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Sport: Seele des Schwungs

Bei den offenen Golf-Meisterschaften von Hamburg wird er nicht gewinnen, aber alle sind nur wegen ihm da: Tiger Woods

Hamburg. Es muss diese Eleganz sein, die fasziniert, diese Leichtigkeit, die den Spaß an der Sache erkennen lässt, die Mühelosigkeit. Alexander Popow, der Russe, schwimmt so, Zinedine Zidane, der Franzose, spielt so Fußball. Tiger Woods spielt Golf auf diese unaufgeregte Weise.

Und so stand er am vergangenen Donnerstag in Alveslohe an der nördlichen Grenze Hamburgs auf der Driving Range des Golfgutes Kaden und spielte sich locker. Kurz zuvor hatte er seine erste Runde abgeschlossen, mit 69 Schlägen auf einem Parcours, der 72 als Standard aufweist. 69, das ist kein wirklich schlechtes Ergebnis, aber es sind zu viele Schläge, um hier bei diesen als Europameisterschaft deklarierten German Open Titelansprüche zu haben, und vor allen Dingen sind es viel zu viele, um als Mythos des Golfs die Scharen anzulocken. Die aber sind gekommen schon am ersten Tag des Turniers, Tausende, Abertausende (man durfte sich schon fragen, wer eigentlich noch arbeitet an diesem Werktag in Hamburg), und sie begleiteten Tiger Woods in stiller Andacht auf seinem Weg. So ergriffen war die Menge, dass selbst die, die am Green warteten, nur noch flüsterten, wenn Tiger Woods in vierhundert, fünfhundert Meter Entfernung zum Abschlag schritt. Und als bei einem noch schnell das Handy klingelte, wurde der mit bösen Blicken und Worten („Das ist doch das Allerletzte“) verjagt, man kann wohl sagen, aus der Kathedrale gescheucht. Auch flüstert man nicht von Tiger, nicht von Woods, man haucht, dass ER jetzt abschlägt.

Jeder Grashalm blieb trocken

Warum? Warum bei diesem 27-jährigen Amerikaner, der auch nicht von Gott gesandt ist und mitunter – das führte er dann am zweiten Tag vor und am dritten auch mit einer für ihn peinlichen 70er-Runde – den Golfball durchs Gehölz treibt, wie es jedem Anfänger zur Schmach gereicht. Man glaubte, etwas zu ahnen, wie er sich auf der Driving Range locker spielte. Rechts und links von ihm schlugen die Kollegen ab, Profis der Weltspitze allesamt, und rechts und links von Tiger Woods flogen Grasstücke durch die Luft, die sich vom Boden lösen beim kraftvollen Schlag. 37 Abschläge probte Tiger Woods, mal trieb er den Ball auf 225 Meter, mal begnügte er sich mit 150 Metern, und so wie es aussah, legt er bei jedem einzelnen Schlag nicht mehr Kraft in den Schwung als unsereins, wenn er beim Minigolf bis ans Ende der Bahn kommen will. 37 Abschläge, und jeder Grashalm blieb trocken, Tiger Woods trifft den Ball und nicht den Boden.

Dann ging er ab, wurde von sechs Bodyguards durch die Menge geleitet und lächelte. Ein wenig versonnen vielleicht, aber auch sehr zufrieden, sehr mit sich im Reinen, und kurz glaubte man, in seine Seele geschaut zu haben. Aber das kann nicht sein, weil Tiger Woods sich nicht in die Seele schauen lässt: Wenn das Lächeln etwas sagt, wenn die Freundlichkeit und die Eleganz der Bewegungen etwas sagen, was sagen dann diese dunkelbraunen Augen, die so traurig gucken können, so unendlich traurig?

Es gibt ein paar Eckdaten in Tiger Woods Leben, die nachprüfbar sind: Geboren am 30.12.1975 in Cypress, Kalifornien, und getauft auf den Vornamen Eldrick; Sohn eines afroamerikanischen Vietnamveteranen und einer Thailänderin; mit drei Jahren das Golfspiel begonnen; heute Milliardär, unter anderem besitzt er einen Vertrag mit Nike, der bis 2006 läuft und ihm 45 Millionen Euro garantiert – und allein für die Anreise zum Turnier bei Hamburg soll er eine Million Dollar erhalten haben; mal als „Mozart des Golfspiels“ bezeichnet („Bunte“), mal als „schwarze Perle des weißen Golfsportes“ („Presse“, Wien); ein Mann, für den ein neues Wort kreiert wurde, die „Tiger-Mania“, weil seine Auftritte Massenaufläufe und Hysterie erzeugen; und ein Mann, ein Twen, der isoliert im Isleworth Resort in der Nähe von Orlando, Florida, lebt, abgeschottet hinter hohen Zäunen und dichten Hecken.

Und dann gibt es die Geschichten, wie sie gerne im Sport erzählt werden, Geschichten, die der Stilisierung dienen und der Legendenbildung. Man glaubt sie, oder man glaubt sie nicht. Eine geht so: Als Eldrick Tiger noch nicht laufen konnte, saß er stundenlang im Hochstuhl und schaute dem Vater zu, wie der Golfbälle in Netze schlug. Und als der Kleine dann schließlich laufen konnte, nahm er den Putter und ahmte den Vater nach, und zwar als Linkshänder, weil er den Vater stets aus der Richtung des Balles beobachtet hatte, sozusagen spiegelverkehrt. „Dann stoppte er mitten im Schwung ab, ging um den Ball herum, wechselte den Griff und hatte den gleichen, perfekten Schwung." Zumindest hat es sich den Erzählungen des Vaters nach so verhalten.

Bedeutsamer als Buddha

Andere Geschichten weisen den Vater als gnadenlosen Drillmeister aus, der den Sohn anbrüllte und unter Druck setzte, wie er es gelernt hatte beim Verhör von Gefangenen in Vietnam. Da kann etwas dran sein, öffentlich hat der Vater sich schon durchgeknallt gezeigt, hat den Sohn als bedeutsamer als Buddha bezeichnet, als Einflussreicher für den Frieden der Welt als Gandhi und Nelson Mandela zusammen und als seine Lieblingslektüre „Mein Kampf“ angegeben. Wahrscheinlich hat ihm der Sohn wegen solcher Sachen jetzt untersagt, ihn auf Turniere zu begleiten. Und wenn man all diese Geschichten zusammen nimmt, dann kann man schon dazu neigen, diese Augen, diese manchmal so unendlich traurigen Augen als Seelenblick zu deuten, als Sehnsucht eines Menschen, dem die Kindheit und Jugend gestohlen wurde.

Andererseits kam es am Abend der Turniereröffnung in Hamburgs Innenstadt zu einem kurzen Gespräch mit Tiger Woods. Woods und ein paar Kollegen waren vom Turniersponsor zu einer Werbeveranstaltung zur Binnenalster befohlen worden. Dort hatte ein Kaffeeröster eine sechzig Meter entfernte schwimmende Insel installiert und darauf ein Green, ambitionierte Hamburger hatten sich eine Woche lang darin versuchen können, von der Lombardsbrücke aus über Wasser zu putten. An dem Abend war auch Roberto Blanco anwesend, womit die gesellschaftliche Bedeutung der Veranstaltung hinreichend beschrieben ist.

Doch wenn Tiger Woods der Sponsorenanordnung nur unwillig Folge leistete, so war ihm das nicht anzumerken, nicht einmal nachdem er sich arg blamiert hatte vor all den ambitionierten Hamburgern und Roberto Blanco und zwei von drei Bällen in der Alster versenkte. „Oh, nein“, sagte Tiger Woods, „das macht alles sehr viel Spaß hier.“ Und, „oh ja, das war ein harter Tag heute mit Regen und Wind“. Und „oh ja, das Publikum hier in Hamburg ist toll, weil es viel zurückhaltender ist als in meiner Heimat". Und das waren alles Sätze, wie man sie gewohnt ist von Sportlern, die sich hinter einer Fassade verstecken. Man hatte sich dennoch ein paar Notizen in den Block gekritzelt, bis Tiger Woods sich noch einmal zu Wort meldete: „You write this shit, who, the hell, will read it?“ Wer zum Teufel will diesen Mist lesen, wahrscheinlich war diese Frage ehrlicher als alle zuvor gegebenen Antworten. Und wenn, dann war das vielleicht auch ein kleiner Seelenblick, gewährt auf eine höchst spielerische, nahezu elegante und leichte Weise. Auf die Weise eben, die fasziniert.

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