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Geschwindigkeitsrausch. Die Bahnradfahrer erreichen beim Rennen bis zu 70 Kilometer pro Stunde. Bis auf den Helm tragen sie aber keine Schutzkleidung.

© dpa

Sechstagerennen: "Man muss wahnsinnig sein, um das zu machen"

Der Bahnradsport ist ein gefährliches Spektakel. Schwere Stürze werfen die Frage auf, ob die Fahrer genug geschützt sind.

Maximilian Levy wird am Eröffnungstag des Berliner Sechstagerennens ausgerufen. „Diesen Mann muss ich Ihnen nicht mehr vorstellen“, brüllt der Hallensprecher in sein Mikrofon. Er tut es trotzdem. Der muskelbepackte Levy trägt ein knallenges Radlerdress, das Trikot ziert die Aufschrift eines Hauptsponsors der Veranstaltung, einer Krankenkasse. Levy schreitet zum Podium und spricht kurz zum Publikum: „Geschwindigkeit ist Sicherheit“, sagt er. Es ist sein Motto, was genau damit gemeint ist, wird nicht ganz klar. Denn dass Geschwindigkeit nicht unbedingt Sicherheit, sondern vielmehr große Gefahr bedeuten kann, wurde in den vergangenen Wochen und Monaten in kaum einer anderen Sportart deutlicher als im Bahnradsport. Schwere, sehr schwere Unfälle sind passiert.

So weilt am ersten Tag des Sechstagerennens auch Kristina Vogel unter den Zuschauern im Velodrom. Im vergangenen Jahr noch raste sie dort mit ihren Konkurrentinnen um die Wette. Wenige Monate später knallte sie während des Trainings mit einem Fahrer zusammen, der auf der Bahn stand. Sie zog sich eine schwere Wirbelverletzung zu und ist seitdem von der Brust abwärts querschnittsgelähmt. Deswegen ist es für viele Fahrer und Zuschauer ein trauriger Anblick, als die zweimalige Olympiasiegerin im Rollstuhl den Startschuss für das Rennen gibt.

Zuletzt stürzten einige prominente Fahrer schwer

Nun ereignete sich Vogels Zusammenstoß nicht während eines Rennes und er geschah auch nicht bedingt durch eine zu hohe Geschwindigkeit. Es handelte sich um das, was man gemeinhin als tragischen Unfall bezeichnet. Doch sensibilisierte das Schicksal der Radrennsportlerin das Publikum und die Öffentlichkeit für das Thema. Die Frage, die sich seither bei jedem mittelschweren bis schweren Unfall immer mehr stellt, lautet: Ist der Bahnradsport sicher genug?

Dieter Stein, Sportlicher Leiter des Sechstagerennens, ist anzumerken, dass er die Sicherheitsdebatte nach dem Unfall von Vogel für etwas zu aufgeregt hält. „Früher gab es bei den Sechstagerennen sechs, sieben mitunter schwere Stürze. Jetzt gibt es kaum noch solche Stürze“, sagt er wenige Tage vor Beginn der Veranstaltung in Berlin. Das Dumme für ihn und die Organisatoren ist nur, dass zwei der besten Fahrer in diesem Jahr eben wegen Unfällen nicht dabei sind. Der Berliner Sprinter Robert Förstemann stürzte vor zwei Wochen beim Sechstagerennen in Bremen mit rund 70 Kilometern pro Stunde in der Kurve und brach sich Rippen, das Schulterblatt sowie das Schlüsselbein. Letzteres brach sich auch der Belgier Kenny de Ketele beim Sechstagerennen in Rotterdam.

„In dem Moment, an dem du an einen Sturz denkst, bist du gehemmt. Du musst es komplett ausblenden, wenn du an den Start gehst“, sagt Förstemann. „Aber Fakt ist: Man muss schon wahnsinnig sein, um das zu machen. Wir Bahnradfahrer haben keinen großen Schutz, das ist unser Problem.“

So sieht das auch Jens Ziesche. Der 55-Jährige ist ein renommierter Sportarzt und arbeitet seit vielen Jahren als Mannschaftsarzt des Eishockeyklubs Eisbären Berlin. Auch Radsportler hat er schon oft behandelt. „Bis auf den Kopf sind die Fahrer ungeschützt – und das bei einer Geschwindigkeit von in der Spitze knapp über 70 Kilometern pro Stunde“, erzählt er. „Hinzu kommt die Schräglage in den Kurven. Natürlich ist das gefährlich.“ Aber was resultiert daraus?

Der Rad-Weltverband UCI hatte sich schon in der Vergangenheit in Sicherheitsbelangen eher zurückgehalten. Denn natürlich wissen sie dort, dass Sicherheit auf Kosten der Geschwindigkeit geht. Ziesche zum Beispiel hielte es für empfehlenswert, die Bahnradfahrer am Körper mehr zu schützen. „Durch Ellenbogenschoner etwa“, sagt er. Auch Rückenschutzprojektoren, wie sie die Skirennfahrer benutzen, sind für den Arzt zumindest diskussionswürdig. Doch vom Radweltverband und selbst von Fahrerseite gibt es in diesen Punkten relativ wenige Fürsprecher. Denn Projektoren jeglicher Art sind aus aerodynamischer Sicht eine Katastrophe und Geschwindigkeitseinbußen gefährden ein klein wenig den Berufsstand. Von daher bleibt die traurige Vermutung, dass es noch ein paar Mal ordentlich krachen muss, bevor der Höllenritt auf dem Rad etwas abgebremst wird.

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