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Premiere. Boris Herrmann nimmt als erster Deutscher an einem Segelrennen um die Welt teil. Zu den Favoriten beim Barcelona World Race zählen aber andere.

© N. Martinz/Promo

Segeln: Das Ende der Einsamkeit

Segelrennen um die Welt wie das an Silvester beginnende Barcelona World Race verlieren ihren Abenteuerflair. Kein Segler ist heute mehr von der Außenwelt isoliert.

Schlimmer, als allein auf einem Segelboot die Welt zu umrunden, ist es nur zu zweit. Das ist die Devise der Einhandsegler. Plötzlich ist ständig jemand da, der mitreden will beim Wetter, seinen Senf zur günstigsten Route abgeben oder zur raffiniertesten Strategie angehört werden möchte. „Mitunter zaghaft werden die Sätze gesprochen und die Worte genau gewählt“, sagt Boris Herrmann über sich und seinen Segelpartner, den Amerikaner Ryan Breymaier.

Sie kennen sich noch nicht lange. Vermutlich hätten sie sich auch nie kennengelernt, wenn es nicht einen Sponsor gegeben hätte, der ein Schiff und einen Deutschen suchte, der es segeln sollte. So wurden Herrmann und Breymaier ein Team. Am Silvesternachmittag bricht es als eines von 14 zum Barcelona World Race auf – einmal nonstop um die Erdkugel herum. Am Ende wollen sich beide sagen können, „in jedem Moment alles getan und das Potenzial unseres Schiffes voll genutzt zu haben“. Es ist ein Kompromiss.

Das Barcelona World Race ist eine Beschäftigungstherapie für Segler, die es eigentlich allein schaffen wollen. Dafür brauchen sie längst mehr als nur einen Sinn fürs Abenteuer. Vor allem brauchen sie Geld, mehrere Millionen Euro, um eine jener hoch technisierten 18-Meter-Jachten der sogenannten „Open 60“-Klasse zu unterhalten, mit denen die Soloregatten auf den Weltmeeren bestritten werden. Es gibt davon mehrere. Aber nur alle vier Jahre findet das ultimative Kräftemessen zwischen den Besten der Szene statt. Und so sind die Terminkalender auf das Vendée-Globe-Rennen ausgerichtet, das die Einhandartisten allein und ohne Zwischenstopp um den Globus führt. Um dort dabei zu sein, müssen die Geldgeber bei Laune gehalten werden. Der gebürtige Oldenburger Herrmann will beim nächsten Mal 2012 unbedingt dabei sein.

Als Boris Herrmann 2009 überraschend schon einmal ein Hochseeweltrennen gewann, war er ebenfalls zu zweit unterwegs. Damals in Begleitung von Felix Oehme, der sich nach dem Sieg beim Portimao Global Race allerdings entschloss, doch lieber sein Studium fortzusetzen. Herrmann hatte seines bereits beendet und die Aufmerksamkeit für seinen Erfolg war groß. In Deutschland, wo wohlhabende Bootsbesitzer und ein paar wenige Vereine das Bild der Hochseesegelei bestimmen, gibt es kaum Profisegler von seinem Format. Der Wirtschaftwissenschaftler strebte nach Höherem. Er wollte zur Elite der Profisegler gehören, die mit überdimensionierten, wie Jollen über die Wellen gleitenden und zerbrechlichen Open-60-Jachten unterwegs sind. Sein alter Sponsor sprang ab, aber ein neuer Geldgeber fand ihn.

Beim Barcelona World Race zählen der 29-jährige Herrmann und sein Partner zu den jüngeren Teilnehmern. Obwohl sich in dem Teilnehmerfeld Konkurrenten mit deutlich mehr Erfahrung befinden – zu den Favoriten zählen die Franzosen Jean-Pierre Dick, Michel „le professeur“ Desjoyeaux oder Kito De Pavant – hofft Herrmann auf einen Platz unter den ersten fünf. Dafür zog Herrmann im vergangenen Jahr ins französische Concarneau in der Bretagne, wo Roland Jourdain, mehrmaliger Gewinner wichtiger Einhandregatten, einen Rennstall unterhält. Der überließ dem Deutschen sein früheres Boot. Mit sechsjähriger Laufzeit gehört es zwar schon einer älteren Generation in der BWR-Flotte an. Aber die Entwicklung in dieser offenen, von wenigen Designregeln eingeengten Branche ist trotz ihrer nun bald 30-jährigen Geschichte nach wie vor so rasant, dass ein gutes altes Boot, mit dem man das Ziel erreicht, besser sein kann als ein neues, dessen Innovationen es anfälliger für Fehler machen. Sie haben Speedtests gemacht. Und Herrmann ist zuversichtlich, denn davongesegelt ist ihnen niemand.

Der Trend in der Open-60-Szene, die bis vor ein paar Jahren ausschließlich französischen Extremseglern vorbehalten war, gewährt nun auch einem Außenseiter wie ihm die Chance, ein „kompletterer Segler“ zu werden, wie Herrmann sich das wünscht, da es Geld und technisches Know-how gibt, das seine ehrgeizigen Ziele unterstützt. Zudem führt das BWR zu etwas, das die „Liberation“ kürzlich als „Hispanisierung der Meere“ bezeichnet hat, da beinahe die Hälfte des Teilnehmerfeldes aus Spanien stammt. Nichtfranzosen sind keine Exoten mehr.

Der Deutsche fügt sich somit gut ein in eine Segeldisziplin, die nun endgültig das Abenteurertum hinter sich lässt und einen Professionalisierungsschub durchmacht. Längst gibt es für die Ozeanauten auf dem Meer die Einsamkeit nicht mehr, welche einen Weltumsegler früher für Monate von der Außenwelt abschnitt. Sie sind vernetzt, verkabelt und werden von Videokameras überwacht, ihr Wettkampf ist eine Big-Brother-Show. Kommentare von außen, die sie via E-Mail empfangen, spornen sie zu höherer Leistung an.

Viermal am Tag werden über dasselbe System die Positionen der Konkurrenten durchgegeben, so dass jeder weiß, wo sich die anderen befinden. Bis zu zwei Stunden verbringt Herrmann zudem vor dem Computer, um aktuelle Wetteranalysen durchzuführen. Ständig plagt ihn dabei die Frage, wie verlässlich die Vorhersagemodelle sind, die ihm zur Verfügung stehen. Er rechnet und rechnet. Trotzdem sagt Herrmann: „Mich inspiriert die Vorstellung, einmal um die Welt zu segeln“, um die Zweifel am romantischen Gehalt seiner Tour zu zerstreuen.

Die Franzosen nennen das Open-60-Segeln einen „mechanischen Sport“. Obwohl es auf die menschliche Physis ankommt, ist die Abstimmung von Maschine und Muskelkraft entscheidend. Dass es nun gleich zwei Menschenkörper an Bord sind, die Abstimmungsbedarf haben, „führt sicher auch mal zu Spannungen“, sagt Herrmann. „Es ist eben auch ein psychologisches Abenteuer.“

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