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Sport: Seele im Abseits

Sebastian Deisler ist nicht der einzige Fußballprofi mit psychischen Problemen, aber nur wenige Vereine bieten eine Betreuung an

Berlin - Es waren nur einzelne Rufe, aber sie waren nicht zu überhören. Wo immer Sebastian Deisler in den vergangenen Wochen auf den Platz lief, musste er sie vernehmen. „Psycho“, riefen einige Fußballfans, eine unfeine Anspielung auf die Tatsache, dass der Nationalspieler sich wegen einer Depression in ärztliche Behandlung begeben hatte. Am Montag kehrten einige Symptome wieder, weshalb Deisler von Turin nach Hause fliegen musste. Inzwischen rechnet der FC Bayern München, dass sein Spieler bereits in der kommenden Woche wieder ins Training einsteigen wird. „In Deutschland wird ein Mensch in einer solchen Situation schnell gebrandmarkt und als Verlierer dargestellt“, sagt Ulf Baranowsky von der Fußballspielergewerkschaft VdV. Das „Psycho“-Etikett kann ein Mensch kaum noch abstreifen, wenn es erst einmal an ihm klebt.

Neben Krebserkrankungen sind psychische Leiden inzwischen die am häufigsten auftretenden Krankheiten in Deutschland. Auch bei Fußballprofis. Seit dem vergangenen Jahr bietet die VdV ihren Mitgliedern daher die Dienste eines Mentalcoaches an. „Man muss aber dazu sagen, dass die Spieler uns nicht gerade die Bude einrennen“, gibt Baranowsky zu. Er wisse von fünf bis zehn Profis, die dieses Angebot in der vergangenen Saison wahrgenommen hätten. Die meisten seien nicht psychisch krank, sondern steckten in einem Tief.

Aus Angst vor dem Etikett will auch der Mentaltrainer L. seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. „Das wollen die Vereine nicht“, sagt er. Seit drei Jahren bietet der frühere Tennistrainer psychologische Betreuung für Spitzensportler an. Seine Kooperationsvereinbarung mit der VdV lief zwar vor kurzem aus, aber er wird sich auch weiter um die seelische Gesundheit von Sportlern kümmern. Die VdV bemüht sich indessen, einen Diplom-Psychologen oder Psychotherapeuten für die Betreuung der Spieler zu gewinnen.

Um auf Sicherheitsabstand zur „Psycho“-Ecke zu gehen, nennt sich L. „Leistungscoach“. Er versteht sich als „ganzheitlichen Trainer“, soll heißen: „Man muss Körper, Geist und Seele immer zusammen betrachten.“ Dann könne man bestimmte Verletzungsmuster herausfinden und die Zahl der Ausfälle erheblich reduzieren. L. betreut inzwischen etwa 25 Spieler, darunter nach eigenen Angaben auch Nationalspieler, und einige Zweitligavereine.

Die Begründung für die Notwendigkeit seiner Arbeit liefert L. selbst. „Der Druck auf die Sportler ist ganz klar stärker geworden in den letzten Jahren“, sagt er. Nicht selten sind sie damit überfordert. „Fußballer leiden stark unter sozialer Vereinsamung“, sagt L. „Es ist eine Art modernes Gladiatorentum: Wenn du gut bist, klopfen dir alle auf die Schulter, wenn du schlecht bist, stehst du allein da.“ Außerdem haben die wenigsten Spieler einen Ausgleich, ein Hobby zum Beispiel, um dem Druck auch einmal zu entkommen. Hinzu kommen familiäre Probleme oder auch eine generelle Anfälligkeit für diese Art von Krankheiten.

Im Abstand von etwa zwei Wochen besucht L. seine Teams. „Erst arbeite ich mit der gesamten Mannschaft, dann mit einzelnen Spielern“, erzählt er. Am Anfang sind die Übungsleiter ohnehin immer dabei, denn „sie sind durchweg alle skeptisch, wenn sie das erste Mal mit mir zusammenarbeiten“. In den USA „herrscht einfach ein anderes Bewusstsein“, sagt Ulf Baranowsky. „Psychologische Dienste werden dort als etwas Selbstverständliches angesehen.“ Darum appelliert er an die Vereine, sich mehr zu öffnen. In der Bundesliga sind nur Werder Bremen und der SC Freiburg für ihre mentale Betreuung bekannt. Auch Jürgen Klinsmann, der in Kalifornien lebt, hat in dieser Hinsicht ein Defizit in Deutschland bemerkt. Der Bundestrainer sagt: „Wir hinken im Fußball einfach hinterher.“

Christian Hönicke

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