf, fuhr mit der Hand durch die verwuschelten Haare, dann machte der Freiwasser–Bundestrainer in Ironie. "Ich bin total glücklich mit der Situation im Deutschen Schwimmverband." Er drückte die Kappe wieder auf den Kopf. Hinter ihm pflügten Weltklasse-Athleten beim Kurzbahn-Weltcup in Berlin durchs Wasser.

Lurz hat vom Deutschen Schwimm-Verband (DSV) ein Schreiben erhalten, sein Vertrag als Bundesstützpunkt-Trainer in Würzburg, Laufzeit bis 31. Dezember 2012, werde erst mal nicht verlängert. Alle sechs Bundesstützpunkt-Trainer des DSV haben so einen Brief erhalten. Bis zum späten Samstagnachmittag hatte der DSV in seiner ganzen Krise nach Olympia deshalb eine Baustelle mehr.

„Für die Trainer ist das eine außerordentlich unglückliche Situation“, sagte Lurz. Keiner wisse, ob er am 1. Januar arbeitslos sei. Der DSV will Entscheidungen erst nach dem Verbandstag am 10. November treffen. Außerdem soll zum 1. Dezember ein Bundestrainer eingestellt werden. Den will man wohl nicht vor vollendete Tatsachen stellen.

Aber so was läuft nicht mit Frank Embacher, Coach von Weltrekordler Paul Biedermann, Stützpunkt-Trainer in Halle an der Saale. „Ich bin sauer“, verkündete er. „Es ist wichtig, dass wir hier Klartext reden.“ Bis 1. November wolle er Klarheit, er habe schließlich Angebote aus dem Ausland. Ein Wechsel von Embacher bedeutet immer auch: ein Wechsel von Biedermann. Und inzwischen würde auch dessen Freundin Britta Steffen wohl mitgehen. Deshalb nutzte Embacher gestern den Weltcup als Bühne für seine Form von Klartext. „Wenn erst im Dezember entschieden wird, sind vier von sechs Bundesstützpunkt-Trainern weg.“

DSV-Präsidentin Christa Thiel war alarmiert. Sie führte am Samstag ein Gespräch mit den Betroffenen, nun herrscht wohl eine Art Burgfrieden. „Erst kommt die Struktur, dann das Personal“, verkündete Thiel nach dem Gespräch zwar. Aber sie muss zumindest zufriedenstellende Perspektiven genannt haben. Denn Steffen erklärte: „Ein Wechsel steht, glaube ich, nicht mehr zur Debatte.“

An Problemen mangelt’s dem DSV nicht. Die Suche nach einem Bundestrainer ist zäh, der Posten von Dirk Lange ist seit Monaten unbesetzt. „Der Neue hat eine Riesenarbeit“, sagt Biedermann. Ein Trainer beklagte sich, es gebe kein Konzept, wie der DSV wieder bei Olympia zur Weltspitze aufschließen will. Wie auch –, ohne Bundestrainer?

Wie viel Weisungsrecht soll der neue Bundestrainer gegenüber Heimtrainern haben?

Aber der Neue müsse auch acht Jahre Zeit bekommen, um grundlegende Dinge zu ändern, verlangt Henning Lambertz, Bundesstützpunkt-Trainer in Essen. Er hat sich um die Lange-Nachfolge beworben. Lambertz denkt bei der Forderung nach genügend Zeit zum Beispiel an Eliteschulen. In jedem Bundesland ist der Lehrplan anders, so dass die Trainingsbedingungen partiell sehr ungünstig sind. Lamberz trainiert eine 13-Jährige, die täglich von 5.20 Uhr bis 7.20 Uhr und von 16 bis 19 Uhr ins Becken geht; Wettkämpfe kommen noch dazu. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand, sagt Lambertz. In anderen Bundesländern sei ein Frühtraining von acht bis zehn Uhr möglich. „Aber Änderungen herbeizuführen, geht nicht über Nacht“, sagt er.

Beliebtes Thema bei internen DSV-Diskussionen ist die Frage, wie viel Weisungsrecht der Bundestrainer gegenüber Heimtrainern hat. Die lassen sich ungern kommandieren, daran ist Lange auch gescheitert. Lambertz setzt auf intensiven Dialog, nur im Zweifelsfall würde er eine klare Ansage machen. Aber die muss er erst mal selber ertragen. Denn Stefan Lurz fordert energisch, „dass wir Trainer uns selbstkritischer mit unserer Arbeit auseinandersetzen“. Er war bei der Trainer-Auswertung des Olympia-Auftritts dabei. Die Beckenschwimmer hatten ihren Auftritt ohne Medaille beendet. Nur: „Wenn ein Außenstehender bei der Auswertung zugehört hätte, dann hätte er denken können, wir hätten acht Goldmedaillen gewonnen.“

Sein vernichtendes Urteil: „Wir haben Athleten, die absolvieren im Jahr nur 1000 Kilometer im Wasser. Dieses Pensum schafft notfalls auch ein Breitensportler.“ 90 Prozent der Nationalmannschafts-Schwimmer trainierten „Minimum fast die Hälfte zu wenig“. Mindestens 2000 Kilometer müssten Sprinter bewältigen, mindestens 3000 Kilometer Mittel- und Langstreckler. „Mein Bruder trainiert das Dreifache wie die meisten Beckenschwimmer, die bei Olympia waren.“ Das gewaltige Pensum hat natürlich auch damit zu tun, dass Thomas Lurz, der Bruder, Freiwasserschwimmer ist.

Andererseits kann sich Stefan Lurz die harsche Kritik leisten. Sein Bruder gewann Silber über zehn Kilometer. Die einzige Medaille des DSV in London.

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