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eater-Radl. Sebastian Vettel versucht vergeblich, sich den Querelen im italienischen Rennstall zu entziehen. In der Presse wird ihm selbst da Schuld zugeschoben, wo ihn ausnahmsweise keine trifft.

© imago/LAT Photographic

Sebastian Vettel und Ferrari: Die Albtraum-Ehe

Auch beim Heimrennen in Monza ist Ferrari chancenlos, die Verstimmungen mit Sebastian Vettel nehmen zu – wie lange geht das gut?

Die Tifosi auf den Tribünen glauben an den Heimsieg und feuern auf Transparenten ihr „Traumteam“ an. Auch Sebastian Vettel träumt vom Triumph mit Ferrari beim Formel-1-Rennen in Monza. Doch die Aussichten dafür sind eher gering: Unter normalen Umständen sind die Mercedes auf der Power-Strecke wieder die klaren Favoriten.

Die Fortschritte, mit denen man Mercedes Konkurrenz machen wollte, sie kommen einfach nicht. Neue Teile hin, Motorenupgrades her. Und das hinterlässt bereits Spuren. Anscheinend auch schon im Verhältnis zwischen Vettel und Ferrari. Was im letzten Jahr noch wie die absolute Traumehe aussah, was Vettel offiziell immer noch beschwört, bekommt offensichtlich die ersten kleinen Risse.

Einige Dissonanzen werden von außen herein getragen, aber es gibt auch interne. Etwas erstaunlich war es ja schon, dass die italienischen Sportzeitungen vergangene Woche fast geschlossen Vettel die Schuld an dem Startcrash in Spa gaben. Ein bisschen genaueres Hinschauen hätte nämlich jedem zeigen müssen, dass der Deutsche ausgerechnet in diesem Fall wirklich schuldlos war – im Gegensatz zu der ein oder anderen zumindest diskutablen Startsituation in diesem Jahr. In Spa konnte Vettel, der schon fast eine dreiviertel Wagenlänge vor seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen lag, nun wirklich weder sehen noch damit rechnen, dass sich da noch weiter hinten Max Verstappen – mit fast allen Rädern über den Randsteinen – noch als Dritter innen in die Kurve drängen wollte und damit allen der Platz ausging.

Warum dann aber die italienischen Medien-Attacken? Inzwischen ist durchgesickert, dass es ausgerechnet Teamchef Maurizio Arrivabene war, der den Journalisten einen Wink mit dem Zaunpfahl gab, doch mal kritisch über Vettel zu berichten. Um von anderen Schwächen abzulenken? Passiert Vettel bei Ferrari etwa schon jetzt das, was Fernando Alonso in seinem letzten Jahr 2014 deutlich zu spüren bekam: Schuldzuweisungen, die auch vor den Fahrern nicht halt machen, selbst dort, wo sie wirklich unschuldig sind? „Mir hat man damals sogar eine nicht richtig funktionierende Radaufhängung angekreidet“, erinnert sich der Spanier.

In einem Punkt könnte freilich die Ferrari-interne Kritik an Vettel, die schon hier und dort zu hören ist, zumindest ein Fünkchen Wahrheit enthalten: Der Deutsche wolle manchmal zu viel, versuche, mit Gewalt mehr aus dem Auto heraus zu holen, als derzeit drinstecke – und mache deshalb ein paar mehr Fehler als normal, heißt es da. Was sich vor allem in immer wieder mal verlorenen Qualifying-Duellen gegen Kimi Räikkönen zeige. In eine ähnliche Situation war Vettel bereits 2014 geraten, als bei Red Bull nichts vorwärts ging, der Renault-Motor eine absolute Katastrophe darstellte und der Heppenheimer nach vier WM-Jahren erstmals wieder ziemlich chancenlos war. Auch da drehte er sich im Laufe der Saison in eine Negativ-Spirale aus Frust, Gewaltaktionen, einer gehörigen Portion Pech und am Ende auch sichtbarer Lustlosigkeit.

Soll sich Vettel das Drama bei Ferrari noch über 2017 hinaus antun?

Nur: Damals gab es für ihn mit dem Wechsel zu Ferrari einen Ausweg. Das ist jetzt anders und das trägt natürlich zusätzlich gewaltig zu Vettels Frust bei. Der 29-Jährige weiß, dass es für ihn eigentlich bis 2019 keine Alternative zu Ferrari gibt. Die anderen Top Teams Mercedes und Red Bull sind bis dahin besetzt. Und die Perspektiven bei Ferrari sind nicht vielversprechend: Vettel hat dort im Moment keine Top-Leute um sich, auf die er sich wirklich verlassen kann. Eine ganz andere Situation als die von Michael Schumacher vor fast 20 Jahren bei den Roten, als er Jean Todt, Ross Brawn und Rory Byrne um sich hatte. Alle von außen gekommen, alle sehr stark in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen – und alle nicht in das italienische Chaos verwickelt, dass schon Niki Lauda in seiner Ferrari-Zeit vor 40 Jahren oft zur Weißglut trieb.

Vettels Gefährten heute: Sergio Marchionne, der branchenfremde, oberster Chef, der ohne große Sachkenntnis nur Druck macht. Teamchef Maurizio Arrivabene, der eher im Marketing zu Hause ist. Mit Mattia Binotto ein neuer Technikchef, der von der Motorenseite kommt und der nach dem Abgang des technischen Direktors James Allison jetzt auf einmal die Entwicklung eines komplett neuen Autos anhand der neuen Aerodynamik-Regeln für 2017 steuern soll. Dazu eine völlig umgekrempelte Aerodynamik-Abteilung, die mit Enrico Cardile ein Mann führt, der aus der GT-Sport-Szene kommt. Wie Ferrari mit dieser Besetzung gegen die Entwicklungsabteilungen bei Mercedes und vor allem bei Red Bull bestehen will, ist wahrscheinlich auch Vettel ein Rätsel.

Nur: Was soll er tun, wenn der Sprung zurück in die Erfolgsspur auch 2017 nicht gelingt? Dass Vettel nächstes Jahr seinen noch laufenden Vertrag erfüllt, bezweifelt eigentlich niemand. Auch wenn Geduld noch nie seine allergrößte Stärke war, was er auch selbst zugibt. Aber dann? Ende 2017 ist Vettel erst 30 Jahre alt – zum Aufhören eigentlich noch viel zu jung. Aber soll er sich das Drama bei Ferrari noch länger antun?

Eine Möglichkeit wäre ein Jahr Pause einzulegen – um dann für 2019 doch einmal bei Mercedes anzuklopfen, wenn dort die Verträge von Lewis Hamilton und Nico Rosberg ausgelaufen sind. Vielleicht käme es dann ja sogar zu einem Platztausch mit Hamilton. Der hat ja schon mehr als einmal angedeutet, dass er davon träume, seine Karriere einmal bei Ferrari zu beenden. Der Brite könnte dann den nächsten Versuch starten, dort eine Traumehe zu begründen.

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