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Schwule Fußballer: Das totale Tabu

Fünf bis zehn Prozent aller Menschen sind homosexuell, demnach müsste es, statistisch gesehen, in der Bundesliga ungefähr ein schwules Team spielen. Doch gibt es weltweit keinen einzigen bekennenden schwulen Fußballprofi. Woher kommt das?

Es gibt schwule Bürgermeister, Fernsehstars, Musiker - sogar schwule Hip-Hopper und CSU-Mitglieder, Pfarrer und Bundeswehrsoldaten. Nur der Fußball scheint die letzte Bastion der reinen Heterosexualität zu sein. Heißt das, im Profifußball gibt es keine Schwulen?

Letztes Jahr bestätigte der ehemalige Zweitligaspieler Marcus Urban der Welt, dass er drei schwule Profis kennen würde. Und auch das inzwischen eingestellte Fußballmagazin Rund präsentierte Ende 2006 Interviews mit zwei schwulen Bundesligaspielern. Über zwei Jahre hatten die Journalisten das sensible Thema vorbereitet, die Kronzeugen blieben natürlich anonym.

Schwule Fußballer führen ein Doppelleben, teilweise mit Familie und Kindern, mit einem Model oder der besten Freundin als "Spielerfrau", immer unter dem Druck, dass ein Entdecktwerden das Ende der Karriere bedeuten könnte.

Geoutete Fußballer

Der einzige Erstligaspieler, der je sein Coming-out hatte, war Justin Fashanu. Der Brite wurde 1985 bei Nottingham Forest wegen seiner sexuellen Orientierung vom Training ausgeschlossen. Nach zahlreichen Wechseln in niedrigere Ligen outete sich Fashanu 1990 mit einem Artikel im Boulevardblatt "The Sun" auch öffentlich. Acht Jahre später erhängte er sich in einer Londoner Garage.

Heinz Bonn, hoffnungsvolles Talent in den 70er Jahren beim HSV, hielt seine Sexualität geheim und ertränkte seine Ängste in Alkohol. 1991 wurde er tot aufgefunden – ermordet von einem Strichjungen.

Der dritte öffentlich bekannte schwule Spieler, Marcus Urban, Zweitligaspieler bei Rot-Weiß-Erfurt, beendete Anfang der 90er als 23-Jähriger gleichzeitig mit seinem Outing auch die Fußballkarriere. Im Oktober 2008 wird mit "Versteckspieler" eine Biographie von Sportjournalist Ronny Blaschke über den Ex-Profi erscheinen.

Nur selten verzeichnet sind die Fälle, in denen Schwule bereits vor dem Eintritt in die Professionalität ihre Fußballkarriere wegen der homophoben Atmosphäre beenden, wie etwa der norwegische U19-Spieler Thomas Berling.

Schmähungen oder Respekt?

Würde sich ein schwuler Fußballspieler outen, hätte dies zweifellos gravierende Folgen. Von den gegnerischen Fankurven wären mit Sicherheit lautstarke Schmähgesänge zu erwarten. Dabei werden in der Fan-Logik homophobe Sprüche (genauso wie sexistische und rassistische) vor allem Provokation und Erniedrigung des Gegners verstanden - und nicht unbedingt als Diskriminierung. Der englische Fußballverband unternahm etwas dagegen: 2005 wurden schwulenfeindliche Statements in den Stadien verboten – und inzwischen mehrere Fans zu Geldstrafen verurteilt.

Andererseits hätte ein Outing auch positive Folgen: Es wäre der Kick, der das zerrüttete Verhältnis zwischen dem Fußball einerseits und Schwulen andererseits normalisieren könnte. Ein geouteter Spieler könnte zu einer Ikone der Schwulenbewegung werden - und es den vielen Nachfolgenden leichter machen.

„Mehmet Scholl ist homosexuell, homosexuell…“

So sang der Angesprochene selbst fröhlich auf der Party nach seinem Abschiedsspiel im August 2007. Der heterosexuelle Profi vom FC Bayern München hatte seine Lieblingsband eingeladen, die "Hidden Cameras" aus Toronto, sowohl im Stadion als auch auf der privaten Party ein paar Songs zu spielen. Das kanadische Kollektiv um Sänger Joel Gibb sang nicht nur offen von schwulen Sexpraktiken, sondern irritierte auch das Fußballpublikum mit maskierten Gogo-Tänzern auf dem heiligen grünen Rasen.

Nur wenige Bundesligaprofis haben keine Probleme damit, sich in die Nähe von Homosexualität zu stellen. Philipp Lahm erhielt am 19. Juni 2008 den "Tolerantia"-Preis für seinen Einsatz gegen Homophobie und Intoleranz im Fußballsport. Er äußerte sich offen in Interviews zum Thema, darunter auch im schwulen Lifestyle-Magazin "Front".

Frauenfußball: Offene Geheimnisse

Im Frauenfußball stellt sich die Situation weniger restriktiv dar. „Das ist nicht wirklich etwas Geheimes“, sagt die ehemalige Bundesligaspielerin Tanja Walther. „In den Vereinen leben die meisten Frauen ihre Homosexualität ganz offen. Da weiß jeder, wer lesbisch ist und wer nicht. Auch Theo Zwanziger sagt ganz offen, dass er Spielerinnen mit ihren Freundinnen kennen gelernt hat.“ Dass es kein Outing in den Medien gegeben habe, liege nicht nur an dem geringeren öffentlichen Interesse am Frauenfußball. Auch die Spielerinnen hätten Angst, dass sich ein mediales Outing nachteilig auswirken würde.

Die Sportwissenschaftlerin, die auch bei der European Gay & Lesbian Sports Federation (EGLSF) aktiv ist, fügt an: "Wenn sich ein bekannter Spieler outen würde, wäre das super. Aber ich kann verstehen, warum das keiner tut." Der öffentliche Druck sei enorm, und Männerfußball stünde natürlich viel mehr im Fokus der Medien. Das Ziel wäre es, auf allen Ebenen eine Atmosphäre zu schaffen, die ein Outing ermöglicht, und das fängt in den Vereinen an: "Über sechs Millionen Menschen spielen in Deutschland organisiert Fußball, darunter viele Jugendliche und Kinder. Da kann ich die Trainer und Schiedsrichter dementsprechend ausbilden, dass sie adäquat mit Homosexualität umgehen und wirklich helfen können, wenn sich jemand ihnen gegenüber outet."

Umdenken beim DFB

1995 ermahnte der Deutsche Fußball-Bund noch die Nationalspielerinnen, nicht an den schwul-lesbischen EuroGames teilzunehmen - und drohte unter der Hand mit dem Ausschluss aus dem Nationalteam. Erst in den vergangenen Jahren wird auch beim Deutschen Fußball-Bund das Thema Homophobie nicht mehr totgeschwiegen.

Das verbindet sich vor allem mit der Person des Präsidenten Dr. Theo Zwanziger. Er versprach allen Spielern und Spielerinnen Unterstützung, die mit ihrer Homosexualität an die Öffentlichkeit gehen wollten. Im Januar gab er dem lesbischen L.Mag ein Interview, in dem er betonte, "der Tanker DFB ist in diesen Fragen klar. Der Ball ist für jeden Menschen da, und das müssen wir irgendwie hinbekommen." Im Mai beteiligte sich Zwanziger am zweiten "Aktionsabend gegen Homophobie", bereits im Juni 2007 hatte der DFB einen bundesweiten Kongress von Fanclubs organisiert und das Thema Homophobie in die Abschlusserklärung aufgenommen.

Es ist ein Prozess der kleinen Schritte. Vor zehn Jahren hätte auch keiner gedacht, dass die deutsche Hauptstadt von einem schwulen Bürgermeister regiert werden könnte. Mehr und mehr Personen des öffentlichen Lebens gehen selbstverständlich mit ihrer Orientierung um. Die Verbände DFB und Uefa haben das Thema erkannt. Seit 2001 haben sich viele schwule Fanclubs gegründet. Es sind kleine Schritte der Besserung, aber im konservativen männlichen System Fußball ist noch ein weiter Weg zu gehen.

Peer Göbel

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