zum Hauptinhalt
Sebastian Vettel, 26, gewann in den Jahren 2010, 2011 und 2012 den WM-Titel in der Formel 1. Auch die aktuelle WM-Wertung führt der Red-Bull-Pilot zur Saisonhalbzeit an. Der gebürtige Heppenheimer lebt seit längerem in der Schweiz im Kanton Thurgau und sagt dazu: „Die Steuern sind aber nicht das entscheidende Kriterium.“

© Reuters

Sebastian Vettel im Interview: "Auto waschen und in die Garage – typisch deutsch"

Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel spricht im Interview über seine Weltreisen, seine Abneigung gegen Elektronik im Auto und Wut beim Badminton.

Herr Vettel, Sie sind aus dem Formel-1-Auto eine Menge Knöpfe und Elektronik gewöhnt. Wenn Sie privat mal einen Leihwagen fahren, brauchen Sie dann nicht eine Weile, um diesen fahrenden Computer überhaupt zu verstehen?

Doch, schon. Da sind oft wirklich so viele Knöpfe, dass man erst einmal gar keine Ahnung hat. Ich finde das einerseits ein bisschen schade, auch wenn es natürlich sehr viele Dinge gibt, die man heute nicht mehr missen möchte, das Navigationssystem, die Möglichkeit, sein Telefon zu verbinden und ähnliches.

Was mögen Sie an der Elektronik nicht?

Das eigentliche Autofahren wird dadurch ein bisschen in die zweite Reihe gestellt. Und wenn man heute die Haube von einem modernen Auto aufmacht, sieht man von dem eigentlichen Kernstück, dem Motor, vor lauter Abdeckungen überhaupt nichts mehr. Wenn man zur Werkstatt fährt, dann kommt einer und steckt ein Kabel rein, um zu sehen, was das Problem ist. Früher hat man noch selbst reingeschaut und konnte sehen, wo es klemmt.

Wissen Sie denn, wie Ihr Formel-1-Auto im Detail funktioniert, gerade die Elektronik?

Ganz ehrlich gesagt, auch nicht. Lustigerweise habe ich gerade heute Vormittag darüber nachgedacht, denn früher haben die Fahrer ja da auch noch selbst mit angepackt. Ich glaube, einerseits erlauben der Zeitplan und das Leben in der heutigen Formel 1 das gar nicht mehr. Und zweitens ist auch da alles viel zu komplex geworden. Man sieht es ja schon daran, wie viele Leute heute am Auto schrauben. Früher war das eine Handvoll und der Fahrer war ein fester Teil davon. Heute kann er das gar nicht mehr sein, weil es für jeden Bereich einen Spezialisten gibt.

Sie wünschen sich als Rennfahrer also etwas simplere Technik im Auto?

Ja und nein, denn über die Zeit war es auch die Technik, die es uns erlaubt hat, so schnell zu sein, diese Kurvengeschwindigkeiten zu erleben, die es früher nicht gab. Nächstes Jahr werden die Autos sowieso ein bisschen langsamer werden, mit weniger Abtrieb, mit etwas weniger Leistung. Freiwillig gibt keiner nach und geht zurück. Deswegen ist die Entwicklung eine ganz normale, wie in jedem anderen Sport auch. Beim Skifahren sind die Kurvengeschwindigkeiten auch so hoch wie nie zuvor. Es ist natürlich dann die Frage, ob das die gesündeste Entwicklung für die Sportler selbst ist, auch für uns im Auto. Aber man gewöhnt sich natürlich an den Kick und steigt genau deswegen wieder ein.

Diesen ganz besonderen Kick beim Formel-1-Fahren haben Sie einmal mit dem Fliegen verglichen. Andere beschreiben diesen Fluss, in den sie manchmal kommen, auch fast als Rausch. Gibt es solche Situationen für Sie eher in einer einzelnen perfekten Qualifikationsrunde, oder kann das auch im Rennen im Zweikampf passieren?

Beides – aber es ist ein bisschen unterschiedlich. Eine Qualifyingrunde ist sehr kurz, am absoluten Limit. Im Rennen kann man dafür in einen gewissen Rhythmus kommen, um sich Runde um Runde anzupassen, um wirklich in jeder Situation das Beste herauszuholen, sich zu überlegen, welche Linie wähle ich, was macht Sinn, dabei auch auf die Reifen acht zu geben, wie es ja heute nun mal ist. Dabei kommt man natürlich auch in einen gewissen Fluss hinein.

Können Sie sich an bestimmte Rennen erinnern, wo Sie diese Erfahrung besonders stark gemacht haben?

Besonders beim letzten Rennen. Der Nürburgring war schon extrem, weil wir absolut keinen Raum hatten für Fehler, wir das ganze Rennen über wirklich versucht haben, alles zu geben, um die Führung zu behaupten. Aber es gibt auch noch ein paar andere Rennen, die da herausstechen. Mein erster Sieg in Monza 2008, der war etwas ganz Besonderes. Einfach von vorneweg habe ich da versucht, mein Rennen zu fahren. Und auch wenn man jetzt zurückschaut, dann ist das immer noch etwas sehr Besonderes, dass es gereicht hat.

Wie lange braucht man, um aus dieser Extremwelt nach einem Rennen wieder wirklich in die normale Welt zurück zu kommen?

Man bekommt schon mit, was um einen herum passiert und kommt deshalb schon relativ schnell wieder zurück. Aber es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn man alles gegeben hat und zumindest aus seiner Sicht an dem Tag alles richtig gemacht hat.

Wenn man sich in einer Welt bewegt, in der es um Tausendstelsekunden geht, hat man dann außerhalb davon ein ganz anderes Gefühl für Zeit?

Außerhalb eines Formel-1-Wochenendes, außerhalb der Rennstrecke, habe ich wohl ein Zeitgefühl wie jeder andere Mensch auch.

Haben Sie nicht das Gefühl, dass die Zeit außerhalb des Autos langsamer vergeht?

Nein, ich glaube, es kommt immer auf die Situation an. Wenn man das Gefühl hat, dass man zu wenig Zeit hat, dann hat man wohl einfach zu viel Stress und muss daran etwas ändern. Es ist immer gut, für sich selbst zu wissen, wann man den Punkt erreicht hat, dass man mehr Zeit für sich selbst braucht, um dann wieder den Kopf frei zu haben für die wesentlichen Dinge.

"Typisch deutsch ist gutes Brot, davon bin ich auch ein absoluter Fan"

Wie wichtig ist Ihnen Ruhe?

Sehr wichtig. Ich denke, man muss immer die richtige Balance finden, nicht nur in der Formel 1, sondern auch im Leben allgemein. Wenn man viel Trubel hat, ist es wichtig, dann auch wieder seine Zeiten zu haben, wo es etwas ruhiger ist.

In Ihrer Wahlheimat, der Schweiz, geht es ja auch auf den Straßen ziemlich ruhig zu. Macht ihnen dort, bei dem strengen Tempolimit, das Autofahren überhaupt Spaß?

Die meisten Leute haben da wahrscheinlich ein etwas falsches Bild, die denken immer, wenn man Formel-1-Fahrer ist, dann muss man auch auf den Straßen fahren wie ein Gestörter. Aber das ist ja gerade das Gute an meinem Job, dass ich mich da in dem besten Auto, das es überhaupt gibt, austoben kann. Da kommt ja selbst ein guter Sportwagen für die Straße nicht annähernd ran. Ich würde nicht sagen, dass ich jedes Tempolimit absolut einhalte. Ich glaube, dass das jeder, der ehrlich zu sich selbst ist, kaum von sich behaupten kann. Aber ich würde mich schon eher als passiven Autofahrer einschätzen. Ich glaube, mit dem Alter bin ich da auch ein bisschen weiser geworden. Die zwei, drei Minuten, die das im Endeffekt ausmacht, spielen normalerweise wirklich keine Rolle.

Die Formel 1 macht Station in 19 Ländern. Haben Sie Zeit dafür, diese Länder dabei auch kennen zu lernen?

Sicher, ich bin doch nicht eingesperrt. Und solange ich pünktlich an der Rennstrecke bin, gibt es da auch keinen Ärger. Es ist schön, dass man herumkommt und viele verschiedene Länder sieht, versucht, jedes Jahr ein bisschen was anderes mitzunehmen. Natürlich hat man dann allmählich auch in jeder Stadt, in jeder Gegend, so seine Plätze, die einem am besten gefallen. In den Städten gibt es dann bestimmte Restaurants, die man immer wieder besucht oder bestimmte Dinge, die man immer wieder unternimmt. In Kanada laufen wir zum Beispiel immer den kleinen Hügel, den Mont Real, hoch und schauen dann auf die Stadt. Anderseits ist es, wenn man so viel unterwegs ist, dann aber auch schön, wieder nach Hause zu kommen und seine Ruhe zu haben.

Wenn man so viel unterwegs ist, was ist dann für Sie typisch deutsch?

Typisch deutsch ist gutes Brot, davon bin ich auch ein absoluter Fan. Typisch deutsch ist auch, Tatort zu schauen und freitags sein Auto zu waschen, um es dann am Wochenende in der Garage stehen zu haben. Das ist bei mir weniger der Fall, ich fahre ja eher am Wochenende raus.

Sie sind bekannt für Ihren großen Siegeswillen. Gibt es denn außerhalb der Formel 1 die eine oder andere Niederlage, über die sie sich besonders ärgern?

Ich verliere – immer noch – konstant gegen den Kimi beim Badminton.

Sie meinen Ihren Kontrahenten Räikkönen, der unter Umständen im nächsten Jahr Ihr Teamkollege bei Red Bull wird. Im Badminton ist er Ihnen also voraus?

Wir spielen jetzt nicht so oft und ich bin auch nicht wirklich im Training, um das zu ändern, und mit etwas Abstand nimmt man das auch gelassen. Aber in dem Moment regt es einen tierisch auf und man setzt sich das Ziel, Trainingsstunden zu nehmen, um besser zu werden. Aber bis jetzt wurde es dann doch noch nie so ernst.

Haben Sie bei einem Spiel gegen Räikkönen auch schon mal vor Wut einen Schläger zerstört?

Das ist auch schon passiert, aber daraus habe ich gelernt. Denn danach war das Spiel ja erst Mal ganz fertig und ich konnte es überhaupt nicht mehr probieren. Man schreit dann schon mal, ist einfach nicht zufrieden mit seiner eigenen Leistung. Aber das geht relativ schnell vorbei, wenn man danach zusammen was trinkt, dann ist das schon wieder verflogen.

Sie haben mal gesagt, manchmal machen Niederlagen die Sehnsucht nach Siegen noch größer. Welche Niederlage in der Formel 1 hat denn da ihre Sehnsucht besonders gesteigert?

Jeder hat in seiner Laufbahn Zeiten, in denen viele Rennen gut liefen, und andere, in denen viele nicht so gut liefen. Es ist normal, dass man immer wieder gewisse Durststrecken hat, aber gerade dann sind das Zeiten, die einen prägen können. In denen man viel lernen kann, um dann beim nächsten Mal nicht so in ein Loch zu fallen und gleich weiter nach vorne zu schauen. Damit man sich gar nicht erst erlaubt, zu sagen, jetzt bin ich in einem Tief, sondern immer in der Lage ist, das Beste aus sich herauszuholen.

Die Fragen stellte Karin Sturm.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false